Süddeutsche Zeitung

Atomkatastrophe in Japan:Sarkozy reist nach Japan

Als erstes ausländisches Staatsoberhaupt nach den verheerenden Katastrophen will der französische Präsident Sarkozy Japan besuchen. Aus dem havarierten Kraftwerk Fukushima tritt weiter hochgiftiges Plutonium aus. Ministerpräsident Kan nennt die Lage "unberechenbar". Die Regierung überlegt, den Kraftwerksbetreiber Tepco zu verstaatlichen.

Aus dem beschädigten japanischen Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi tritt offenbar weiterhin Plutonium aus. Das extrem giftige Schwermetall sickere ins Erdreich ein, hieß es am Dienstag aus Behördenkreisen.

Es gebe Hinweise darauf, dass die Radioaktivität von beschädigten Brennstäben stamme, erklärte Regierungssprecher Yukio Edano am Dienstag. Aus welchem Block es genau kommt, war aber zunächst nicht bekannt. "Wir tun unser Möglichstes, um den Schaden zu begrenzen", sagte Edano. Die Situation sei "sehr ernst".

Nach Angaben des Kraftwerksbetreibers Tepco wurde inzwischen an mehreren Stellen außerhalb des Meilers Plutonium entdeckt. Die nachgewiesene Dosierung des giftigen Metalls ist laut Tepco für Menschen angeblich nicht gefährlich. Das Unternehmen will weitere Bodenproben nehmen.

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy wird am Donnerstag Japan besuchen, berichtet die Nachrichtenagentur Kyodo. Geplant seien unter anderem Gespräche mit Ministerpräsident Naoto Kan. Sarkozy reise im Auftrag der Gruppe der 20 wichtigsten Industriestaaten (G-20), der Frankreich derzeit vorsteht. Er ist damit das erste ausländische Staatsoberhaupt, das seit dem schweren Erdbeben am 11. März in das ostasiatische Land reist. Die japanische Atombehörde hatte bei der französischen Atomindustrie um Unterstützung gebeten.

Kan weist Kritik zurück

Die Atom-Ruine von Fukushima-1 ist auch weiterhin außer Kontrolle. Die Lage bleibe "unvorhersehbar", sagte der japanische Ministerpräsident Naoto Kan am Dienstag. Er wies Kritik zurück, sein Besuch des Unglückskraftwerks kurz nach Beginn der Krise habe möglicherweise den Katastropheneinsatz des Betreibers behindert. Die Opposition hatte Kan vorgeworfen, sein Aufenthalt am 12. März habe Tepco davon abgehalten, Luft aus Reaktor 1 abzulassen, um darin den Druck zu vermindern.

Kan erwiderte vor dem Oberhaus, es sei für ihn unerlässlich gewesen, den Unglücksort zu besuchen. Gespräche mit den Hilfskräften hätten ihm geholfen, spätere Entscheidungen zu treffen.

Die Arbeiter versuchen weiter, radioaktiv verseuchtes Wasser aus den Turbinengebäuden der Reaktoren 1 bis 3 abzupumpen. Erst wenn das Wasser beseitigt ist, können die Männer versuchen, die dringend nötigen Kühlsysteme wieder in Gang zu bringen, hieß es. Arbeiter schichteten außerhalb der Gebäude Sandsäcke auf, um zu verhindern, dass das radioaktive Wasser im Erdboden versickert.

Das Wasser in den Turbinenhäusern der Reaktoren macht die Arbeit lebensgefährlich. Es stand zeitweise bis zu einem Meter hoch in den Turbinenhäusern aller vier Reaktorblöcke von Fukushima-1. Es sei jedoch unterschiedlich stark belastet. Die Regierung hatte zuvor eingeräumt, dass im Reaktor 2 in den vergangenen zwei Wochen vermutlich eine Kernschmelze eingesetzt hatte. Man glaube aber, dass der Prozess mittlerweile gestoppt sei.

