Süddeutsche Zeitung

Waldbrände:Was nach dem Feuer übrig bleibt

Verzweiflung, Solidarität und Vorwürfe: Die Menschen in Südeuropa kämpfen weiter gegen die Brände. Die Regierung von Präsident Erdoğan zündelt darüber hinaus noch politisch.

Von Tomas Avenarius, Istanbul, und Tobias Zick

Bis zum vergangenen Mittwoch, etwa 13 Uhr mittags, lebte Christina Georgiou in einem grünen Idyll am nördlichen Rand von Athen. Es war ein heißer Tag, mehr als 40 Grad, die Kinder spielten drinnen. Dann hörte Christina Georgiou plötzlich den Lärm von Flugzeugen, immer mehr. Kurz darauf heulten die Sirenen los. Sie trat aus dem Haus und sah Rauch aufsteigen, hinter einem Berg in der Nähe, noch kein Grund zur Besorgnis. "Aber dann drehte plötzlich der Wind", sagt die 47-Jährige, "und das Feuer begann, sich auf uns zuzubewegen."

Wenig später erhielt Christina Georgiou eine SMS; eine Anweisung der Behörden, die Gegend zu verlassen. Doch die Kinder wollten nicht zu ihrem Bruder ins Auto steigen, "sie machten sich Sorgen um mich. Denn ich wollte zuerst die Pferde in Sicherheit bringen."

Die Reitschule, die sie hier aufgebaut hat, ist Christina Georgious Lebenswerk. Zusammen mit ihrem Mann schaffte sie es, die Pferde auf das Gelände eines benachbarten Militärflughafens zu treiben; die Behörden hatten Bulldozer geschickt, um den Stacheldrahtzaun niederzuwalzen, damit Menschen und Tiere freie Fluchtwege hatten. Währenddessen sah Christina Georgiou, wie das Haus ihres Vaters niederbrannte.

Die Flipflops und das Fahrrad holen ...

Ihr Bruder Sergios, 51, der nebenan wohnt, schaffte es gerade noch, die Familie mit dem Auto wegzubringen. "Nachdem wir ein paar Meter gefahren waren, sah ich plötzlich eine Wand aus Flammen vor mir", erzählt er. "Das Feuer war blitzschnell bis zur Straße vorgedrungen." Am nächsten Tag waren die Brände in der Gegend zurückgedrängt, und Sergios Georgiou fuhr von dem Hotel, wo er und seine Familie Unterschlupf gefunden hatten, zurück, um zu begutachten, was von seinem Zuhause übrig war. Seine Frau hatte ihn gebeten, ihre Flipflops mitzubringen, sein Sohn wollte sein Fahrrad. Er musste ihnen am Telefon sagen: "Die Flipflops sind verbrannt, das Fahrrad auch." Es werde Jahre dauern, um die Schäden zu beheben, sagt Sergios Georgiou: "Alles ist weg. Wir müssen von vorne anfangen."

Während sich die Lage im Norden von Athen am Wochenende nach und nach entspannte, wüteten weiter verheerende Feuersbrünste in mehreren Staaten Südeuropas. Obwohl die Ursachen der Wald- und Buschbrände in Griechenland, Italien, der Türkei und in Nordmazedonien noch unbekannt sind, wird durch sie die Bedrohung durch den globalen Klimawandel zumindest immer plastischer. In vielen Fällen dürfte der Grund für den Ausbruch dieser Großfeuer zwar Fahrlässigkeit oder vielleicht Brandstiftung gewesen sein. Doch der Mittelmeerraum wird in Zukunft Wissenschaftlern zufolge vom Temperaturanstieg und extremer Trockenheit - und damit zunehmend von der Gefahr solcher alles verheerenden Großbrände - betroffen sein.

Tausende Türken zogen ins Katastrophengebiet

Bisher unabsehbar sind die Spätfolgen der Feuersbrünste. Weite Landstriche haben sich etwa in der Türkei in schwarzgraue Ascheflächen verwandelt, Bauernhöfe und Dörfer sind zerstört. Insgesamt verbrannten allein in der Türkei Flächen von insgesamt 1000 Quadratkilometern: Das entspricht der doppelten Fläche des Bodensees.

