Am Freitag sah alles noch ganz entspannt aus. US-Außenminister John Kerry hatte es sich in einer Sitzgruppe auf der Terrasse des Hotels Beau Rivage zu Lausanne bequem gemacht. Mit Blick auf die schneebedeckten Alpen und den Genfer See studierten er und seine engste Beraterin Wendy Sherman in der Frühlingssonne Papiere zu den Atomgesprächen mit Iran.
Keine 15 Meter entfernt spazierte sein Verhandlungspartner Mohammed Dschawad Sarif, umringt von den führenden Mitgliedern seiner Delegation, auf und ab, um vor Kerrys Augen frische Luft zu schnappen. Die Szene erinnerte an Teambesprechungen während eines Time-outs beim Basketball: Man geht sich nicht aus dem Weg, man belauert sich.
Unklarer Ausgang des Gipfels
Inzwischen ist die lockere Atmosphäre dem blanken Nervenkrieg gewichen. Vom Endspiel hatte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bei seiner Ankunft in Lausanne am Samstag gesprochen und gewarnt, dass "auch wenn man das Gipfelkreuz schon sehen kann, die letzten Meter oft die schwersten und entscheidenden sind". Am Montagmorgen trafen er und seine Kollegen aus den fünf UN-Vetomächten sich nun erstmals in großer Runde mit den Iranern. Doch nach dieser Plenarsitzung war nicht klar, ob es für die letzten Meter zum Gipfel reichen würde.
Das Ziel wäre eine politische Grundsatzeinigung, in der zumindest die wichtigen Eckpunkte eines Abkommens vorgezeichnet wären, das nach mehr zwölf Jahren den Nuklearkonflikt mit Iran beilegen soll. Die selbst gesetzte Frist dafür läuft in der Nacht zum Mittwoch um Mitternacht ab. Wenn es dazu käme, wäre das schon eine "große Sache", wie eine an den Verhandlungen beteiligte Person sagte - auch wenn erst ein endgültiges Abkommen das Prädikat "historisch" verdiene. Die Gespräche über Details würden dann bis Ende Juni fortgesetzt, und Diplomaten werden nicht müde zu betonen, auch in dieser zweiten Phase könne noch alles scheitern.
Steinmeier: Kann weitere Krise nicht ausschließen
Doch am Montag war zunächst die Frage, ob es dazu überhaupt kommen wird. Steinmeier hatte am Abend zuvor sibyllinisch orakelt, er könne "eine weitere Krise bei den Gesprächen nicht ausschließen". Wenig später tauchte Sarifs Vize Abbas Araghchi bei den iranischen Journalisten auf und gab Fernseh-Interviews. Er wies darin etwa zurück, dass Iran zugestimmt habe, seine Uranvorräte nach Russland zu exportieren. Westliche Delegationen hatten dies zuvor als einen Weg beschrieben, den Teheran zu akzeptieren bereit sei.
Es seien aber auch andere Lösungen diskutiert worden, warfen Diplomaten ein - ein Hinweis, dass eine Einigung daran nicht scheitern werde. Araghchis Auftritt galt ihnen als Botschaft an das iranische Publikum, um angesichts der Kritik der Hardliner in Teheran Standhaftigkeit zu demonstrieren. Zudem waren die Iraner wohl verärgert, dass aus westlichen Delegationen Details durchgesickert waren, sahen dadurch ihre Verhandlungsposition geschwächt.
Das mag nervöses Geplänkel sein, doch sah es so aus, als könnten sich Steinmeiers Befürchtungen bewahrheiten: Sarif hatte sich in den entscheidenden Fragen über Nacht nicht bewegt. Diplomaten hatten "erhebliche Lücken" ausgemacht zwischen dem, was Iran bereit sei zuzugestehen und dem, was die anderen Mächte als Mindestanforderungen sehen. Von einer "kritischen Phase" sprach Steinmeier am Abend. Man werde nichts unversucht lassen, um zu einer Einigung zu kommen, aber es sei klar, dass "wir hier kein schlechtes Geschäft zulassen werden", fügte er hinzu. Konkret geht es um die Laufzeit des Abkommens, die Abfolge einzelner Schritte bei der Umsetzung und die Frage, wann Iran in welchem Umfang Erforschung und Entwicklung von Nukleartechnologie betreiben darf. Strittig war auch noch der Umgang mit Sanktionen, die der UN-Sicherheitsrat gegen Teheran verhängt hat. Deren frühe Aufhebung habe für die Iraner "besondere Bedeutung", sagten westliche Diplomaten. Dagegen bestehen sie auf einem Automatismus, der alle Strafen sofort wieder in Kraft setzt, sollte Teheran irgendwann gegen eine Vereinbarung verstoßen.
Die Unterhändler kennen sich teils seit Jahren, manche sprechen sich unbenommen des diplomatischen Protokolls mit Vornamen an. Mit keinem anderen Außenminister hat Kerry zuletzt mehr Zeit verbracht als mit Sarif. Dutzende Stunden haben sie miteinander gesprochen - was schon alleine bemerkenswert ist, nachdem mehr als drei Jahrzehnte zwischen Washington und Teheran nichts als Schweigen herrschte.
Gewachsene Vertrautheit
Es ist Vertrautheit gewachsen, die vergangene Woche sichtbar wurde, als die Mutter des iranischen Präsidenten Hassan Rohani starb. Kerry und seine engsten Mitarbeiter begaben sich im Hotel zum Zimmer von Rohanis Bruder Hossein Fereydoun, der grauen Eminenz der iranischen Delegation, um zu kondolieren. Der Amerikaner legte seine Hand auf den Arm des Iraners, als würde er einen alten Freund trösten.
Doch trotz all dieser Nähe räumten an den Gesprächen beteiligte Diplomaten ein, dass sie nicht wissen, ob die harte Haltung Sarifs "den üblichen Verhandlungstaktiken geschuldet ist, mit dem Ziel den Preis in die Höhe zu treiben" oder ob er "einfach nicht genug Handlungsspielraum hat", um einen Deal möglich zu machen. Zum Lackmustest avancierten am Montag die Reisepläne des russischen Außenministers Sergej Lawrow, der noch vor einer geplanten weiteren Plenarrunde mit den Iranern am Abend nach Moskau zurückflog. Falls es "realistische Aussichten auf eine Vereinbarung" gebe, werde er am Dienstag nach Lausanne zurückkehren, ließ er wissen.