Atomausstieg:Und der Staat bewegt sich doch

Deutschland steigt aus der Atomkraft aus und fast alle im Bundestag vertretenen Parteien stimmen dafür? Das hätte sich bei den Demos in Gorleben und Wackersdorf niemand träumen lassen. Dass es nun soweit gekommen ist, liegt an den vielen Bürgern, die sich weder einlullen noch einschüchtern ließen. Der deutsche Atomausstieg ist der Triumph einer Bürgerbewegung, die in eine Staats-Bewegung mündete.

Michael Bauchmüller

Wyhl, Wackersdorf, Kalkar, es sind Orte des Widerstands und der Wende. Im badischen Wyhl organisierten aufmüpfige Winzer einst Bürgerinitiativen und brachten schließlich ein Atomkraftwerk zu Fall, in Wackersdorf ließ sich der Widerstand gegen eine Wiederaufarbeitungsanlage auch mit aller polizeilichen Gewalt nicht brechen, bis irgendwann die Bauherren aufgaben.

In Kalkar kapitulierte am Ende eine Landesregierung vor dem Bürger, der "Schnelle Brüter" ging nie in Betrieb. Nichts in diesem Land hat Bürger in den vergangenen 40 Jahren derart zuverlässig auf die Straße gebracht wie die Atomkraft. Und sie haben den Staat bewegt - hin zu diesem 30. Juni 2011, im Deutschen Bundestag.

Ein Atomausstieg, den alle im Bundestag vertretenen Parteien wollen, der bis auf die Linkspartei sogar von allen unterstützt wird, das hätte bei den Demos auf den Straßen Berlins, in den Wäldern rund um Gorleben oder am Bauzaun von Wackersdorf nie jemand für möglich gehalten. Gleich einem Spaltkeil steckte die Atomdebatte in dieser Gesellschaft, sie kannte kein "egal". Das schloss jeden Konsens aus.

Wenn es eine solche Übereinkunft nun zumindest im Parlament doch gibt, dann ist das nur denen zu verdanken, die standhaft blieben. Die sich nicht einlullen ließen von der vorgeblichen Sicherheit deutscher Atomkraftwerke; die nicht einzuschüchtern waren durch die Angstkampagnen, ein Verzicht auf Atomkraft werde Strompreise steigen und Lichter ausgehen lassen; die nicht glauben wollten, dass sich zivile und militärische Nutzung der Kernenergie einfach so trennen lassen; die ihre Ideen für eine alternative Stromversorgung nicht aufgaben.

Eine Risiko-Technologie lässt sich nicht auf Dauer gegen Bürger betreiben, die sich kein X für ein U vormachen lassen. Der deutsche Atomausstieg, er ist der Triumph einer Bürgerbewegung, die in eine Staats-Bewegung mündete.

Zur Tragik der Atomkraft gehört aber auch, dass stets erst Unglücke den Lauf der Dinge veränderten. 1979 machte die Havarie im US-Atomkraftwerk Three Mile Island aus dem Widerstand gegen eine Wiederaufarbeitungsanlage in Gorleben eine Massenbewegung, wenig später wurde das Projekt abgeblasen. Nach dem Tschernobyl-GAU fielen Wackersdorf, Wyhl und Kalkar, nach Fukushima acht alte Reaktoren und schrittweise der ganze Rest der deutschen Atom-Ära.

Das spricht Bände über das Verhältnis eines Staates zu seinen Bürgern: Mit aller Macht kämpften Regierungen und Vollzugsorgane jahrzehntelang gegen Bürgerinitiativen an - um dann erst im Lichte nuklearer Katastrophen Legitimationsdefizite festzustellen. Erklären lässt sich das nur durch das Verhältnis der Wachstumsrepublik Deutschland zu ihrer Wirtschaft, namentlich zu den Vertretern großer Energieversorger und -abnehmer. Die Angst vor dem Versorgungsengpass wog in diesem Land stets schwerer als die vor dem atomaren Störfall. Renitente Bürger nervten da nur.

Dieser Atomausstieg ist auch deshalb so bedeutsam, weil er Verhältnisse wieder zurechtrücken kann. Die Bundesregierung löst sich damit auch aus dem Spinnennetz der vier großen Stromkonzerne, die nach wie vor mit ihrem Strom vier von fünf Lampen leuchten lassen. Alternativen zum Atomstrom werden zunehmend aus dezentralen Gaskraftwerken kommen, in Ergänzung zur Elektrizität aus Wind, Sonne und Biomasse. Stadtwerke, Landwirte und Privatinvestoren werden künftig mehr Anteile am deutschen Strommarkt haben. Das stärkt den Wettbewerb und schwächt die Macht des deutschen Energie-Oligopols.

Bürger wiederum können beweisen, wie ernst es ihnen mit der Energiewende ist. Sie können selbst Stromerzeuger werden, mit Mini-Kraftwerken im Keller und Solarzellen auf dem Dach. Sie werden aber auch ertragen müssen, dass der Atomausstieg dieses Land zwar objektiv sicherer macht, aber nicht unbedingt hübscher. Auseinandersetzungen über neue Strommasten und Windräder werden jene über die Atomkraft ablösen. Nur wird darüber nie mehr so erbittert gestritten werden wie einst über die Atomkraft. Damals, vor Fukushima.

Über Jahrzehnte hinweg dominierte die Kernkraft jede Energiedebatte. Stets blieb unsicher, welche Rolle sie wie lange noch spielen würde. Allein das vereitelte einen Umbau der Stromversorgung. Der neue, breite Atomkonsens macht den Weg dazu nun frei. Die schwierigen Fragen aber stehen erst an: Wie soll eine Stromerzeugung, die stets auf Großkraftwerken basierte, mehr schwankenden Ökostrom verkraften? Welche Infrastruktur braucht ein Land, wenn sich immer mehr Bürger selbst mit Strom versorgen? Wie viel Kohlestrom wird Deutschland noch brauchen, und wie lange? Und auch: Wie viel darf der Umbau kosten?

Es passiert selten, dass ein Staat absichtsvoll einen technologischen Pfad verlässt, den er lange Zeit verfolgte; das macht den 30. Juni 2011 nicht nur für die Bundesrepublik, sondern auch für das Ausland so besonders. Wenn der Umbau hin zu erneuerbaren Energien gelingt, wirkt das weit über Deutschland hinaus. Es wird anderswo die Frage aufwerfen, ob die Atomkraft samt ihren Risiken und Abfällen noch Zukunft hat. Der Zweifel wurzelt in Wyhl, Wackersdorf, Kalkar.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: