Atom-Deal mit Iran:Stunde der Pragmatiker

Adieu, diplomatische Trägheit! Ein Jahrzehnt war der Atomstreit mit Iran von taktischen Winkelzügen und undurchdringbaren Blockaden geprägt. Mit dem Deal von Genf kommt Bewegung in die Angelegenheit. Wie die Vereinbarung möglich wurde, wo die Knackpunkte liegen und was nun passieren wird. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Johannes Kuhn

Was führt Teheran im Schilde? Kaum eine Frage hat die internationale Diplomatie im vergangenen Jahrzehnt so beschäftigt wie die nach den Intentionen des iranischen Atomprogramms. Nun gibt es einen ersten Durchbruch - wenn auch zunächst nur für sechs Monate. So lange gilt der Deal, den die Außenminister in einer langen Verhandlungsnacht geschlossen haben.

Worum geht es bei dem Atomstreit? Was hat es mit der Vereinbarung auf sich? Und welche Hindernisse stehen nun bevor? Die wichtigsten Fragen und Antworten für alle, die neu im Thema sind.

Worum geht es im Atomstreit mit Iran?

Seit 2002 ist bekannt, dass Iran ein Atomprogramm betreibt. Teheran besteht darauf, dass das Land sein Recht auf die friedliche Nutzung der Kernenergie wahrnehmen möchte - doch viele Länder glauben das nicht. Sie befürchten, dass Teheran Nuklearwaffen bauen möchte und so eine ohnehin instabile Region weiter destabilisiert.

In den vergangenen zehn Jahren gab es immer wieder Verhandlungen, häufig aber Rückschläge - gerade in der Ära des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad von 2005 bis 2013. Iran trieb sein Programm voran und reicherte Uran an, verweigerte aber gleichzeitig Inspekteuren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) den Zugang zu wichtigen Atomanlagen, neue Reaktoren wurden bekannt. In einem IAEA-Bericht aus dem Jahr 2011 ist von "glaubwürdigen" Informationen die Rede, denen zufolge Teheran an Nuklearwaffen arbeitet.

Inzwischen hat die internationale Gemeinschaft Teheran mit Wirtschaftssanktionen belegt und diese stark verschärft, Israel droht immer wieder recht unverhohlen mit einen Militärschlag.

Warum kommt es gerade jetzt zum Durchbruch?

Seit August 2013 hat Iran mit Hassan Rohani einen neuen Präsidenten, der dem Volk Lockerungen der Sanktionen versprochen hat. Weil die wirtschaftliche Lage des Landes schlecht ist, wichtige Güter fehlen und hohe Inflation herrscht, sieht inzwischen auch der religiöse Führer Ayatollah Ali Chamenei die Notwendigkeit, zu verhandeln.

Chamenei, der mächtigste Mann im Land, erlaubte es dem Präsidenten, die Verantwortung für die Gespräche Außenminister Mohammed Dschawad Sarif zu übertragen, der als mit dem Westen gut verdrahteter Pragmatiker gilt. Dies war eine Voraussetzung für eine politische Lösung in den diplomatischen Gesprächen mit den fünf Nationen des UN-Sicherheitsrates (USA, Großbritannien, Frankreich, China, Russland) und Deutschland ("5 + 1"). Eine andere war die Bereitschaft der US-Regierung, sich gegen den Willen Israels mit einem Kompromiss abzufinden und die jahrzehntelange diplomatische Eiszeit mit Teheran zu beenden - der Nachrichtenagentur AP zufolge gibt es bereits seit einem Jahr informelle Geheimgespräche zwischen den beiden Seiten, vermittelt durch das Sultanat Oman.

Was ist der Kern des Abkommens?

Zwei Punkte sind wichtig: Die Vereinbarung gilt sechs Monate, bildet also im Idealfall nur den Ausgangspunkt für detailliertere Verhandlungen. Und: Beide Seiten geben deutliche Signale. Iran verpflichtet sich, das vorhandene angereicherte Uran (20 Prozent) zu verdünnen oder in Brennstoff umzuwandeln und grundsätzlich bei der Anreicherung vorerst nicht über fünf Prozent zu gehen. Die Inspektoren der IAEA erhalten zu einigen Reaktoren uneingeschränkten Zutritt. Iran darf also sein Atomprogramm weiter betreiben, aber nur in einem Rahmen, der auf eine zivile Nutzung hinausläuft.

Gleichzeitig werden die UN-Sanktionen gelockert, Teheran erhält Zugriff auf 4,2 Milliarden US-Dollar an eingefrorenen Erdöl-Einnahmen und darf mit Gütern wie Gold, Mineralien, Autoteilen und Erdölchemikalien handeln. Insgesamt werden so geschätzt sieben Milliarden US-Dollar frei, mit deren Hilfe die Regierung die Wirtschaft ankurbeln könnte. Allerdings bleiben die Ölhandels- und Finanzsanktionen in Kraft.

