Atomausstieg: Widerstand in der Koalition:Wie Merkel um die eigene Mehrheit kämpfen muss

Von der Atomkanzlerin zur Ausstiegskanzlerin: Angela Merkel muss im Bundestag ihre historische Kehrtwende in der Energiepolitik erklären - und Zweifler in den eigenen Reihen überzeugen. Die tischen der Kanzlerin die Argumente auf, die sie einst selbst virtuos vertreten hat. Ein Überblick über die Bedenken der Ausstiegsgegner - und eine kleine Argumentationshilfe für Merkel.

Michael König und Wolfgang Jaschensky

Die Grünen wissen nicht, wie sie den schwarz-gelben Atomausstieg finden sollen. Das wiederum findet Schwarz-Gelb ganz gut, denn so können sie den Grünen wenigstens vorwerfen, dass sie nicht wissen, was sie wollen. Während die Grünen immerhin einen Sonderparteitag einberufen haben, um über die Energiewende zu debattieren, scheuen Union und FDP davor zurück, offen über die innerparteilichen Konflikte zu sprechen.

Doch die gibt es, denn nicht alle Koalitionspolitiker haben Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem Parforceritt von der Atomkanzlerin zur Atomausstiegskanzlerin folgen können. Gerade der Wirtschaftsflügel der Union und einige FDP-Politiker zeigen sich uneinsichtig - und tischen der Kanzlerin die Argumente auf, die sie einst selbst virtuos eingesetzt hat, um die Laufzeitverlängerung zu erklären.

An diesem Donnerstag muss die Kanzlerin nun im Bundestag erklären, warum das ambitionierteste Projekt ihrer Regierungszeit darin besteht, ihr bis dahin ambitioniertestes Projekt zu kassieren. sueddeutsche.de gibt einen Überblick über die Bedenken der Ausstiegsgegner - und der Kanzlerin eine kleine Argumentationshilfe.

Versorgungssicherheit

Das Argument der Ausstiegsgegner: Ohne Atomkraft gehen in Deutschland die Lichter aus

Bevor die Regierung Ende vergangenen Jahres die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke beschlossen hat, war sie - im Konzert mit den Konzernen - so lange auf diesem Argument herumgeritten, dass ein neues Wort Einzug in den aktiven Wortschatz vieler Bundesbürger gefunden hat: Brückentechnologie.

Brückentechnologie, das war die Antwort auf die Sorge um die Versorgungssicherheit und damit das ultimative Argument für die Laufzeitverlängerung. Nun sagt der Präsident des CDU-Wirtschaftsflügels, Kurt Lauk: "Wir können nicht sagen, wir machen eine Brückentechnologie, brechen die Brücke in der Mitte ab und müssen dann den Rest schwimmen." Lauk und seine Kollegen pochen auf eine Revisionsklausel: Sollte die Versorgungssicherheit nicht rechtzeitig durch erneuerbare Energien sichergestellt sein, müsse der Atomausstieg verschoben werden können.

Das Brückenargument war allerdings schon wackelig, als es die Regierung für die Laufzeitverlängerung eingesetzt hat. Inzwischen finden sich viele Studien, die vorrechnen, dass spätestens bis 2017 die Atomkraft in Deutschland vollständig ersetzt werden kann. 20 Gigawatt Leistung fallen durch den Ausstieg in Deutschland weg. Derzeit werden bereits Gas- und Kohlekraftwerke gebaut, die zusammen eine Leistung von zehn Gigawatt erbringen. Bleibt eine Lücke von zehn Gigawatt - die schon allein durch die bereits geplanten Offshore-Windparks in der Nordsee geschlossen werden könnte.

Das Argument der Ausstiegsgegner: Der Atomausstieg wird höllisch teuer

Die Meinungsforscher des Forsa-Instituts haben ermittelt, dass 38 Prozent der Deutschen bei der Wahl ihres Stromanbieters vor allem auf den Preis achten. Ob öko oder nicht, sei nachrangig. Politiker und Lobbyisten gingen darauf ein - zum Teil mit Schreckensszenarien. Der Chef des Stromversorgers Eon, Johannes Teyssen, versuchte es mit Ironie: "Als Energiehändler bin ich kein Gegner höherer Preise." Und Rainer Brüderle, damals noch Bundeswirtschaftsminister, sagte nur knapp: "Billiger wird's nicht."

Die Ausstiegsskeptiker in den Reihen von Union und FDP sehen das Problem natürlich weiterhin, wie Hans Michelbach, Chef der CSU-Mittelstandsunion, im Videointerview mit sueddeutsche.de deutlich gemacht hat.

