Atomausstieg:Die drei mit der Kernspaltung

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Da ist wohl gar nicht so viel auszupacken: Bundeskanzler Scholz am Donnerstagabend vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Atomausstieg. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Die Ampelmänner Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner müssen vor dem Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg aussagen. Was bringt das außer Kabbeleien?

Von Michael Bauchmüller und Bastian Brinkmann, Berlin

Die Befragung von Robert Habeck währt schon über zwei Stunden, da kommt der CSU-Abgeordnete Andreas Lenz zu Grundsatzfragen. „Haben Sie schon einmal gegen Atomkraft demonstriert“, will er wissen. „Ja“, sagt Habeck. „Haben Sie öfter gegen Atomkraft demonstriert?“, setzt Lenz nach. „Definieren Sie ,öfter‘!“ So geht das hin und her, und ja, Habeck hat mehr als zweimal gegen Atomkraft demonstriert, erfährt der Abgeordnete Lenz schließlich. Und?

Es läuft das Finale das zweiten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, sein Thema: Die Debatte um längere Atom-Laufzeiten im Jahr 2022, als die Energiekrise ihren Lauf nahm. Hatte die Koalition seinerzeit wirklich ganz ergebnisoffen geprüft, ob längere Laufzeiten einen Sinn ergeben? Oder hatten vor allem die einstigen Anti-Atom-Demonstranten von den Grünen das zu vereiteln versucht? Insgesamt 40 Zeugen hat der Ausschuss dazu vernommen, aber das hier ist der Höhepunkt: Alle drei Führungsfiguren der Ampelkoalition müssen aussagen. Mittwochabend schon war Christian Lindner dran, der FDP-Chef und einstige Finanzminister. Dann Habeck, der Grünen-Spitzenkandidat und Wirtschaftsminister. Und nach acht Stunden Habeck-Befragung noch Olaf Scholz, der Noch-Kanzler von der SPD.

Mit dem Machtwort des Kanzlers warf die Koalition schon einen ersten Blick in den Abgrund

Die drei sind unheilvoll verflochten in der ganzen Angelegenheit,  dokumentiert in einem Schreiben von Scholz vom 17. Oktober 2022. Seinerzeit zückte der Kanzler seine Richtlinienkompetenz, ein historischer Vorgang. „Zeitnah“ solle die Laufzeit der verbliebenen Atomkraftwerke verlängert werden, verlangte der Kanzler schriftlich. Das aber nur bis Mitte April 2023, also über den Winter hinweg. Eine einvernehmliche Lösung, so legt der Kanzler dar, sei nicht möglich gewesen. „Wir lutschen die Brennstäbe aus, und dann ist Schluss.“ So habe er, Scholz, dann entschieden.

Die Entscheidung beendete damals einen wochenlangen Streit. Die FDP hatte sich noch längere Laufzeiten gewünscht, die Grünen wollten allenfalls einen „Streckbetrieb“ bis zum Ende des Winters, und auch das nur für die zwei süddeutschen Meiler. Mit dem Schreiben aus dem Kanzleramt war der Streit beendet. Aber einen ersten Blick in den Abgrund hatten die Partner damals schon geworfen.

Es gibt ganz unterschiedliche Erinnerungen

Die Risse von einst zeigen sich heute in unterschiedlichen Erinnerungen. Ihm sei klar gewesen, dass mit den Grünen nicht mehr möglich gewesen sei, obwohl es weitergehende Optionen gegeben hätte, sagt etwa Lindner vor dem Ausschuss. Der Atomausstieg sei für die Grünen „identitätspolitisch“. Der Streckbetrieb für drei statt zwei AKW sei daher das Maximum gewesen, was in der Ampel möglich gewesen sei. Dass der Kanzler diesen Konflikt per Richtlinienkompetenz habe klären müssen, sei  „vorher bekannt und abgestimmt“ gewesen, sagt Lindner. Ziel sei gewesen, die „Kommunikation“ dieser Entscheidung zu erleichtern, also Habeck zu helfen, sie seinen eigenen Leuten verkaufen zu können.

