Süddeutsche Zeitung

Atomausstieg:FDP hadert mit der Energiewende

Die Energiewende ist beschlossene Sache - doch sowohl in der Union als auch in der FDP stößt der Kabinettsbeschluss auf Widerstand: Einen Tag nach der Entscheidung distanziert sich FDP-Generalsekretär Lindner bereits öffentlich von dem schwarz-gelben Konzept und warnt die Union vor Entschädigungszahlungen. Ein Protestbrief von RWE-Chef Großmann an Kanzlerin Merkel scheint seine Haltung zu bestätigen.

Bei der Pressekonferenz am Vortag, auf der die schwarz-gelbe Koalition die Kabinettsbeschlüsse zur Energiewende vorstellte, blickte FDP-Chef Philipp Rösler recht mürrisch drein. Am Tag nach der Wende lässt FDP-Generalsekretär Christian Lindner das liberale Unbehagen am Konzept zum Atomausstieg öffentlich durchblicken.

Der schwarz-gelbe Ausstiegsplan sei "nicht FDP-Politik pur", sagte Lindner dem Kölner Stadt-Anzeiger. "Es gibt eine ganze Reihe von nicht marktwirtschaftlichen Instrumenten, die wir hier aus Gründen der Koalitionsräson akzeptieren mussten." Man werde sehen, ob sich das bis 2022 alles so realisieren lasse. Die FDP habe aber "volles Vertrauen" in Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU).

Zugleich warnte Lindner die Union vor Entschädigungszahlungen: "Wir sind uns nicht sicher, ob es nicht zu Entschädigungszahlungen kommen wird", sagte er. "Wir hätten vielleicht Vorsorge getroffen. Aber seitens der Union wurde gesagt, das sei nicht erforderlich." Sie trage nun auch die Verantwortung.

Auch im Handelsblatt klagte Lindner, die FDP habe darauf hingewiesen, "dass die Klagen der Energiekonzerne nicht chancenlos sind". Doch weder Merkel noch CSU-Chef Horst Seehofer hätten auf die FDP gehört.

CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt sagte am Dienstag, sie sei verwundert über die Einlassungen Lindners und bedauere die Äußerungen. Man habe sich mit der FDP in der Sache auseinandergesetzt und gemeinsame Beschlüsse getroffen. Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Peter Altmaier (CDU), erklärte, die Kabinettsentscheidung für einen Ausstieg bis 2022 sei einstimmig erfolgt. Er sehe keinen Anlass für Koalitionsdebatten.

In der FDP-Bundestagsfraktion sind allerdings Lindner zufolge noch fünf Abgeordnete unentschieden, ob sie den Ausstiegsgesetzen zustimmen wollen. In der Unionsfraktion hatte es am Montag bei der Abstimmung über das Atompaket acht Neinstimmen und acht Enthaltungen gegeben. Fraktionschef Volker Kauder (CDU) geht aber trotzdem davon aus, dass in der Koalition eine "klare Zustimmung" erreicht wird.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) warb derweil für einen parteiübergreifenden Konsens. "Jedes Konzept, das mehrere Jahrzehnte Planungszeitraum umfasst, karikiert sich selbst, wenn es nur auf der parlamentarischen Mehrheit einer Legislaturperiode beruht", sagte der CDU-Politiker dem Kölner Stadt-Anzeiger. Den Plan, die Gesetze bis zum 8. Juli durch Bundestag und Bundesrat zu bringen, nannte er "ehrgeizig, aber machbar".

Die meisten SPD-Abgeordneten wollen dem Ausstiegsgesetz im Bundestag aller Voraussicht nach zustimmen. Dies zeichnete sich am Montagabend bei einer Debatte in der SPD-Fraktion in Berlin ab. Unwahrscheinlich ist aber, dass die Sozialdemokraten auch alle übrigen Gesetze für die geplante Energiewende mittragen werden. Die Grünen wollen einen Sonderparteitag am 25. Juni darüber entscheiden lassen. Die Linke fordert, den Atomausstieg im Grundgesetz zu verankern.

