Atomausstieg: Position der Anti-AKW-Bewegung:Es geht doch viel schneller

Die Grünen halten sich immer noch für die Anti-Atom-Partei schlechthin. Trotzdem wollen sie dem schwarz-gelben Atomausstieg ihr Placet geben. Doch damit droht der Partei das Schicksal der Steuersenkungspartei FDP - und Deutschland neuer Druck der Atom-Lobby. Dabei wäre ein Ausstieg schneller möglich, sogar sofort, argumentieren Anti-AKW-Aktivisten.

Jochen Stay

Bei uns Atomkraftgegnern gibt es derzeit drei sich mischende Gefühlszustände: Da ist weiter Erschrecken über die Neuigkeiten aus Fukushima. Daneben gibt es große Freude darüber, dass sieben bis acht Atomkraftwerke in Deutschland endgültig stillgelegt werden, was kein Verdienst der Kanzlerin ist, sondern von einer unermüdlichen Protestbewegung in den letzten Monaten erzwungen wurde.

Atom-Moratorium laut Gutachten kein Grund fuer Strompreiserhoehungen

Schwarz-gelb hat den Atomausstieg beschlossen - doch für die Anti-AKW-Bewegung ist das kein Grund sich zurückzulehnen. Es geht schneller, sagen die Aktivisten.

(Foto: dapd)

Und schließlich befürchten wir, dass der langfristige Weiterbetrieb von neun Reaktoren doch wieder dazu führen kann, einen schon einmal beschlossenen Atomausstieg wieder zu kippen.

Viele Journalisten - und vor allem Journalisten - reagieren mit Unverständnis darauf, dass wir angesichts des tatsächlich beachtlichen Kurswechsels der Bundesregierung, nicht bereit sind mitzutragen, was nun beschlossen wird, sondern weiter für eine schnellere Stilllegung der Atomkraftwerke streiten.

Dabei würde niemand einem Marathonläufer beim Schild "Noch zehn Kilometer bis zum Ziel" zurufen, jetzt habe er doch alles erreicht, könne sich freuen und zur Ruhe setzen. Nein, man würde ihn anspornen, alle Kräfte zu mobilisieren, um das Ziel auch wirklich zu erreichen.

Doch die gleichen Fragen, das gleiche Unverständnis, habe ich - und viele andere mit mir - vor zehn Jahren aufgrund meiner kritischen Haltung zur rot-grünen Atompolitik schon einmal ausgelöst. Damals hieß es: Jetzt haben sogar die Stromkonzerne dem Ausstieg zugestimmt, damit ist er doch unumkehrbar.

Zweifel an der Unumkehrbarkeit

Dann folgte eine Phase von zehn Jahren, in der nur die zwei kleinsten Reaktoren stillgelegt wurden, die 17 großen aber weiterliefen: von Ausstieg keine Spur. Und es endete mit der Laufzeitverlängerung im letzten Herbst.

Jetzt heißt es wieder: Wenn diesmal sogar Union und FDP den Ausstieg beschließen, dann ist er doch jetzt unumkehrbar. Aber bis die letzten sechs Atomkraftwerke nach jetzigem Plan 2021/22 stillgelegt werden sollen, wird der Deutsche Bundestag noch mindestens dreimal neu gewählt. Wird es dann noch eine Rolle spielen, was eine Kanzlerin kurz nach Fukushima für richtig hielt? Das kann heute niemand garantieren.

Die FDP beginnt ja schon jetzt, sich vorsichtig davon abzusetzen. Und die Stromkonzerne als AKW-Betreiber haben in den letzten Tagen mehr als deutlich gemacht, dass sie nicht bereit sind, die Beschlüsse der Regierung zu akzeptieren, sondern alles dafür tun werden, dass sie ihre lukrativsten Kraftwerke noch länger betreiben können. Sie haben zehn Jahre Zeit dazu, den Beschluss zu kippen. Das nächste Projekt Laufzeitverlängerung hat bereits begonnen.

Keinen Raum für die Laufzeitverlängerer

Doch nicht nur wegen der Revidierbarkeit der jetzt festgelegten Abschalt-Termine habe ich große Probleme mit der Atompolitik der Kanzlerin. Sondern auch, weil sie ihre eigenen Ankündigungen nach Fukushima nicht ernst nimmt. Natürlich ist der jetzt beschlossene Ausstieg nicht der schnellstmögliche, den Merkel ursprünglich zugesagt hat, sondern es ist das längste, was sie in dieser Gesellschaft gerade noch für durchsetzbar hält.