Indes erwägt die Regierung offenbar den Betreiber Tepco zu verstaatlichen. Das sei eine Option, sagte der Staatsminister für nationale Politik, Koichiro Gemba, laut der Nachrichtenagentur Kyodo. Hintergrund sei, so heißt es, dass auf den Betreiber der Atom-Ruine gewaltige Entschädigungszahlungen an die Opfer zukommen dürften. Dies dementierten jedoch Regierungssprecher Edano und Tepco-Vertreter. Der Kurs der Tepco-Aktie gab aber am Dienstag an der Börse in Tokio um fast 20 Prozent nach.

Der Chef der US-Atomregulierungsbehörde (NRC), Gregory Jaczko, sprach nach einem Treffen mit japanischen Regierungskollegen und Atomexperten in Tokio von einer "anhaltend ernsten Herausforderung". Die NRC und das US-Energieministerium haben Dutzende Fachleute nach Japan geschickt, um die Lage einzuschätzen.

Indes sind im Mittleren Westen der USA Spuren von Radioaktivität entdeckt worden. Behördenangaben zufolge wurden in Ohio erhöhte Strahlungswerte in Regenwasser nachgewiesen. Zuvor waren in den nordöstlichen Bundesstaaten Massachusetts und Pennsylvania Spuren von Radioaktivität gemessen worden.

Forscher der Case Western Reserve University in Cleveland, Ohio, erklärten, sie hätten eine kleine Menge Jod-131 aus Japan im Regenwasser auf dem Dach eines Campus-Gebäudes gefunden. "Theoretisch kann Jod-131 überall herkommen, wo radioaktiver Abfall produziert wird", sagte Geologie-Professor Gerald Matisoff. "Aber wir wissen, dass es aus Japan stammt", ergänzte er. Experten hatten erwartet, dass Strahlung des havarierten japanischen Atomkraftwerks Fukushima-1 auch in den USA gemessen werde. Die Werte lägen aber noch "weit unter" gesundheitsbedenklichen Bereichen.

Auch in China und auf den Philippinen wurden radioaktive Partikel in der Atmosphäre gemessen. Spuren von Jod-131 seien in den Regionen und Provinzen Jiangsu, Shanghai, Zhejiang, Anhui, Guangdong und Guangxi im Osten und Südosten des Landes entdeckt worden, teilte das chinesische Umweltministerium mit. Eine Gefahr für die Gesundheit bestehe jedoch nicht, hieß es.

Das philippinische Kernforschungsinstitut PNRI teilte mit, "die Strahlenbelastung ist sehr niedrig und stellt keine Gefahr für die Gesundheit dar". Es seien sehr kleine Mengen radioaktiver Isotope gemessen worden, die offenbar aus Fukushima stammten. In Südkorea wies das Institut für Nuklearsicherheit geringe Mengen von radioaktivem Jod-131 in der Luft nach. Die koreanischen Wissenschaftler vermuten, dass der Stoff aus Fukushima stammt.

In Japan wächst die Kritik an der Organisation der Hilfe. Einem Bericht der Zeitung Yomiuri zufolge lagern in einigen Botschaften in Tokio Hilfsgüter aus dem Ausland, die allerdings nicht verteilt werden könnten. Ein Botschaftsmitarbeiter kritisierte: "Wenn wir mehr konkrete Informationen von der japanischen Regierung bekommen würden, welche Hilfen in bestimmten Gebieten benötigt werden, könnten wir effizienter helfen."

Bei der Identifizierung der Toten nach dem Erdbeben und Tsunami vom 11. März setzt die Polizei unterdessen auf das Internet. Bei etwa 4000 Leichen, die in den Präfekturen Miyagi, Iwate und Fukushima gefunden wurden, sei noch unklar, um wen es sich handelt, berichtete die Nachrichtenagentur Kyodo.

Die Polizei veröffentliche deswegen im Internet Informationen zu Kleidung und Größe der Toten, sowie zu persönlichen Dingen, die bei den Leichen gefunden wurden.

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