RWE-Chef Großmann schickt Protestbrief an Merkel

Unterdesssen wird die Kritik der Kernkraftbetreiber an der Berliner Kehrtwende immer lauter. RWE-Chef Jürgen Großmann sandte nach Informationen der Financial Times Deutschland noch am Sonntag einen Protestbrief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, in dem er den Atomausstieg in mehreren Punkten kritisiert. Im Mittelpunkt stehen dem Bericht zufolge Befürchtungen, dass die Atomkonzerne die ihnen zustehenden Reststrommengen nicht mehr ausnutzen können, nachdem die Bundesregierung für jeden einzelnen Reaktor ein definitives Abschaltdatum festgelegt hat.

Demnach bleiben die vier Kernkraft-Unternehmen Eon, RWE, EnBW und Vattenfall nach Befürchtungen der Branche auf Lizenzen zur Produktion von 60 bis 80 Terawattstunden Atomstrom sitzen, wenn der letzte Meiler abgeschaltet wird. Bei heutigen Strompreisen von rund 60 Euro je Megawattstunde entspräche das nach Konzernrechnungen einem Schaden zwischen 3,6 und 4,8 Milliarden Euro.

Großmann moniere in dem Schreiben zudem, so die Zeitung weiter, dass die Wahl der Abschaltdaten nicht nachvollziehbar sei. So solle der Reaktor Gundremmingen C im Jahr 2021 vom Netz, während der baugleiche und nur wenige Monate früher in Betrieb gegangene Block B bereits 2017 abgeschaltet werden solle. Großmann fordert in dem Schreiben, dass auch Gundremmingen B erst 2021 vom Netz gehen solle. So könne RWE sicherstellen, dass es seine Strommengen nicht unter Wert veräußern müsse.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sieht im Atomausstieg eine Bedrohung für den Industriestandort Deutschland. Ein Anstieg der Energiekosten würde vor allem energieintensive Unternehmen wie Kunststofferzeuger, Chemie und Zementhersteller gefährden, warnte DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann in einem Interview der Passauer Neuen Presse. Sie seien schon bei geringen Strompreissteigerungen am Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig. "Und daran hängen hierzulande unmittelbar rund eine Million Arbeitsplätze", warnte Driftmann.

Die Deutsche Energieagentur (Dena) zog die Atomausstiegspläne der Bundesregierung in Zweifel. Dena-Geschäftsführer Stephan Kohler sagte: "Die nächsten Atomkraftwerke werden bereits 2015 abgeschaltet." Insbesondere in Süddeutschland würden neue Gas- und Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 10.000 Megawatt benötigt. "Wenn wir dieses Ziel nicht erreichen, werden wir es mit Stromengpässen zu tun haben", sagte er. Die Dena-Experten rechneten damit, dass Milliarden-Investitionen für den Ausbau erneuerbarer Energieträger, für neue Stromleitungen und zusätzliche Kraftwerke fällig werden. "Die Energiewende hat ihren Preis - auch für die Verbraucher", sagte Kohler. Die Dena gehört zur Hälfte dem Bund, zur anderen Hälfte der staatlichen KfW, der Allianz, der Deutschen Bank und der DZ Bank.

Der Deutsche Bauernverband witterte eine neue Einnahmequelle. Bauernpräsident Gerd Sonnleitner forderte höhere Entschädigungen für Flächen, die sie im Zuge der Energiewende für neue Strommasten und Hochspannungsleitungen bereitstellen sollen. "Wir haben kein Verständnis dafür, dass die Landwirte weiterhin auf billigste Art und Weise Land opfern sollen", sagte er. Bisher erhielten die Bauern nur einmalig 10 bis 20 Prozent des Grundstückswertes der betroffenen Flächen. "Künftig wollen wir eine Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes der Wege- und Leitungsrechte - und zwar wiederkehrend", sagte Sonnleitner.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1105901
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Reuters/AFP/dpa/dapd/hü/hai
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.