Was hat es mit den 20 Prozent bei der Uran-Anreicherung auf sich?

Mit hoch angereichertem Uran ist es einfacher, Atomwaffen herzustellen. Uran im Naturzustand enthält 0,7 Prozent des Isotops 235, das zur Kernspaltung notwendig ist. Für die zivile Nutzung, also Atomkraftwerke, muss der Anteil bei etwa vier Prozent liegen, eine Atomwaffe braucht mindestens 90 Prozent.

Teheran hat bereits Material mit 19,3 Prozent hergestellt, nach eigenen Angaben für einen Forschungsreaktor. Folgendes Rechenbeispiel besorgt jedoch die Weltgemeinschaft: Mit ausreichend 20-Prozent-Uran und den 8.000-10.000 aktiven Zentrifugen des Landes könnte Iran innerhalb eines Monats waffenfähiges Material gewinnen. Genau da setzt die Vereinbarung an: Das bestehende Uran mit einen Anteil von 20 Prozent wird wieder abgereichert oder chemisch direkt in Brennstoff umgewandelt, der nicht mehr anreicherbar wäre. Die iranischen Zentrifugen dürfen erst einmal nur fünfprozentiges Uran herstellen.

US-Kongress droht mit Verschärfung der Sanktionen

Was bemängeln die Kritiker?

Die israelische Regierung, aber auch US-Politiker beider Parteien haben die Vereinbarung bereits heftig angegriffen. Sie halten es für inakzeptabel, dass sich die iranischen Zentrifugen weiter drehen und Iran kein nukleares Material abgeben muss. Beides waren Punkte, die für Teheran als unverhandelbar galten.

Iran Atomverhandlungen Genf Einigung

EU-Außenbeauftragte Ashton und US-Außenminister Kerry im Flugzeug des State Department in Genf.

(Foto: REUTERS)

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sprach von einem "schlechten Abkommen" und einem "historischen Fehler". Teheran, so der Vorwurf, kaufe sich nur Zeit und Erleichterungen - bei nächster Gelegenheit könne das Land mit der Produktion waffenfähigen Urans beginnen. Zudem habe die Weltgemeinschaft nicht auf den Rückbau des Schwerwasser-Reaktors Arak gedrängt.

Warum ist die Anlage in Arak wichtig?

Schwerwasser-Reaktoren wie der nahe der Stadt Arak können waffenfähiges Plutonium herstellen. Die Anlage ist noch nicht in Betrieb, könnte aber nach Aktivierung innerhalb eines Jahres genügend Plutonium für eine Nuklearwaffe herstellen.

Iran hat sich im Abkommen bereit erklärt, die Bauarbeiten für sechs Monate ruhen zu lassen, den Atominspektoren weitere Unterlagen zur Verfügung zu stellen und ihnen den Zugang zu gewähren. Teheran behauptet, dort medizinische Isotope herzustellen, dafür ist die Anlage aber zu groß. Allerdings wäre für waffenfähiges Plutonium eine Wiederaufbereitungsanlage nötig, die Iran nach derzeitigem Kenntnisstand noch nicht besitzt.

Gibt es weitere Anlagen, deren Zweck unklar ist?

Die Militärbasis Parchin im Süden Teherans ist seit langem ein Streitpunkt zwischen der iranischen Regierung und der IAEA: Dort, so die Vermutung, könnte das Land an Atomsprengköpfen gearbeitet haben.

Seit 2005 erhalten die Inspektoren keinen Einlass mehr in die Anlage, auch im jetzigen Abkommen ist dies nicht vorgesehen. Womöglich wäre diese Forderung ein Anknüpfungspunkt für eine Folgevereinbarung, allerdings gab es im Frühjahr Berichte, wonach Iran die Anlage gerade so säubere und umbaue, sodass ohnehin keinerlei Spuren möglicher Sprengkopf-Entwicklungen zu finden wären.

Wie geht es nun weiter?

Zunächst einmal wird US-Präsident Barack Obama mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sprechen, um ihn dazu zu bringen, die Entwicklungen der nächsten sechs Monate abzuwarten. Zugleich wird das Weiße Haus zu verhindern versuchen, dass der skeptische US-Kongress weitere Sanktionen gegen Iran beschließt. Diese müsste der Präsident sonst per Veto stoppen.

In den kommenden Wochen und Monaten werden die IAEA-Inspektoren in den Anlagen überprüfen, ob Iran sein Versprechen hält, also wirklich Uran abreichert und Zentrifugen-Ketten deaktiviert. Viele Details sind in der Vereinbarung werden erst in den kommenden Tagen bekannt werden - bei der Interpretation dürfte es durchaus zu diplomatischen Streitigkeiten kommen. Nicht zuletzt, weil sich beide Seiten für die nächste Verhandlungsrunde in Stellung bringen wollen.

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