Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Ein Hotel für Flüchtlinge und Hausbesetzer

Griechische Aktivisten teilen sich seit April 2016 das City Plaza Hotel in der Athener Innenstadt mit Geflohenen. Das Zusammenleben funktioniert - der Staat hingegen ist mit der Situation überfordert.

Von Mike Szymanski

Abendessenszeit. Für ein Hotel fallen die Regeln streng aus. "Bitte beschwere dich nicht über das Essen!" steht von Hand geschrieben auf einem Zettel neben dem Eingang zur Küche. Weiter heißt es: "Nimm nicht mehr als du brauchst". Und: "Bring Teller, Gläser und Besteck in die Küche zurück."

Zied humpelt in die Küche. Der 30-Jährige, der sich wie die meisten nur mit seinem Vornamen vorstellt, hat sich beim Fußballspielen den Fuß verdreht. Aber er hat Dienst. Schicht ist Schicht. Wenn er nicht funktioniert, wie sollen sich dann die anderen zusammenreißen, die Flüchtlinge?

Die Qualität des City Plaza Hotels in der Athener Innenstadt - das wird schnell klar - ist in Sternen nicht zu messen. Erst recht nicht, seitdem linke Aktivisten wie Zied das Haus im April 2016 besetzt und es dann für Flüchtlinge geöffnet haben. Was zählt, ist, ob genügend Brote fürs Abendessen geschmiert sind, der Medikamentenschrank gefüllt ist und ob sich genügend Kinder für den Klavierunterricht finden. In dieser "Mikrogesellschaft", wie Zied sie nennt, leben sie zusammen: die Aktivisten und die Flüchtlinge, Tür an Tür. Und draußen, da sei der Staat, sagt Zied. Flüchtlinge seien drinnen willkommen. Der Staat ist es nicht.

Das City Plaza, 126 Zimmer und 236 Betten, ist zum Kontrapunkt in der griechischen Flüchtlingspolitik geworden. Wenn man einmal davon absieht, dass sich die Aktivisten dieses Gebäude widerrechtlich angeeignet haben, dann lässt sich festhalten: Endlich scheint mal etwas zu funktionieren.

Griechenland ist mit den Flüchtlingen komplett überfordert

Als sich die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien 2015 zu Hunderttausenden nach Europa aufmachten, war kein Land so überfordert wie Griechenland, das schon seit sieben Jahren mit der Schuldenkrise zu kämpfen hat. Es fehlte lange an fast allem, Menschen lebten zu Hunderten auf viel zu wenig Platz. Das wilde Lager in Idomeni an der Grenze zu Mazedonien, mit teils mehr als 10 000 Flüchtlingen, war nicht nur zum Sinnbild für Europas Politik der Abschottung geworden, sondern auch für das Versagen des griechischen Staates.

Im City-Plaza-Hotel haben Freiwillige dem Staat diese Aufgabe aus der Hand gerissen und ihm die Tür gewiesen; kürzlich haben die Aktivisten das einjährige Bestehen gefeiert. Im Rest des Landes hat sich die Lage zwar entspannt, seitdem die Europäische Union mit der Türkei ein Abkommen über die Rückführung von Migranten abgeschlossen hat. Doch noch immer stellt sich vielerorts die Frage: Wo bleibt der Staat? Vor allem für Aliki Papachela, 56, stellt sie sich.

Ihr nämlich gehört das Gebäude; dieses Hotel, das jahrzehntelang Geld abwarf - bis der letzte Pächter 2010 in Konkurs ging. Damals war die Schuldenkrise gerade ausgebrochen. Sie fand über Jahre niemanden, der das Hotel betreiben, es mieten oder kaufen wollte. In der Krise ist es zur Last geworden. "Als die Besetzer kamen, begann mein Albtraum", sagt Aliki Papachela.

Kurz vor der Aktion, so erzählt sie es in den Räumen ihres Anwalts, habe sie selbst den Plan gehabt, das Haus über eine Nichtregierungsorganisation an Flüchtlinge zu vermieten. "Ich wollte nicht reich werden", sagt sie. "Ich wollte raus aus der Misere." Jetzt steckt sie tiefer drin als zuvor: Wer kauft schon ein besetztes Haus? Sie ist sauer auf die Aktivisten, die ihr Recht nicht achten. Und sie ist sauer auf den Staat: "Seit einem Jahr tut er nichts."

Nach Angaben der Stadtverwaltung leben zwischen 2 500 und 3 000 Flüchtlinge in besetzen Häusern, das prominenteste Beispiel ist das City-Plaza-Hotel. Olga Lafazani, 37 Jahre alt, war am Morgen des 22. April eine der Aktivistinnen, die das Gebäude besetzten. Ein Bündnis linker Gruppen, viele in der Flüchtlingshilfe aktiv, hatte sich lange auf diesen Tag vorbereitet. Als Europa im Frühjahr 2016 die Grenzen dichtmachte und das Abkommen mit der Türkei schloss, steckten plötzlich 60 000 Flüchtlinge in Griechenland fest. Wie ihr Land mit ihnen umging, empörte Olga Lafazani: "Wir wollten eine radikale Antwort geben." Als sie am 22. April 2016 mit anderen Aktivisten in das Gebäude eindrang, hatte sie Sachen für zwei Wochen gepackt.

