Atom-Debatte:Angela Merkel reist in die Zukunft

Atomkraftwerke? Die lässt Angela Merkel auf ihrer Energie-Reise weitgehend links liegen. Die Bundeskanzlerin besucht Windparks und Biogas-Anlagen. Doch die Branche nimmt ihr die "Öko-Botschafterin" nicht mehr ab.

Michael Bauchmüller

Carinerland hat ein Ziel, und die Kanzlerin hat auch eines. Carinerland, eine Gemeinde an der Ostseeküste, will sich irgendwann völlig unabhängig mit Energie versorgen. Einen kleinen Windpark mit 14 Mühlen hat die 1200-Einwohner-Gemeinde schon, dazu erste Solaranlagen, ein Biogas-Kraftwerk.

Windkraft, dpa

Strom durch Windkraft - davon träumt auch die Bundeskanzlerin: Geht es nach Angela Merkel (CDU), könnten in sehr ferner Zukunft erneuerbare Energien die deutsche Stromversorgung dominieren.

(Foto: dpa)

Carinerland für ganz Deutschland

Mit überschüssigem Strom will sie dereinst Wasserstoff erzeugen, aus dem sich dann wieder Strom machen lässt - wenn der Wind einmal nicht weht oder die Sonne nicht scheint. Bis zum Jahr 2020, so die Planung, sollen Carinerland und Umgebung völlig energieautark sein.

So etwas Ähnliches schwebt der Kanzlerin auch vor, allerdings für ganz Deutschland. In sehr ferner Zukunft könnten erneuerbare Energien die deutsche Stromversorgung dominieren. Und deswegen fährt Angela Merkel an diesem Mittwoch nach Carinerland.

Dort, nicht weit von Rostock, wird sie sich eine Windkraftanlage von innen anschauen, Kinder werden ihr selbstgebastelte Windräder überreichen. Eine gute Stunde lang bleibt die Kanzlerin im Windpark, gleich anschließend reist sie zum Rostocker Werk des Windmühlen-Herstellers Nordex.

Wenn schon Wind die wichtigste erneuerbare Ressource der Zukunft sein soll, will Merkel mehr über das boomende Geschäft mit den Windrädern wissen. Denn die Kanzlerin ist auf Energiereise.

Der Trip nach Mecklenburg-Vorpommern ist der Auftakt einer Reihe von Abstechern ins Herz der deutschen Energieversorgung. Am Donnerstag schon wird die Kanzlerin in Leipzig erwartet, wo die deutsche Strombörse EEX ihren Sitz hat. Ein großer Teil der deutschen Elektrizität wird hier gehandelt, letztlich entstehen hier die Preise. Mit dem Besuch verbinde sich auch die Botschaft, "dass der Wettbewerb gestärkt werden muss", sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. Insbesondere wolle Merkel jedoch Dinge verstehen. "Das wird eine Lernreise", sagt Seibert.

Vor allem aber dürfte es wohl eine PR-Reise werden, denn Merkel sucht noch nach guten Argumenten für das Energiekonzept der Bundesregierung. Das soll bis Ende September in groben Zügen stehen, konkrete Verhandlungen werden Ende dieses Monats beginnen. Dann liegt die wissenschaftliche Grundlage für das Konzept vor, ein Konvolut von Berechnungen verschiedener Energieszenarien.

Sie sollen darlegen, wie sich der Umstieg auf erneuerbare Energien elegant meistern lässt, sind aber schon umstritten, noch ehe sie veröffentlicht sind. Schließlich werden die Wissenschaftler auch berechnen, wie viel länger die deutschen Kernkraftwerke laufen müssen, um Öko-Energie den Weg zu bereiten. "Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie, bis sie durch erneuerbare Energien verlässlich ersetzt werden kann", heißt es im Koalitionsvertrag.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Merkels Reiseplan die Energieprioritäten der "Öko-Kanzlerin" widerspiegeln soll.

Ein Atommeiler als ein Ziel unter vielen

Das allein ist ein ziemlicher Spagat, denn warum Atomstrom nötig sein soll, um am Ende Ökostrom zu bekommen, lässt sich nicht leicht verständlich machen. Die Kanzlerin wolle wissen, sagt ihr neuer Sprecher Seibert, "auf welchen Gebieten wir stark sind und was wir noch tun müssen". Der Schwerpunkt ihrer Bestrebungen bleibe der Ausbau erneuerbarer Energien; jedenfalls, solange dies den Strom nicht zu teuer mache.

"Die Brücke ins erneuerbare Zeitalter ist überschritten"

Das schlägt sich auch in Merkels Reiseplan nieder. Zwar wird sie in zwei Wochen auch das Kernkraftwerk Lingen besuchen - mit 22 Jahren Betrieb eines der jüngsten AKWs in Deutschland -, zwar wird sie dort auch die Chefs der Stromkonzerne RWE und Eon treffen. Damit hat es sich aber.

Denn ebenfalls in Lingen steht ein Gaskraftwerk, das die Kanzlerin interessiert - und solche Anlagen sind für den Ökostrom-Ausbau tatsächlich wichtig. Sie können flexibel einspringen, wenn der Wind mal nicht so weht.

Nicht weit entfernt findet sich zudem das Bioenergie-Heizkraftwerk eines Gartenbau-Betriebs namens Emsflower. Auch dort wird die Kanzlerin aufkreuzen, ferner in einem Laufwasser-Kraftwerk am Rhein und einem Haus in Hessen, das mehr Energie erzeugt, als es verbraucht. Ein neues Kohlekraftwerk will sich die Kanzlerin auch ansehen.

Ein Atommeiler als ein Ziel unter vielen - das zumindest soll die Reise transportieren. Dabei verläuft die öffentliche Debatte genau andersherum, auch innerhalb der Union und der Bundesregierung.

Der Streit kreist derzeit eher um die Frage, ob die vier Betreiberkonzerne die Bundesregierung zu erpressen trachten oder nicht, wie und zu welchen Konditionen sich längere Laufzeiten bewerkstelligen lassen, ob sich innerhalb der Union eher die Umwelt- oder die Wirtschaftspolitiker durchsetzen werden. Der Ausbau etwa der Windenergie spielte zuletzt eher eine Nebenrolle.

Schon bangt auch die Windbranche, die Kanzlerin wolle mit dem Manöver nur ablenken. "Das darf nicht als Feigenblatt für Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken herhalten", sagt Hermann Albers, Präsident des Branchenverbandes BWE. "Die Brücke ins erneuerbare Zeitalter ist längst überschritten."

In der Nähe des Windparks an der Ostsee haben sie in aller Eile ein Festzelt aufgebaut, vom Besuch der Kanzlerin erfuhren sie erst vorige Woche. Jetzt aber sei alles bereit, sagt Martin Weiße, Abteilungsleiter beim Betreiber des Windparks, der Wind-Projekt GmbH. Selbst die Rotoren werden sich drehen. "Wind soll sein", sagt Weiße. "Und leider auch Regen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: