Atom-Debatte:Zurück in alte Muster

Acht Jahre nach dem Atomkonsens steht die Politik wieder am Anfang. Die Gesellschaft ist gespalten, der Atomausstieg wieder Thema im Wahlkampf. Das könnte vor allem Grünen und FDP schaden.

Elmar Jung, Berlin

Es ist eine unverhohlene Drohung, die Renate Künast da im Plenum des Bundestags ausspricht. "Wenn Ihr den Konsens aufknüpft, knüpfen wir ihn eben auch wieder auf", ruft die Grünen-Fraktionsvorsitzende den Abgeordneten von Union und FDP entgegen.

Atom-Debatte: Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast neben einem Emblem der Atomkraftgegner: Die alten Gräben brechen wieder auf.

Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast neben einem Emblem der Atomkraftgegner: Die alten Gräben brechen wieder auf.

(Foto: Foto: dpa)

Das hat gesessen, und es klingt nach Kampf. Wer gesehen hat, wie sich grüne Spitzenpolitiker am vergangenen Wochenende unter die 17.000 Demonstranten bei den Castor-Protesten mischten, weiß, wie ernst es der Ökopartei ist.

Vorbei ist die Zeit, als der Umweltminister Jürgen Trittin hieß und die Grünen die Castor-Proteste als Ritual abqualifiziert haben, als Flucht vor der Verantwortung, Atommüll zurückzunehmen. Jetzt gehen sie wieder auf die Straße. Nur vordergründig geht es dabei um die Endlager-Diskussion in Gorleben oder um die Strahlenwerte verschiedener Container-Typen. Es geht um die Frage nach der Zukunft der Atomkraft in Deutschland.

Die schien eigentlich geklärt zu sein. Der von Rot-Grün und den Energieversorgungsunternehmen im Jahr 2000 ausgehandelte Kompromiss, bis 2020 alle Atommeiler vom Netz zu nehmen, war nicht nur ein klares Bekenntnis für alternative Energien, er hat eine 30 Jahre lange Spaltung der Gesellschaft beendet.

Jetzt brechen die alten Gräben wieder auf. Nicht nur in der Bevölkerung, auch in der Politik. Die CDU hat bereits im Juni in einem Grundsatzpapier zur Umwelt- und Energiepolitik beschlossen, die Atomreaktoren länger als vorgesehen am Netz zu lassen. Die FDP hielt vom Atomausstieg ohnehin nie viel, und Grüne und SPD wollen an ihm festhalten. Um jeden Preis.

Acht Jahre nach dem Atomkonsens steht die Politik wieder am Anfang. Die Gesellschaft ist gespalten. Der Atomausstieg ist wieder Wahlkampfthema.

Befeuert wird der neu aufgeflammte Konflikt auch durch den Graben, der sich in dieser Frage quer durch die Bevölkerung zieht. 49 Prozent der Bundesbürger sind auch weiterhin für einen Ausstieg, aber fast genauso viele, nämlich 48 Prozent, befürworten das Festhalten an der Kernenergie.

Das Lager der Kernkraft-Befürworter hat vor allem in den vergangenen Monaten und Jahren wieder nennenswerten Zulauf bekommen. Nachrichten über die rasant ansteigenden Energiepreise und die Finanzkrise, die wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Deutschen hängt, scheinen viele Bürger ihre Ängste vor Atomunfällen vergessen zu lassen. Noch im September 2004 waren 64 Prozent für und nur 33 Prozent gegen einen Ausstieg aus der Atomenergie, knapp eineinhalb Jahre später, im Januar 2006, waren nur noch 55 Prozent für einen Ausstieg und bereits 42 Prozent gegen ihn.

Einen Vorgeschmack auf den erbitterten Streit bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr gibt Renate Künast. Da spricht sie wieder von "diesen Lobbyisten im Nadelstreifenanzug" und bezeichnete die FDP als "politischen Arm" eben jener Damen und Herren.

Die FDP stellt ihrerseits in alter Manier die Grünen an den Pranger und wirft ihnen vor, "junge Demonstranten zum Rechtsbruch zu ermuntern" (Angelika Brunkhorst).

Dabei ist es gerade für die beiden kleinen Parteien gefährlich, die Atomenergie zum Wahlkampfthema zu machen. Es würde bedeuten, einen klassischen Lagerwahlkampf zu führen, den sich keiner von beiden wünschen kann.

Wer sich vor der Wahl unversöhnlich gegenübersteht, kann nach der Wahl nicht so einfach zur Tagesordnung übergehen und gemeinsam in einer Koalition Politik machen. Genau das wird jedoch auf Grüne und FDP unweigerlich zukommen, wollen sie eine große Koalition verhindern und sich selbst in eine politische Mitbestimmungsposition bringen.

Sowohl Rot-Grün als auch Schwarz-Gelb werden wahrscheinlich nicht genügend Stimmen auf sich vereinen, um eine stabile Mehrheit bilden zu können. Es wird ein Lagerwechsel nötig sein, um einen zusätzlichen Partner ins Boot zu holen. Nach acht Monaten knallhartem Lagerwahlkampf kaum vorstellbar.

Die Situation wäre ebenso festgefahren wie bei der Bundestagswahl 2005, als alle Parteien im Vorfeld gar nicht deutlich genug sagen konnten, mit wem sie auf keinen Fall koalieren möchten. Was blieb, war die große Koalition. Deren Neuauflage zu verhindern, ist aber erklärtes Ziel von FDP und Grünen.

Natürlich werden sich die Grünen nicht völlig zurücknehmen können. Ebenso wenig, wie es der FDP möglich wäre, von ihrer Ur-Forderung nach Steuersenkungen Abstand zu nehmen. Schon länger sucht die Ökopartei nach einer Möglichkeit, endlich wieder Profil zu zeigen, das ihnen in den vergangenen Jahren etwas abhandengekommen ist. Die Kernenergie ist da eine verlockende, weil scheinbar einfache Methode, die eigene Wählerschaft zu mobilisieren.

Wenn die Grünen aber Gefangene ihrer alten Kampfrhetorik werden, verlieren sie die Chance, nach der nächsten Bundestagswahl mitzuregieren.

Aber auch die Union könnte mit dieser Taktik auf die Nase fallen. War sie es doch, die den Atomausstieg bei Eintritt in die große Koalition mitgetragen hat. Allen voran Kanzlerin Angela Merkel ließ mit Rücksicht auf den Koalitionsfrieden lange keinen Zweifel daran, dass für sie der Ausstieg verbindlich ist.

Das war gestern. Heute sind Laufzeitverlängerungen von modernen Atommeilern denkbar. Atomausstieg? "Übermorgen" und "vielleicht", wie es der CDU-Abgeordnete Joachim Pfeiffer jüngst im Bundestag formulierte.

Es ist zu erwarten, dass sich die Union in dieser Frage im Wahlkampf klar vom Koalitionspartner SPD abgrenzen wird. Nach vier Jahren Zwangskuscheln ist das Verlangen nach direkter Konfrontation wieder groß.

Die SPD muss bei der Wahlschlacht wohl oder übel mitmachen, will sie sich nicht die in ihren Augen größte Errungenschaft rot-grüner Politik kaputtmachen lassen. Wohl ist ihr dabei nicht. Fast schon in dunkler Vorahnung sagte der Abgeordnete Christoph Pries im Bundestag: "Der Atomausstieg - das wird kein Gewinnerthema."

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