Süddeutsche Zeitung

Atom-Vorwürfe gegen Iran:"Man kann Wissen nicht wegbomben"

  • Israel behauptet Beweise zu haben, die aus einem iranischen "Atom-Archiv" stammen.
  • Tel Aviv hat angekündigt, der Internationalen Atomenergiebehörde die neuen Dokumente zu übergeben.
  • Der ehemalige Chefinspektor der Behörde hofft, dass die Zehntausenden Seiten neue Erkenntnisse bringen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Die entscheidenden Sätze stehen am Ende. Zur Präsentation des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu über das "nukleare Archiv" aus Iran schreibt die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA): "In Übereinstimmung mit der regelmäßigen Übung der IAEA bewertet die IAEA alle relevanten Informationen, die ihr im Zusammenhang mit Kontrollabkommen zur Verfügung stehen. Zugleich nimmt die IAEA nicht öffentlich Stellung zu Fragen, die solche Informationen betreffen."

Übersetzt heißt das: Die Inspektoren werden sich das Material anschauen, das Israel ihnen angekündigt hat. Wenn sie es gesichtet und bewertet haben, werden sie entscheiden, wie sie damit umgehen. "Inhaltlich hat sich die IAEA nicht geäußert zu den Enthüllungen", sagt Mark Hibbs. Der Experte bei der US-Denkfabrik Carnegie beobachtet die Organisation seit Jahrzehnten.

Gewundert werden die Inspektoren sich nicht haben. "Viele Informationen aus der Präsentation hat die IAEA schon zu Gesicht bekommen", sagt Olli Heinonen. Der ehemalige IAEA-Chefinspektor ist heute Berater der amerikanischen Foundation for Defense of Democracy, die das Atomabkommen mit Iran kritisch sieht. Manches hatte Heinonen schon verwendet, als er im 2008 den Gouverneursrat der Behörde über Erkenntnisse zu Irans geheime Entwicklungsarbeiten für eines Atomsprengkopfes informierte.

Aber wenn die Zahlen zutreffen - 55 000 Seiten Akten und noch einmal so viele Dokumente auf CDs - dann "sind dort vermutlich auch neue Informationen enthalten über Orte und Experimente, die man noch nicht kannte", sagt Heinonen. Das sind mögliche Anknüpfungspunkte für neue Untersuchungen.

"Wenn man das Abkommen wegwirft, löst das nicht die Probleme"

Ohnehin sei die IAEA bei der Aufklärung der "möglichen militärischen Dimensionen" in Iran nicht sonderlich weit gekommen, findet Heinonen. Zwar hat sie Ende 2015 auf 16 Seiten eine Einschätzung dazu abgegeben, nach der es in Iran "bis Ende 2003 koordinierte Anstrengungen gab, die für die Entwicklung eine Sprengkopfes relevant sind" und weitere Aktivitäten bis 2009. Der Bericht sei eine Voraussetzung für das Inkrafttreten des Atomabkommens gewesen. Er habe keineswegs alle Fragen geklärt.

So hätten die Inspektoren Orte von Interesse nicht besuchen können, kritisiert Heinonen. Und Iran habe ihnen verweigert, Wissenschaftler zu befragen, allen voran Mohsen Fakhrizadeh, den Atomphysiker und Revolutionsgarden-General, der das Bomben-Projekt geleitet haben soll. In den Dokumenten gebe es auch Fotos von Gerätschaften, deren Verbleib geklärt werden müsse - sie lagen offenbar nicht in dem Lagerhaus im Süden Teherans, aus dem der Mossad die Dokumente der offiziellen israelischen Version zufolge entwendet hat.

Wenn die IAEA davon ausgehe, dass Iran an der Bombe gearbeitet habe, dann "sollte sie sich vor allem dafür interessieren, womit Fakhrizadeh und seine Leute sich beschäftigt haben", seit Iran US-Geheimdiensten zufolge das Projekt Ende 2003 eingemottet hat. Das müsse geklärt werden, bevor Iran nach dem Auslaufen der entsprechende Begrenzungen des Atomabkommens zwischen 2025 und 2030 seine Uran-Anreicherung wieder hochfahren dürfe, sagt Heinonen.

Mechanismen dazu bietet die Kontrollvereinbarung zwischen der IAEA und Iran sowie das Atomabkommen mit den fünf UN-Vetomächten und Deutschland.

Es wäre ein eleganter Weg für US-Präsident Donald Trump, auf diese Weise Iran und letztlich die Europäer in die Zange zu nehmen: Verweigert Teheran Inspektionen, etwa weil sie eine Militäranlage betreffen, könnte das ein Bruch des Abkommens sein - und der Druck auf die EU steigen, die Sanktionen wieder einzusetzen. Lässt sich Iran darauf ein, könnten die Europäer und die USA gemeinsam auf weitergehende Kontrollen drängen. Aber dafür müsste Trump wohl in dem ihm verhassten Abkommen bleiben, das auch Heinonen für verbesserungsbedürftig hält. "Wenn man das Abkommen wegwirft, löst das nicht die Probleme", sagt er, "und auch ein Militärschlag hilft da nicht - man kann Wissen nicht wegbomben."

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