„Haben Sie schon einmal gegen Atomkraft demonstriert?“, wird Robert Habeck am Donnerstag im Untersuchungsausschuss von einem CDU-Abgeordneten gefragt. Er antwortet: „Ja.“ (Foto: Annegret Hilse/REUTERS)

Das hat Habeck ganz anders in Erinnerung. Tags zuvor habe es ein Treffen der drei im Kanzleramt gegeben, erzählt Habeck. Dabei habe der FDP-Chef „sinngemäß“ verlangt, „er müsse gezwungen werden“. Er, Habeck, habe mit  dem Kanzler-Machtwort „ganz gut leben“ können.

„Interessant, was man hier erfährt“

Aber es ist eben Wahlkampf, und Lindner macht aus seiner Distanz zur einstigen Koalition kein Hehl. So seien die Angaben aus Habecks Haus rund um die Laufzeit-Verlängerung „teilweise nicht plausibel“ gewesen. Lindner habe daher das direkte Gespräch mit den Vorstandsvorsitzenden von RWE und Eon gesucht. Die Schilderungen der Energiemanager hätten dem widersprochen, was Habeck seinen Ampelkollegen gesagt haben soll. Deshalb habe er, Lindner, darauf gedrungen, dass sich die Dreierrunde aus Scholz, Habeck und ihm selbst zusammen mit den Energiekonzernen bespricht. In der Telefonschalte habe der Kanzler gesagt: „Interessant, was man hier erfährt“, zitiert ihn Lindner.

Nur Beweise für seine Ausgangsthese findet der Ausschuss auch bei seiner letzten Sitzung anscheinend nicht. Stattdessen tragen sowohl Habeck als auch Scholz zu Beginn seines Auftritts noch einmal die Lage des Jahres 2022 vor. Scholz erinnert an sein Wort von der „Zeitenwende“. Die Lage sei „herausfordernd“ gewesen, man habe in alle Richtungen geprüft. „Ergebnisoffen“, sagt Scholz. Habeck erinnert an erste Gespräche mit den Atomkraftbetreibern, um längere Laufzeiten auszuloten. Doch die hätten abgeraten.

Obendrein habe man davon ausgehen müssen, dass eine Streckung der Atomlaufzeiten dazu führet, dass im Sommer 2022 Atomenergie durch Strom aus Gaskraftwerken hätte ersetzt werden müssen –obwohl seinerzeit der russische Staatskonzern Gazprom seine deutschen Gasspeicher hatte leerlaufen lassen. Das seien die Fragen gewesen, mit denen sein Ministerium zu kämpfen hatte, argumentiert Habeck: komplex.

Aber so hat jeder sein eigenes Interesse an der Vergangenheit. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, der CDU-Mann Stefan Heck, stellt schon vor Beginn der Vernehmung fest, dass es eine ergebnisoffene Prüfung nie gegeben habe. Im Ausschuss führt das später noch zu längeren Kabbeleien mit Habeck, der sich grob missverstanden fühlt. „Es gab keine Denkverbote“, sagt der Grüne. „Es galt die Devise: Machen, was hilft und geht.“ Das habe auch für die Atomkraft gegolten.

Habeck selber hätte ohnehin noch andere Ideen, was sich so untersuchen ließe. Die Gründe etwa für die Gasabhängigkeit von Russland, mit der die Misere erst ihren Lauf genommen habe. Da seien Vorbehalte von Beamten „regelrecht abgebügelt“ worden. Die Strategie ist klar: Den Vorwurf, Minister hätten das Wohl des Landes riskiert, will er anderen vorlegen – nämlich Union und SPD, den Protagonisten der Vorgängerkoalitionen. Sollten die Grünen nach der Wahl in der Opposition landen, wäre das glatt mal ein Thema für einen Untersuchungsauschuss.

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