Süddeutsche Zeitung

Atomdebatte: Wohin mit dem atomaren Abfall?:Müll für Millionen Jahre

In Deutschland gibt es bislang kein sicheres Endlager. Umweltminister Röttgen will nun erneut den Salzstock in Gorleben erkunden lassen. Durch die Laufzeitverlängerung fällt nun noch mehr giftiger Atommüll an.

Christopher Schrader

Es ist alles eine Frage des Bezugspunkts. Durch die Beschlüsse der Bundesregierung, die Laufzeit der Kernreaktoren zu verlängern, "würde sich die Atommüllmenge verdreifachen", warnt die Umweltorganisation Greenpeace.

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hingegen spricht von einer Erhöhung um ein Viertel von 17.200 auf 21.600 Tonnen giftiger und auf Hunderttausende Jahre hoch radioaktiver Schwermetalle, vor allem Uran und Plutonium.

Die Differenz erklärt sich durch den Blickwinkel. Das Amt betrachtet die Gesamtmengen, die Umweltschützer allein die Masse des in Zukunft anfallenden Abfalls, die von 2000 auf 6800 Tonnen anschwelle. Angesichts der Tatsache, dass einige ältere Reaktoren nach geltendem Recht kurz vor ihrem Ende standen, erscheint die Relation Vorher-Nachher auf diese Weise gewaltiger.

So oder so geht es nicht um kleine Mengen. Die 4400 Tonnen zusätzlichen Atommülls nach BfS-Berechnung entsprechen 460 Castorbehältern, die durch das Land gefahren und zwischengelagert werden müssen, oft unter massivem Polizeischutz. Jeder einzelne bedeutet hohen Aufwand, auch wenn die zusätzliche Zahl der Container die Aufgabe nicht in eine neue Größenordnung katapultiert.

Das eigentliche Problem ist, dass niemand genau sagen kann, wo und wann der Inhalt der Castoren endgültig entsorgt werden soll. Atommüll muss wegen der langen Halbwertszeiten radioaktiver Substanzen für eine Million Jahre sicher von den Stoffkreisläufen des Lebens isoliert bleiben. Wer in solchen Zeitdimensionen denkt, kann sich nicht auf bewachte Anlagen, Warnschilder und schriftliche Aufzeichnungen verlassen. Die Geologie eines unterirdischen Bergwerks muss das Problem für ihn lösen.

Darum möchte Umweltminister Norbert Röttgen als unmittelbare Konsequenz aus den Beschlüssen der Regierung nun die Erkundung des Salzstocks in Gorleben fortsetzen lassen. Er übernehme damit die Verantwortung, vor der sich seine Vorgänger gedrückt hätten. In Gorleben wurden bereits 1,5 Milliarden Euro in die Prüfung investiert, doch seit zehn Jahren ruhten die Arbeiten. Die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder hatte parallel zum Ausstiegsbeschluss ein Moratorium für Gorleben verkündet. Röttgen hat es im Prinzip schon im vergangenen März aufgehoben; die Arbeiten sollen am 1. Oktober beginnen.

Ein Salzstock, speziell wenn er anders als in Asse noch nicht als Bergwerk ausgebeutet wurde, ist im Prinzip ein gut geeigneter Ort für Atommüll, wie die Forschung weiß. Salz leitet die entstehende Wärme gut ab, und weil es langsam kriecht, schließt es irgendwann auch die Behälter mit dem Abfall dicht ein. Andere Forderungen an ein Endlager hingegen erfüllt das Steinsalz weniger gut.

Tatsächlich sagen Wissenschaftler inzwischen, es gebe überhaupt keinen perfekten Standort, aber viele mit einer guten Bilanz. Jeder habe prinzipielle und konkrete Vor- und Nachteile, die im Detail verglichen werden müssten. In Gorleben gelten die Zweifel und Bedenken vor allem der sogenannten Gorlebener Rinne, einem Riss im Deckgebirge, durch den Wasser an das Salz gelangen könnte. Dass solche Mängel offiziell meist abgetan wurden, verbittert Kritiker des Verfahrens. "Bei den bisherigen Untersuchungen hat man in Gorleben immer wieder die Kriterien für ein Endlager an das angepasst, was man dort gefunden hat", sagt Tobias Riedl von Greenpeace. "Da wurde getrickst und verschleiert."

Die Umweltschützer fordern deswegen wie viele andere Organisationen, Gorleben aufzugeben und die Suche nach einem Endlager nach vorher festgelegten Kriterien neu zu beginnen. Es kommen nach Gutachten des Bundesamtes für Geowissenschaften in Hannover neben vier weitere Salzstöcken in Niedersachsen auch ausgedehnte Tonstein-Formationen in Frage.

In diesem Material wollen Frankreich und die Schweiz nach langer Prüfung bis 2025 Endlager errichten. Der prinzipiell ebenfalls geeignete Granit, in dem Finnland und Schweden ab 2020 verbrauchte Brennelemente einzulagern planen, sei in Deutschland nicht in genügender Ausdehnung zu finden, so das Amt.

Dafür erstreckt sich Tonstein in einem breiten Band von Mecklenburg-Vorpommern bis nach Nordrhein-Westfalen. Zwei weitere Gebiete liegen in Baden-Württemberg und Bayern. Darum hat zum Beispiel das BfS immer wieder betont, dass auch andere geologische Formationen als Salzstöcke grundsätzlich geeignet seien. Sein Präsident Wolfram König hatte gesagt, das Schlimmste wäre, wenn sich Gorleben als geeignet erweise, aber gerichtlich gekippt würde, weil keine Alternative geprüft wurde.

Norbert Röttgen wiederum räumte im März die Gefahr ein, dass eine lange Untersuchung am Ende negativ ausgehe. Er versprach, es werde dann keine Entscheidung nach dem Motto geben: "Wir sind nicht ganz überzeugt, aber wir haben nichts anderes."

SPD-Chef Gabriel, ein Niedersachse und selbst bis 2009 Umweltminister, hält die Entscheidung seines Nachfolgers trotzdem für falsch. "Röttgen lässt zu, dass Gorleben auf der Grundlage jahrzehntealter Konzepte zusammengebastelt wird, nur um den Bayern und Baden-Württembergern die Standorterkundung zu ersparen", sagt er. "Die Gewinne im Süden, den Atommüll nach Norden - das ist das energiepolitische Konzept von CDU und CSU."

Gabriel selbst hatte 2006 als Umweltminister der Großen Koalition vorgeschlagen, die weitere Erkundung von Gorleben mit der Suche nach anderen Standorten zu verbinden, sich politisch aber nicht durchsetzen können.

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SZ vom 08.09.2010/liv
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