Atomkonflikt:Der Mythos vom Atomkrieg per Knopfdruck

Der Schlagabtausch zwischen Kim Jong-un und Donald Trump, wer den größeren "Nuklearknopf" habe, ist sachlich betrachtet Unsinn. Einen Atomschlag auszulösen ist viel komplizierter.

Von Stefan Kornelius

Der skurrile Austausch zwischen Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un und US-Präsident Donald Trump über Größe und Funktionsfähigkeit ihres jeweiligen "Nuklearknopfes" hat weltweit für beachtliche Aufmerksamkeit gesorgt. Nun dient er in sozialen Medien und Kommentarspalten als Belege für die Unzurechnungsfähigkeit des jeweiligen Staatsführers. Sachlich betrachtet handelt es sich indes um eine Falschnachricht. Weder Trump noch Kim verfügen nach aller Erkenntnis über diesen symbolischen Startknopf, mit dem sich ein Nuklearkrieg auslösen ließe.

Der Schlagabtausch der beiden Besserwisser erreichte seinen Höhepunkt am Mittwochmorgen um 1 Uhr 49, als Trump ultimativ feststellte, dass er einen Nuklearknopf habe, der "viel größer & machtvoller" sei als der Kims. Außerdem fügte er hinzu: "Und mein Knopf funktioniert".

Der Befehl Trumps, einen Atomschlag auszulösen, könnte verweigert werden

Trump reagierte damit auf die Neujahrsansprache des nordkoreanischen Diktators, in der Kim gesagt hatte: "Es ist keine leere Drohung mehr sondern Realität, dass ich einen Nuklearknopf auf meinem Schreibtisch in meinem Büro habe. Das gesamte Festland der Vereinigten Staaten kann durch unseren Nuklearschlag erreicht werden."

Auch wenn dieser Austausch weltweit die Fantasien auf Hochtouren versetzte - in der Substanz haben beide Herren Unrecht. Der US-Präsident verfügt zwar über die Macht, jederzeit einen Atomschlag auslösen zu können. Allerdings drückt er dazu nicht auf einen Knopf auf seinem Schreibtisch. Warum sich diese Fantasie so stark in den Köpfen festgesetzt hat, ist unklar.

In Filmen und dramatisierten Darstellungen über den Kalten Krieg kommt immer wieder ein "Roter Knopf" oder der "Nuklearknopf" zum Einsatz. Dahinter steht wohl die Vorstellung, dass eine Sprengung selbstverständlich per Zündbefehl ausgelöst werden muss. Als die USA und Russland während der Obama-Regierungszeit ihre Beziehungen auf Neuanfang stellen wollten, drückten die jeweiligen Außenminister gemeinsam und symbolisch auf einen roten Knopf.

Der eigentliche Kommandoweg für den Einsatz amerikanischer Nuklearwaffen ist hingegen vielstufig und nicht automatisiert. Der Befehl wird ausdrücklich nicht per Knopfdruck gegeben, sondern per mündliches Kommando erteilt. Dazu müsste sich der Präsident zunächst mithilfe einer Codekarte als Befehlshaber gegenüber seinem Verteidigungsminister oder einem kommandierenden General identifizieren. Anschließend müsste er einen Startcode freigeben, der in einem Kommandostand seine Entsprechung fände.

Wer auch immer den Befehl des Präsidenten entgegennimmt - er könnte ihn auch verweigern. Einen direkten Zugriff Trumps auf die Startvorrichtung eines der etwa 900 amerikanischen Nuklearsprengkörper gibt es nicht. Auch gibt es keinen Knopf auf dem Schreibtisch, wie Trump behauptet. Vielmehr werden Codes und Richtlinien für das Einsatzverfahren immer in der Nähe des Präsidenten in einem Koffer aufbewahrt, der in der Fachsprache "Football" genannt wird.

Nordkorea bräuchte stundenlange Vorbereitungen

Das Startprozedere für eine nordkoreanische Rakete ist nach aller Erkenntnis nicht standardisiert. Unabhängig von der Frage, ob das Land bereits über einen einsatzfähigen Sprengkopf für eine Langstreckenrakete verfügt, ist auch hier kein plötzlicher Angriff per Knopfdruck möglich. Sämtliche Langstreckenraketen des Landes werden mit Flüssigtreibstoff befüllt, was Stunden an Vorbereitung vor einem Start erfordert. Dauerhaft kann keine mit Flüssigtreibstoff betriebene Rakete startbereit gehalten werden.

Machthaber Kim ist zwar immer wieder auf Bildern zu sehen, unter anderem in einem eigens gebauten, mobilen Kommandostand. Eventuell gibt er dort tatsächlich den Startbefehl per Knopfdruck. Fachleute halten es aber für unwahrscheinlich, dass er eine automatisierte Startvorrichtung in einem Büro unterhält. Dazu müssten sichere Datenleitungen verlegt und Kommunikationseinrichtungen aufgebaut werden.

Unmittelbar nach Kims Neujahrsansprache stuften Landesbeobachter den "Nuklearknopf"-Teil deshalb auch schnell als übliche rhetorische Aufplusterei und Provokation ein. Bei US-Präsident Trump aber verfing sie.

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