Süddeutsche Zeitung

Atomaufsicht rügt Vattenfall:Pannen in schwedischem Atomreaktor

Die Pannenserie beim Energiekonzern Vattenfall hält an: In einem schwedischen Kernreaktor kam es zu "extrem schweren" Störfällen.

Kurz nach der Panne im deutschen Atomkraftwerk Krümmel bei Hamburg sind auch neue Probleme mit schwedischen Kernreaktoren des Vattenfall-Konzerns bekanntgeworden. Wie der Rundfunk in Stockholm am Dienstagabend berichtete, droht Schwedens Strahlenschutzbehörde nach 60 Berichten über kleine oder mittlere Pannen im Atomkraftwerk Ringhals mit einer verschärften Aufsicht.

Die schwedische Atomaufsichtsbehörde hat zwei "extrem schwere" Störfälle im schwedischen Atomkraftwerk Ringhals gerügt. Noch im Laufe dieses Mittwochs solle entschieden werden, ob das von den Energiekonzernen Vattenfall und Eon betriebene Atomkraftwerk unter verschärfte Aufsicht gestellt werden solle, sagte ein Sprecher der Behörde, Mattias Skold, in Stockholm.

Verfall der Sicherheitskultur

Ende vergangenen Jahres habe das automatische Sicherheitssystem versagt und Anfang dieses Jahres hätten Kontrollstäbe zur Steuerung der Reaktoraktivität nicht funktioniert, sagte Skold. In Ringhals produzieren vier Reaktoren ein Fünftel der schwedischen Elektrizität. Nach einer Serie von Zwischenfällen im Kernkraftwerk Forsmark ab 2006 hatten Vattenfall-Mitarbeiter einen "Verfall der Sicherheitskultur" kritisiert.

Nach der Panne im Atomkraftwerk Krümmel bei Hamburg haben Politiker von SPD und Grünen die Kunden des Betreibers Vattenfall zum Wechsel des Stromanbieters aufgefordert. "Dieser Pannen-Konzern muss spüren, dass man ihm nicht mehr vertraut", sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Renate Künast. "Die Kunden von Vattenfall sollten den Atomausstieg vorziehen und zu einem Ökostromanbieter wechseln." Der Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Ulrich Kelber, sagte: "Vattenfall-Kunden, die das Verhalten des Konzerns für inakzeptabel halten, können zwischen Dutzenden anderen Stromanbietern wählen und dadurch Druck machen."

Personelle Konsequenzen

Ein Trafo-Kurzschluss hatte am Wochenende zur Schnellabschaltung des Reaktors geführt. Nach Angaben des Betreibers sollen beide Transformatoren nicht mehr repariert, sondern durch neue ersetzt werden. Krümmel werde daher nach jetzigem Stand zehn Monate stillstehen. Der Atommeiler war erst vor zwei Wochen wieder ans Netz gegangen, nachdem er wegen einer ähnlichen Panne im Sommer 2007 zwei Jahre keinen Strom liefern konnte.

Der schwedische Energiekonzern Vattenfall hat inzwischen Fehler eingeräumt und erste personelle Konsequenzen gezogen. Er entband den bisherigen Kraftwerksleiter Hans-Dieter Lucht von seinen Aufgaben. Vattenfall gestand, dass eine Messeinrichtung des Transformators vor dem Wiederanfahren des Atomkraftwerks vor rund zwei Wochen nicht installiert worden war.

Nur noch ein "letzter Versuch"

Die neuerliche Panne wird an diesem Mittwoch auch die Hamburger Bürgerschaft in einer Aktuellen Stunde beschäftigen. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) räumte dem Betreiber noch einen "letzten Versuch" ein, die Probleme mit dem Kraftwerk in den Griff zu bekommen. "Wenn es dort wieder zu einer solchen Situation kommt, dann kümmere ich mich darum, dass dieses Kernkraftwerk abgeschaltet wird", sagte er am Dienstag nach einem Gespräch mit Vattenfall-Chef Tuomo Hatakka in Kiel.

Laut Berliner Zeitung hat die Bundesregierung in Antworten auf parlamentarische Anfragen der Grünen bereits 2006 und 2007 eingeräumt, dass Atomkraftwerke älterer Bauart wie Krümmel oder Biblis technisch rückständig seien. "Die neueren Siedewasserreaktoren sowie die Druckwasserreaktoren der dritten oder vierten Generation haben grundsätzlich bessere Sicherheitseigenschaften", heißt es in einer Antwort der Regierung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen, die auch sueddeutsche.de vorliegt. Beim Meiler Krümmel handelt es sich um einen Siedewasserreaktor älterer Bauart.

In einer Antwort auf eine weitere Anfrage geht die Regierung dem Bericht zufolge noch weiter. Die älteren Meiler entsprächen "nicht dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik" und gehörten "nicht zu den weltweit hochmodernsten und sichersten Atomkraftwerken", heißt es da.

RWE-Vorstandschef Jürgen Großmann verteidigte in einem Interview der Bild die Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke. "Die Kernkraftwerke in Deutschland arbeiten alle auf höchstem internationalem Niveau", sagte er. "Es ist kein einziges Kraftwerk in Betrieb, das nicht sicher ist. Auch ältere Kernkraftwerke in unserem Land sind auf Top-Niveau. Ohne Abstriche." Im internationalen Vergleich seien die "alten Anlagen" in Deutschland noch jung. Anderswo liefen sie doppelt so lange. Zudem würden die deutschen Kernkraftwerke so streng überwacht wie sonst nirgends.

"Technologische Museumsstücke"

Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Fritz Kuhn sprach sich in der Süddeutschen Zeitung dafür aus, den Atomausstieg zu beschleunigen. "Alte Meiler wie Krümmel oder Neckarwestheim sollten früher abgeschaltet werden." Sie seien schon heute "technologische Museumsstücke".

Der frühere Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) warnte unterdessen seine Partei davor, mit dem Thema Atompolitik in den Wahlkampf zu ziehen. "Für die SPD als Arbeitnehmerpartei ist das sehr problematisch", sagte er der Tageszeitung Die Welt. "Bei der Atomenergie in Deutschland geht es um 40.000 Arbeitsplätze." Außerdem könne man "ohne die Atomenergie die Herausforderungen des Klimawandels nicht bestehen".

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) drängt angesichts des neuen Störfalls in Krümmel darauf, die acht ältesten Atomkraftwerke in Deutschland abzuschalten und die Restlaufzeit auf neuere zu übertragen.

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