Die Aktivisten räumten auf und putzten. Als Olga Lafazani später wieder vor die Tür schaute, standen dort 100 Flüchtlinge und baten um Einlass; es hatte sich sofort herumgesprochen, dass es hier Zimmer mit Bädern und Betten gab. Hamid, ein Flüchtling aus dem Irak, war einer der Ersten, die kamen; bis heute wohnt er im Stockwerk unter dem Dach. Zuvor hatte er in einer der Massenunterkünfte am alten Flughafen gelebt. Eine Bekannte von ihm schnitt sich dort ihr langes Haar ab, weil sie dort nicht zum Duschen kam, so überfüllt war es. "Ich bin aus der Hölle ins Paradies gekommen", sagt Hamid. Er hat jetzt einen Schlüssel für das Zimmer, das er mit drei anderen teilt. Seine Schwester wohnt mit ihrer Familie ein paar Stockwerke drunter. Papiere will niemand von ihm sehen. Er sagt, er habe Asyl in Griechenland beantragt. Aber das Verfahren läuft noch immer.

Die Regierung tut sich schwer mit den Besetzern - und lässt sie weitermachen

Jeder muss mithelfen, Dienste übernehmen. Die Flure sehen aufgeräumt aus, die Küche ist geputzt. Kinder werden aus dem Café-Bereich verscheucht, weil dort Rauchen erlaubt ist. Eine Kerngruppe von 15 Aktivisten steuert den Betrieb. Kleinere Verletzungen können im Krankenzimmer behandelt werden, mehrmals die Woche kommen Ärzte. Wenn es Ärger gibt, klären das die Flüchtlingshelfer. Der Staat verhalte sich "neutral", sagt Olga Lafazani. Mit der Idee, etwas Besseres zu sein, macht das Flüchtlings-Hotel sogar Werbung: "Kein Pool, keine Minibar, kein Roomservice und trotzdem das beste Hotel Europas", heißt es auf einer Seite im Internet, die zu Spenden aufruft. Wer will, kann in der Lobby T-Shirts vom Hotel als Souvenir kaufen. So prima lässt sich Flüchtlingshilfe verkaufen, wenn sie denn läuft.

Dublin drängt

Griechenlands Migrationsminister Yannis Mouzalas fordert in der Flüchtlingskrise von den EU-Partnern mehr Rücksicht: Diese sollten vorerst darauf verzichten, Asylsuchende zurückzuschicken, die seit Mitte März über Griechenland in ihre Länder eingereist sind. Das Dublin-Verfahren regelt solche Rückführungen. Für Griechenland waren die Transfers wegen Mängeln im Asylsystem 2011 aufgehoben worden. Schrittweise sollen die Regeln jedoch nun wieder in Kraft treten.

Mouzalas sagte der "Süddeutschen Zeitung": "Wir sind nicht gegen Dublin. Wir haben aber immer gesagt, wir brauchen Zeit." Für mindestens ein halbes Jahr sollten die EU-Partner darauf verzichten, von ihrem Recht Gebrauch zu machen. Dies würde Griechenland "Zeit zum Durchatmen geben".

In Deutschland werden gerade die ersten Übernahmeersuche erstellt. Zurückgeschickt worden ist noch niemand, laut Bundesinnenministerium geht zunächst auch nur um Einzelfälle. Mouzalas sieht in Griechenland Fortschritte im Umgang mit der Flüchtlingskrise: "Wir haben noch Schwierigkeiten, aber die Lage bessert sich." Allerdings dürfe es zu keinem dramatische Anstieg bei der Zahl der Flüchtlinge kommen. Derzeit steckten etwa 60 000 Flüchtlinge in Griechenland fest. Besonders angespannt ist die Lage auf den Inseln, die Camps arbeiten an ihren Kapazitätsgrenzen. Bis Jahresende will Mouzalas knapp die Hälfte der Flüchtlinge in Apartments unterbringen.

Die Regierung, angeführt vom Linkspolitiker Alexis Tsipras und seiner Partei Syriza, tut sich schwer mit den besetzten Häusern. Wer den Migrationsminister Yannis Mouzalas besucht, merkt, wie es in ihm arbeitet, ständig auf das City Plaza angesprochen zu werden. "Der Staat ist verantwortlich für die Flüchtlinge", sagt er. "Er muss eine Lösung für sie finden. Jeder kann helfen, aber nach den Regeln des Staates und dessen Gesetzen." Und trotzdem lässt die Regierung die Besetzer weitermachen. Auch wenn sich die Lage allmählich bessert, fehlt es an adäquaten Unterkünften. Mouzalas scheint froh über jeden zu sein, der mehr als nur ein Dach über den Kopf hat. Andererseits gefällt es ihm nicht, sich von den Aktivisten vorhalten zu lassen, wie man Flüchtlinge behandelt. Sich in einem ehemaligen Hotel um 200 oder 300 Flüchtlinge zu kümmern, sei etwas anderes als mit einer Massenflucht von Zehntausenden fertig zu werden, sagt er: "Es ist wie der Unterschied zwischen einer Privatklinik und einem öffentlichen Krankenhaus."

Es sieht nicht danach aus, dass die Aktivisten rasch zu einer Einigung mit dem Staat oder der Eigentümerin kommen wollen. Olga Lafazani sagt, erst müsse Griechenland seine Politik grundsätzlich ändern, Flüchtlinge integrieren anstatt sie in Lagern wie Fremdkörper zu isolieren. Den Flüchtlingsdeal beenden. Sie wünscht sich mehr City Plaza fürs ganze Land.

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Quelle:
SZ vom 20.05.2017/ewid
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