Athen: Nach der entscheidenden Abstimmung:Krawalle bis in die Nacht - 150 Verletzte in Athen

Lesezeit: 3 Min.

Während sich die Parlamentarier ein Ja zum Sparpaket abringen, herrscht in Athens Innenstadt großes Chaos: Auch in der Nacht liefern sich Demonstranten Straßenschlachten mit der Polizei, ein Luxus-Hotel wird evakuiert, aus dem Finanzministerium steigt Rauch auf.

Das griechische Parlament hat dem Sparpaket der Regierung zugestimmt. Damit ist die entscheidende Voraussetzung für weitere Milliardenhilfen von EU und IWF erfüllt. Bei einer Ablehnung des Sparpakets von Ministerpräsident Giorgos Papandreou hätte dem hochverschuldeten Land eine Staatspleite gedroht - mit unkalkulierbaren Folgen für Europa und den Euro.

Athen am Tag der Entscheidung
:Straßenschlachten vor dem Parlament

Am Tag der entscheidenden Abstimmung über das Sparpaket kommt es vor dem Parlament zu gewaltätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Steine fliegen, ein Abgeordneter wird angegriffen und im Gebäude des Finanzministeriums brennt es.

Das in der Bevölkerung höchst unpopuläre Sparpaket sieht für die Jahre 2012 bis 2015 neben Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen in Höhe von insgesamt 28 Milliarden Euro auch umfangreiche Privatisierungen im Umfang von etwa 50 Milliarden Euro vor.

Für den Sparkurs stimmte auch der sozialistische Abgeordnete Alexandros Athanassiadis, der zuvor seine Ablehnung angekündigt hatte. Nach Abschluss der Auszählung der namentlichen Stimmabgabe kamen für die massiven Sparmaßnahmen insgesamt 155 Stimmen zusammen.

Gegen das Paket stimmte ein Abgeordneter von Papandreous sozialdemokratischer Pasok-Partei, im Gegenzug stimmte ein Parlamentarier der konservativen Opposition für die Maßnahmen. Vier Konservative gaben ungültige Stimmzettel ab. Der Pasok-Abgeordnete Athanassiadis, der ebenfalls mit einem Nein gedroht hatte, erklärte, Papandreous Rede vor dem Parlament habe ihn umgestimmt.

Der Premier hatte darin mit energischen Worten an die Abgeordneten appelliert: "Europa hat uns das Vertrauen ausgesprochen, aber nicht für das Griechenland von gestern, sondern für das neue Griechenland." Zuerst aber müssten die Griechen an sich selbst glauben. "Dies ist die Chance, das Land zu ändern", sagte Papandreou. "Wir haben die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: zwischen einem schwierigen Weg des Wandels und der Katastrophe."

Schwere Ausschreitungen in Athen

Begleitet wurde die Abstimmung von Protesten Zehntausender friedlicher Demonstranten, aber auch von gewalttätigen Ausschreitungen einiger hundert Vermummter vor dem Parlament. Die Beamten setzten Tränengas ein, um die Protestierenden zurückzudrängen. Diese hatten versucht, Absperrungen umzustürzen. Außerdem schleuderten sie Flaschen, Feuerwerkskörper und Steine auf die Polizisten. Ein Luxushotel in der Innenstadt wurde wegen der schweren Ausschreitungen evakuiert, weil die Gäste die durch das Tränengas beißende Luft nicht mehr ertragen konnten. Die Krawalle hielten auch in der Nacht zum Donnerstag an. Bei den Ausschreitungen wurden etwa 150 Menschen verletzt.

Vor dem Finanzministerium in Athen brach am Abend ein Feuer aus. Der Brand sei "in oder vor der Post" ausgebrochen, die im Erdgeschoss des Ministeriums untergebracht sei, erklärte die Feuerwehr. Das Gebäude befindet sich am Ende des zentralen Syntagma-Platzes, dem Hauptschauplatz der Proteste. Auch auf zwei weitere Gebäude wurden Brandanschläge verübt. Die Feuerwehr konnte regelrecht in letzter Minute sieben Menschen aus einem brennenden Gebäude retten und das Feuer löschen, wie das griechische Fernsehen berichtete.

Wie aus Polizeikreisen verlautete, wurde zudem der Abgeordnete Alexandros Athanassiadis, der entgegen seiner Ankündigung dem Sparpaket doch zugestimmt hatte, beim Verlassen des Parlamentsgebäudes mit Wurfgeschossen angegriffen. Der Radiosender Skai berichtete, Athanassiadis sei leicht am Kopf getroffen und in einen Gebäudeeingang in Sicherheit gebracht worden.

Nach Medienberichten wurden bei den gewalttätigen Auschreitungen im Laufe des Tages insgesamt mehr als 200 Menschen verletzt. Die meisten von ihnen hätten Augen- und Atemwegsbeschwerden. Wie die Polizei mitteilte, wurden 38 Menschen festgenommen.

Erleichterung bei Kanzlerin Merkel und der EU-Kommission

Während in Athen wütende Bürger gegen den Sparkurs demonstrieren, sind die Reaktionen im Ausland durchweg positiv: So äußerte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel hocherfreut über die Abstimmung. "Es ist wirklich eine gute Nachricht, dass Griechenland dem Sparpaket zugestimmt hat", sagte Merkel. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann äußerte sich ähnlich. "Das ist ein wichtiger Schritt, aber der Prozess ist noch nicht zu Ende", sagte er.

Bundesbank-Vorstandsmitglied Carl-Ludwig Thiele sagte: "Die Probleme sind durch Griechenland gekommen. Griechenland ist in der Pflicht, die Probleme zu lösen und hat heute einen wichtigen Schritt gemacht."

EU-Vertreter reagierten mit großer Erleichterung auf die Annahme des neuen Sparprogramms im griechischen Parlament. Kommissionschef José Manuel Barroso und Ratspräsident Herman Van Rompuy sprachen von einem "wichtigen Schritt" hin zur notwendigen Konsolidierung und zu Wirtschaftsreformen. Das Ergebnis habe die nationale Verantwortung der Volksvertreter gezeigt.

Nötig sei nun noch ein Ja der Abgeordneten zu dem Ausführungsgesetz des Sparprogramms am Donnerstag, so Barroso und Van Rompuy. "Ein zweites positives Votum wird den Weg bereiten für die Auszahlung der nächsten Tranche aus dem Hilfsprogramm", schreiben die EU-Spitzen in einer gemeinsamen Erklärung.

Auch der zweite große Geldgeber Griechenlands, der Internationale Währungsfonds, hat die Billigung des Sparpakets begrüßt: "Das sind gute Nachrichten", sagte der kommissarische IWF-Chef John Lipsky in Washington. Er betonte, dass damit nicht nur der Weg frei sei für unerlässliche Einsparungen, sondern vor allem für "strukturelle Veränderungen" der griechischen Wirtschaft.

Die Zustimmung der Abgeordneten zu dem gesamten Paket sei auch nötig, um die Arbeiten für einen neuen Hilfsplan rasch voranzutreiben. Die Euro-Finanzminister werden am kommenden Sonntag zu einem Sondertreffen in Brüssel zusammenkommen, um über die Kredittranche von insgesamt zwölf Milliarden Euro zu entscheiden, die noch innerhalb des alten Hilfsplans bezahlt werden.

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