Atomenergie:Problem ohne Grenzen

Handytarife werden in der EU harmonisiert - aber nicht der Bau und der Betrieb von Reaktoren.

Von Michael Bauchmüller

In Europa lässt sich bei der Atomkraft keiner gern reinreden. Die Deutschen pochen auf das Recht, sie auslaufen zu lassen, während Nachbarstaaten reihenweise Laufzeiten alter Reaktoren verlängern. In Europas Binnenmarkt werden Handytarife harmonisiert und Tomaten normiert, es sind Grenzen gefallen und mächtige Behörden entstanden. In der Atomkraft aber, deren schlimmste Folgen sich nie auf ein Land beschränken, da hat Brüssels Einfluss Grenzen.

Ungarns Regierungschef Viktor Orbán testet diese Grenzen nun aus. Mit seiner komfortablen Parlamentsmehrheit hat er ein Gesetz durchgesetzt, das seiner Regierung freie Hand für die Genehmigung neuer Atomkraftwerke gibt. Um die Bedenken der eigenen Aufsichtsbehörden muss sich die Regierung in Budapest künftig nicht mehr scheren. Ein solcher Verstoß gegen die Prinzipien der Atomaufsicht ist ohne Beispiel in der EU.

Die Kommission kann das unmöglich dulden - viel tun kann sie allerdings auch nicht. Bis heute basiert die Zusammenarbeit der Europäer in Atomfragen auf dem Euratom-Vertrag von 1957. Er atmet den Geist einer Zeit, in der Atomkraft vor allem Wohlstand verhieß - und betont nationale Kompetenzen. Doch in Zeiten, in denen Europas Reaktoren an Altersgrenzen stoßen, in denen ein Viktor Orbán sich der Atomaufsicht bemächtigt, reicht das nicht mehr aus. Nicht bei einem Problem, das im Ernstfall keine Grenzen kennt.

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