Atomkonflikt zwischen Israel und Iran:Sammel-SMS als Kriegsvorbereitung

Israels Politiker sprechen von einem Angriff auf Irans Atomanlagen und stimmen ihre Bürger öffentlichkeitswirksam auf einen Krieg ein. Kaum mehr jemand zweifelt daran, dass die Führung noch vor der US-Präsidentschaftswahl ihre Kampfjets gen Osten schickt - doch womöglich hat sie ganz anderes im Sinn.

Peter Münch, Tel Aviv

Mit Alarmgebrüll schüren Israels Politiker derzeit wieder einmal die Vorkriegsstimmung. Kein Tag vergeht ohne Schlagzeilen über einen Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen. Dramatische Fortschritte im Teheraner Atomprogramm werden gemeldet, Militärpläne debattiert und die Folgen eines Krieges analysiert.

Israeli protesters hold a banner to call on Israel not to bomb Iran during a demonstration calling for social justice in Tel Aviv

Israelis protestieren am vorvergangenen Wochenende in Tel Aviv gegen einen möglichen Krieg gegen Iran.

(Foto: REUTERS)

Wer zwei und zwei zusammenzählt, kann kaum noch an der Erkenntnis vorbeikommen, dass die Regierung in Jerusalem noch vor der amerikanischen Präsidentenwahl im November ihre Kampfjets gen Osten schicken will. Die ganze Welt also ist gewarnt vor Israels Entschlossenheit. Doch wer seine Angriffsdrohungen mit solcher Verve ausbreitet, der hat vielleicht doch ganz anderes im Sinn.

Als treibende Kräfte neben den Medien profilieren sich im Krieg der Worte Premierminister Benjamin Netanjahu und sein Verteidigungsminister Ehud Barak. "Messianischer Eifer" ist den beiden mehrfach nachgesagt worden, und das war auch im Heiligen Land nicht positiv gemeint. Warnungen aus dem eigenen Sicherheitsapparat scheinen das Duo jedenfalls genauso wenig zu interessieren wie Druck aus Washington. In gezielter Parallelität haben die beiden zum einen Irans Atompläne als "existenzielle Bedrohung" im Holocaust-Format markiert und sich zum anderen zu den einzig befähigten Rettern erklärt. Aus ihrem Umfeld oder sogar von ihnen direkt dürften die jüngsten Berichte kommen, dass die iranischen Fortschritte beim Bombenbau keinen Aufschub mehr erlaubten und dass Israel die Dinge selbst in die Hand nehmen müsse.

Öffentlichkeitswirksam vorangetrieben wird zugleich die Kriegsvorbereitung an der Heimatfront. Dazu zählt die Verteilung von Gasmasken ebenso wie eine an Hunderttausende Israelis verschickte Sammel-SMS - ein Testlauf für spätere Warnungen vor Raketenangriffen. Medienberichte über Mängel im Zivilschutz nimmt Netanjahu demonstrativ offensiv aufs Korn. Auf der Kabinettssitzung zu Wochenbeginn betonte er, dass bereits "Milliarden in die Landesverteidigung investiert" worden seien. "Alle Bedrohungen an der Heimatfront verblassen gegen eine andere Bedrohung, und deshalb muss ich es noch einmal wiederholen: Iran darf keine nuklearen Waffen bekommen", sagte er.

Bei so viel Klarheit darf gerätselt werden, was die wahren Motive dieses verbalen Dauerfeuers sind. Festzuhalten ist, dass die Strategie von Netanjahu und Barak bislang erfolgreich ist. Schließlich hat sie den Westen zur Verschärfung der Sanktionen getrieben und Obama zu einer fast unwiderruflichen Festlegung darauf, dass auch die USA "mit allen Mitteln" eine iranische Atombombe verhindern wollen.

Gelingen konnte das nur, weil die Drohungen so glaubhaft klingen. Das Problem an dieser Strategie ist allerdings, dass sie nach hinten losgehen könnte, sobald sie tatsächlich umgesetzt wird. "Entweder es handelt sich um einen genialen Trick, um die USA zum Handeln zu drängen", kommentiert die Zeitung Jedioth Achronoth, "oder wir haben eine Führung, die total durchgedreht ist."

Auch in Washington spielt man über Bande

Auch in Washington scheint man sich mit beiden Möglichkeiten zu befassen. Offiziell wiederholt die Obama-Regierung immer wieder ihre Position, dass noch nicht alle diplomatischen Möglichkeiten ausgeschöpft seien. Im Klartext heißt das für Netanjahu, dass er gefälligst keine vorschnellen Angriffe starten soll. Doch sicher scheinen sie auch in Washington nicht zu sein, dass ihr Verbündeter nicht doch ohne Absprache vorprescht - und deshalb wird auch hier über Bande gespielt. So überbrachte ein US-Emissär kürzlich die Nachricht, dass Saudi-Arabien israelische Flugzeuge auf dem Weg nach Iran abschießen würde.

Doch in Jerusalem werden auch solche Vorstöße gekontert. Im Kriegsfall, so wird gestreut, könnten sich die USA nicht heraushalten. Schließlich würde Obama seine Chancen auf Wiederwahl verspielen, wenn er Israel alleinließe.

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