Ein Gesicht des Widerstandes

Jochen Stay, geboren 1965 in Mannheim, gehört seit drei Jahrzehnten der Anti-AKW-Bewegung an. Er ist Sprecher der Organisation "ausgestrahlt - gemeinsam gegen Atomenergie".

(Foto: dapd)

56 Prozent der Bevölkerung wollen nach der neusten Forsa-Umfrage den Ausstieg sofort oder spätestens in fünf Jahren. Selbst ausgewiesene Atomkraft-Freunde in der Ethikkommission wie Walter Hirche (FDP) oder Jürgen Hambrecht (BASF) haben das Abschlussdokument mitgetragen, in dem ein Ausstieg als machbar bezeichnet wird, der bis spätestens Mitte 2021 und eigentlich sogar schneller abgeschlossen ist.

Das Umweltbundesamt und andere Experten kommen noch zu deutlich schneller machbaren Ausstiegsszenarien. Ja, selbst ein Sofortausstieg ist nicht völlig unmöglich, wenn Spitzenlasten anders als bisher gemanagt werden und die Großstädte im nächsten Winter weniger Weihnachtsbeleuchtung einsetzen.

In der Industrienation Frankreich befürchten sie derzeit übrigens einen Blackout, weil die 58 Atomkraftwerke des Landes aufgrund der Trockenheit nicht mehr genügend Kühlwasser aus den Flüssen pumpen können. So viel zum Thema Versorgungssicherheit. Die Grande Nation wird davon nicht untergehen. Und Japan kämpft gerade mit ganz anderen Problemen.

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer erklärte kürzlich in einem Interview mit dem Spiegel seinen Paradigmenwechsel nach Fukushima: "Nachdem, was wir dort jetzt erlebt haben, bin ich dafür, dass wir nicht nach Wahrscheinlichkeiten gehen, sondern nach Möglichkeiten. Also nicht berechnen, wie wahrscheinlich ist es, dass ein Großraumflugzeug exakt auf ein Kraftwerk fällt, sondern zu fragen, ob es möglich ist. Und wenn es möglich ist, dann müssen wir es dagegen absichern."

Atomkraft - zu riskant für Versicherer

Inzwischen liegen diese Berechnungen vor: Die Reaktorsicherheitskommission hat ermittelt, dass keines der 17 deutschen Atomkraftwerke gegen den Absturz eines großen Passagierflugzeugs ausreichend gesichert ist. Die Reaktoren können nicht zu vertretbaren Kosten abgesichert werden.

Nehmen wir die Versicherungswirtschaft als neutralen Ratgeber, wie lange der Weiterbetrieb der AKW noch zu verantworten ist, dann ist das Ergebnis eindeutig: Sofortausstieg! Für keinen Reaktor, auch nicht den allermodernsten, würde sich ein Haftpflichtversicherer finden, der bereit wäre, das Risiko zu übernehmen.

Der Konflikt um die Atomenergie wird also weitergehen, selbst wenn sich SPD und Grüne dem publizistischen Druck beugen und dem neuen Atomgesetz zustimmen. Doch noch bleibt zu hoffen, dass dies nicht geschieht. Denn der größte rot-grüne Fehler vor zehn Jahren war es, dass sie damals dachten, der Konflikt sei befriedet und damit das Feld den PR-Abteilungen und Strommengen-Jongleuren der AKW-Betreiber überließen.

Ohne nennenswerten Widerstand wurde Raum preisgegeben, den die Laufzeitverlängerer füllen konnten. Der Rat des damaligen Bundesumweltministers Jürgen Trittin an seine Parteifreunde, weder sitzend, stehend, singend noch tanzend zu demonstrieren, erwies sich als die falsche Strategie.

Die Grünen sagen von sich, sie seien die Anti-Atom-Partei. Doch mit der Zustimmung zum Weiterbetrieb von Atomkraftwerken über mehr als elf Jahre und dem Weiterbau des Atommüll-Endlagers im dafür völlig ungeeigneten Salzstock Gorleben droht den Grünen das Schicksal einer bekannten Steuersenkungspartei, die die Erwartungen ihrer Wählerinnen und Wähler nicht erfüllen konnte.

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