Die Atomkraftgegner hatten dem lange wenig entgegenzusetzen. Nun sind auf einen Schlag die sieben ältesten Meiler und der Pannenreaktor Krümmel vom Netz - und die Preise sind stabil. Auch mehrere Studien entkräften das Argument steigender Preise. Eine Untersuchung des Wuppertal Instituts hat etwa ergeben, dass ein schneller Atomausstieg die Stromkosten eines Durchschnittshauses um maximal 25 Euro verteuern würde - pro Jahr.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erwartet allenfalls "leichte Preissteigerungen" in einer Größenordnung von 1,5 bis maximal sechs Prozent. Die Nichtregierungsorganisation Germanwatch errechnete auf Basis offizieller Angaben sogar, dass Ökostrom auf Dauer billiger sein wird als Strom, der aus Kohle- oder Atomkraftwerken kommt. Noch vor dem Jahr 2030 solle es so weit sein.

Klimawandel

Das Argument der Ausstiegsgegner: Atomstrom ist klimafreundlich

Über viele Jahre ein besonders beliebtes, weil perfides Argument der Atomlobby. Da viele Atomkraftgegner nebenbei auch Umweltschützer, Klimaretter und Weltverbesserer sind, trifft es die "Atomkraft-nein-danke"-Rufer an einer sensiblen Stelle.

Schon im Jahr 2000, als ein Gesetz zur Senkung des CO2-Ausstoßes verabschiedet wurde, priesen die Befürworter der Atomkraft die Atomenergie als saubere Alternative zur fossilen Energie an. Und auch 2011 betonen die schwarz-gelben Ausstiegsskeptiker, die bislang wenig als Klimaretter aufgefallen sind, dass die ehrgeizigen CO2-Ziele nun in Gefahr seien. Das Problem der Ausstiegsgegner: Sie müssen jetzt nicht mehr die "Atomkraft-nein-danke"-Rufer überzeugen.

Grundsätzlich ist das Argument auch nicht von der Hand zu weisen: Deutschland wird wohl nach dem Atomausstieg vorübergehend mehr Treibhausgase ausstoßen, da mehr Strom in Kohlekraftwerken produziert werden muss. Allerdings hat die Bundesregierung dies bereits berücksichtigt und im Rahmen des Ausstiegsplans angekündigt, die Gebäudesanierung stärker zu fördern. So soll Strom eingespart und die CO2-Bilanz aufgebessert werden.

Nicht zu vergessen: Atomstrom ist auch nicht CO2-neutral, weil bei der Uranförderung, Brennelementeherstellung und Atommüllentsorgung Treibhausgase entstehen. Das Öko-Institut hat errechnet, dass für eine Kilowattstunde Atomstrom 32 Gramm Kohlendioxid emittiert werden - und damit mehr als etwa durch Windenergie.

Deutschlands Sonderweg

Das Argument der Ausstiegsgegner: Wenn das Ausland nicht mitzieht, bringt der deutsche Ausstieg gar nichts

Nicolas Sarkozy begrüßt den deutschen Atomausstieg - aber nicht aus ökologischen Gründen. Irgendwoher müssten die Deutschen ihre Energie ja bekommen, sagte der französische Präsident: "Wir bieten uns gerne an, ihnen unseren Strom zu verkaufen."

Atomkraftbefürworter verweisen darauf, dass unweit der deutschen Grenzen zahlreiche Meiler stehen - etwa im tschechischen Temelin, im französischen Fessenheim oder in der Schweiz. Sollte es dort zu einem Unfall kommen, wäre die Bundesrepublik davon unmittelbar betroffen - Atomausstieg hin oder her. Dieses Argument ist kaum zu entkräften.

Dass Deutschland in Zukunft jedoch auf Stromimporte aus dem Ausland angewiesen ist, wie Sarkozy unterstellt, dem widerspricht eine DIW-Studie. Demnach können erneuerbare Energien die Lücke schließen, die die Abschaltung aller AKW hinterlässt, "wenn verstärkt Infrastruktur und Speichermöglichkeiten ausgebaut werden".

Klimaschützer wie Tobias Austrup von der Nichtregierungsorganisation Germanwatch verweisen außerdem auf die Vorreiterposition, die Deutschland einnehmen könne: "Alle Länder schauen genau auf Deutschland. Wenn es uns gelingt, ein Wohlstandsmodell aufzubauen, das auf Erneuerbaren Energien beruht, dann kann das eine Blaupause für die ganze Welt sein."