Während mehr internationale Hilfe in Gang kommt, mussten die Menschen am Ort sich oft weiter selbst helfen. In der Türkei wirft die Opposition der Regierung mangelhaftes Krisenmanagement vor, was die Bereitschaft zur Eigeninitiative steigen ließ: Tausende Freiwillige zogen ins Katastrophengebiet, mit Hilfe von Prominenten entwickelte sich eine landesweite Hilfewelle.

Auch in Griechenland gibt es Kritik an der Regierung. Seit Tagen stehen Teile der Halbinsel Peloponnes in Flammen. Noch heftiger wüten die Wald- und Buschfeuer auf Euböa, der zweitgrößten griechischen Insel, seit sechs Tagen fressen sich die Flammen durch die Pinienwälder. Verzweifelte Bewohner versuchten, mit Traktoren Schneisen zu schlagen, um das Übergreifen der Flammen auf ihre Häuser zu verhindern. 600 Feuerwehrleute waren im Einsatz, mehrere Dutzend Dörfer wurden evakuiert, mehr als 2000 Inselbewohner mit Fähren in Sicherheit gebracht.

"Man hat uns brennen lassen" - Vorwürfe aus Euböa

Die Verbitterung auf Euböa ist groß, weil die Löscharbeiten aus der Luft sich bisher auf den Norden Athens konzentriert hatten. "Man hat uns brennen lassen", sagte ein Mann dem TV-Sender Skai. Man habe keine Wahl gehabt, hieß es bei den Rettungskräften. Ein Übergreifen des Feuers auf das Gebiet der Hauptstadt hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Premier Kyriakos Mitsotakis hatte betont, Menschenleben hätten Priorität vor Besitz und Wald. Im Großraum Athen leben vier Millionen Menschen - Euböa hat 220 000 Einwohner, und dort brennen vor allem die Wälder. Zunehmend erreichten Helfer aus dem Ausland Griechenland. Aus Deutschland sollen 200 Feuerwehrleute und Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks kommen.

Auch in Italien war die Lage dramatisch. Besonders stark betroffen waren Sizilien sowie die Regionen Kalabrien und Apulien. Mindestens zwei Menschen verloren ihr Leben. Auf Sizilien wurde für vorerst sechs Monate der Katastrophenfall ausgerufen.

Unverändert kritisch war die Lage in der Südtürkei, wo es seit inzwischen fast zwei Wochen an der Ägäis- und an der Mittelmeerküste brennt. In der Türkei starben mindestens acht Menschen. In der Urlaubsregion Antalya beruhigte sich die Lage aber dank sehr starker Regenfälle.

Seit Beginn der Brände vergangene Woche wird immer wieder Kritik am Krisenmanagement der Regierung laut. Die Opposition wirft ihr vor, dass keine eigenen einsatzfähigen Löschflugzeuge zur Verfügung standen, weil diese nicht mehr gewartet wurden. Stattdessen habe man sich auf Leihmaschinen aus dem Ausland verlassen. Einige von der Oppositionspartei CHP regierte Großstädte boten an, die Finanzierung des Betriebs der türkischen Löschmaschinen zu übernehmen.

Die Regierung reagiert auf die Kritik erbittert. Der Opposition rund um die sozialdemokratisch orientierte CHP-Partei, die in vielen Städten der Südtürkei regiert, wird von Ankara vorgeworfen, die Naturkatastrophe zu missbrauchen: Präsident Recep Tayyip Erdoğan sprach von "Lügen-Terror", und Landwirtschaftsminister Bekir Pakdemirli meinte: "Wer hier Politik machen will, soll sich ein anderes Spielfeld suchen."

Doch auch die Regierung manipuliert politisch. Die mit weitreichenden Befugnissen ausgestattete staatliche Rund+funkaufsicht Rtük warnte TV- und Hörfunksender davor, Angst und Panik zu verbreiten. Kritische Berichte über den Umgang mit dem Feuer gibt es daher kaum. Staatschef Erdoğan beschuldigte die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK der Brandstiftung. Belege dafür fehlen. Zur Brandursache selbst wird weiter ermittelt. Ein Feuer in Marmaris sollen Kinder ausgelöst haben. In Bodrum waren vergangenen Donnerstag Medienberichten zufolge drei Menschen festgenommen worden, unter dem Verdacht, Zigarettenstummel aus dem Auto geworfen zu haben.

Mitarbeit: Maya Filippopoulou

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5376900
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.