Atlantik:In der Strömung

Ein Franzose erlebt, wohin es führen kann, wenn man sich treiben lässt.

Von Werner Bartens

Am Montag gönnte er sich eine doppelte Portion Gänseleberpastete, schließlich beging Jean-Jacques Savin seinen 72. Geburtstag. Gäste konnte er zu diesem Anlass allerdings nicht bewirten, der Franzose ist gerade schwer zu erreichen. Am zweiten Weihnachtsfeiertag stach Savin von der westlichsten Kanareninsel El Hierro aus in See, dreieinhalb Wochen ist der frühere Triathlet und Fallschirmspringer nun schon im Atlantik unterwegs; in etwa drei Monaten hofft er, irgendwo in der Karibik anzulanden.

Die Fortbewegung des rüstigen Abenteurers muss man sich als nicht besonders dynamisch vorstellen. Dümpeln wäre wohl der treffendste Ausdruck. Savin hat sich nämlich in einem Fass eingerichtet, mit dem er sich - günstige Winde und Strömungen vorausgesetzt - bis Barbados oder Guadeloupe treiben lassen will. Der Ausdruck Fass für sein Gefährt kann allerdings falsche Vorstellungen wecken; dabei denkt man an Diogenes in seiner Tonne oder das bauchige Gefäß, in dem im gallischen Dorf der Zaubertrank für Asterix und seine Freunde aufbewahrt wird.

Der Behälter, in dem Savin auf den Wellen tanzt, sieht hingegen eher aus wie ein Ende einer Gurke, dem ein holländisches Nationaltrikot übergestreift wurde. Das drei Meter lange und 2,10 Meter breite Holzfass hat Bullaugen, ist mit Kunstharz überzogen und quietsch-orange gestrichen, um nicht von Ozeanriesen übersehen zu werden. Mit Schlafliege, Navi-Tisch und Küchenzeile wiegt es immerhin 450 Kilogramm.

Savins Drift nach Westen soll angeblich auch wissenschaftlichen Zwecken dienen. Meeresströmung messen, Einsamkeit auf engem Raum studieren, solche Sachen. Klingt gut, ist aber herrlicher Blödsinn. Zur Einsamkeit gibt es etliche Studien aus Höhlen, Weltall und wo Menschen noch so allein unterwegs sind. Strömungen werden schon ewig studiert; seit 1992 ein Frachter mehr als 28 000 Quietscheentchen im Pazifik verlor, haben Forscher die Spur des Treibguts in erheblich größerer Fallzahl verfolgen können.

Statt die Wissenschaft zu bemühen, bedient Savin mit seiner Tour den uralten Sehnsuchtstopos des Sich-treiben-Lassens. Alles hinter sich lassen, ziellos unterwegs, immer den Fußspitzen oder der Nase nach. Jede Flaschenpost lebt von diesem transzendentalen Überbau; angefeuert wurde die Fantasie zudem von Thor Heyerdahls Kon-Tiki und den "Friendly Floatees", wie die im Pazifik verlorenen Plastiktierchen bald genannt wurden.

Vielleicht hatte Rumtreiber Savin im Alter Langeweile und konnte ein paar Küfereien aus Bordeaux für seinen spleenigen Plan gewinnen. Die Logos der Sponsoren auf dem Fass sind nicht zu übersehen. Womöglich lassen sich in der Karibik neue Märkte für guten Roten erschließen. Blöd nur, wenn Savin gar nicht unter Palmen strandet. Nach zehn Tagen geriet er unter Einfluss westlicher Winde nah an den Golfstrom und trieb nach Norden ab, 15 Tage Verspätung hat er schon. Das würde bedeuten: Irland oder Schottland statt Jamaika. Savins Irrfahrt ist eine Parabel auf die getriebene Menschheit. So leicht ist es eben nicht, sich treiben zu lassen - schon gar nicht, wenn man feste Ziele und Termine hat.

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