Arbeitsplätze

Das Argument der Ausstiegsgegner: Der Ausstieg bedroht Arbeitsplätze

Das Arbeitsplatzargument hat zwei Facetten: Zum einen geht es natürlich um die Arbeitsplätze in der Atomindustrie. Vor allem aber befürchten Kernkraftbefürworter, dass steigende Strompreise energieintensive Unternehmen wie Stahl- und Chemiekonzerne aus Deutschland vertreiben könnten. "Sie sind selbst bei geringen Strompreissteigerungen am Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig", sagt etwa DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann. Bis zu eine Million Arbeitsplätze hingen daran, so Driftmann.

Unterstützung erhalten Industrie und Ausstiegsskeptiker in den Reihen von Union und FDP ausgerechnet vom Chef jener Partei, die schon vor elf Jahren den Ausstieg aus der Kernkraft gefordert hat: Sigmar Gabriel. "Wir werden keinem Gesetz zustimmen, das die Industrieproduktion in Deutschland und damit sichere Arbeitsplätze gefährdet", verkündet der SPD-Vorsitzende.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie rechnet vor, dass energieintensiven Unternehmen bis 2017 eine Kostensteigerung von 222 Prozent drohe. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft ist schon deutlich konservativer und geht von 40 Prozent aus.

Die Politik steuert allerdings bereits gegen. Über den Klima- und Energiefonds will der Bund betroffene Betriebe mit etwa 500 Millionen Euro entlasten. Im Koalitionsbeschluss heißt es, dass "gegebenenfalls auch darüber hinaus aus dem Bundeshaushalt" eine Kompensation möglich ist.

Vor allem eröffnen sich durch den Umstieg auf erneuerbare Energien enorme volkswirtschaftliche Chancen und damit auch Potential für viele neue Arbeitsplätze. Die deutsche Bauindustrie wittert wegen der Förderung der Gebäudesanierung schon jetzt Milliardenaufträge. Und da die AKW auch nicht von heute auf morgen dem Erdboden gleichgemacht werden können, entstehen zwischenzeitlich sogar an den alten Meilern neue Jobs. Von neuen Arbeitsplätzen bei dem erhofften Boom für erneuerbare Energien ganz zu schweigen.

Das Argument der Ausstiegsgegner: Der Ausstieg ist vor Gericht anfechtbar

Nachdem die Energieversorger mit ihren inhaltlichen Argumenten weitgehend abgeprallt sind, wollen sie die Regierung nun auf dem Rechtsweg dazu bringen, den Atomausstieg zu ihren Gunsten zu gestalten. Eon hat bereits Klage gegen die Beibehaltung der Brennelementesteuer angekündigt, die trotz kürzerer Laufzeit der AKW bestehen bleiben soll.

Heikel ist auch die Frage der Reststrommengen: Zwar soll es den Konzernen gestattet sein, die Reststrommengen stillgelegter Meiler auf weiterlaufende zu übertragen. Aber was passiert, wenn die Restlaufzeit nicht ausreicht, um den Strom tatsächlich zu produzieren? RWE-Chef Jürgen Großmann verweist in einem Brief an Kanzlerin Angela Merkel zudem auf die Blöcke B und C des AKW Grundremmingen: Diese seien baugleich, müssten deshalb auch gleich lange laufen dürfen. Der schwarz-gelbe Ausstiegsplan sieht jedoch unterschiedliche Ausstiegsdaten vor. Das halten Juristen für einen Schwachpunkt des neuen Atomgesetzes.

Vattenfall hat wiederum viel Geld in die seit 2007 stillstehenden Meiler Brunsbüttel und Krümmel investiert, die nicht mehr ans Netz gehen werden. Allen Konzernen ist gemein, dass sie Ausgleichzahlungen für ihre Verluste erstreiten wollen. Außerdem wollen sie juristisch gegen die Brennelementesteuer vorgehen.

Was drohende Entschädigungszahlungen angeht, gibt sich die Regierung jedoch gelassen. Sie verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach der Gesetzgeber weitreichende Kompetenzen zur Regelung der Atompolitik hat. Dazu gehöre auch die Grundsatzentscheidung für oder gegen die Kernkraft, heißt es in dem Gesetzentwurf. "Wir haben als Koalitionspartner auf eine verfassungsrechtlich vertretbare Ausgestaltung geachtet", sagte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP).

Was die Brennelementesteuer angeht, ist die Rechtslage kompliziert. In mehrerlei Hinsicht dürfen sich die Konzerne Hoffnungen auf einen juristischen Erfolg machen. Es gibt aber auch Expertenmeinungen, die den Energieriesen keine Chance geben.

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