Amanuel Batha ist nur eine Randnotiz im Protokoll. Als Dolmetscher im Asylverfahren ist er schlecht bezahlt, kaum beachtet. Dabei sind Menschen wie Ildana Senai ( beide Namen geändert; d. Red.) von ihm abhängig. Die Eritreerin spricht kein Deutsch. Im Juni 2015 wollte sie sich beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Berlin registrieren, um Asyl in Deutschland zu beantragen. Eigentlich muss ein Sachbearbeiter der Behörde die Registrierung vornehmen. Doch der sei nicht gekommen. Stattdessen, erzählt sie, sei sie mit dem Dolmetscher des Amtes alleine gewesen. Batha, selbst eritreischer Herkunft, habe für sie den Antrag ausgefüllt, auf Deutsch. Ein Vorgang, der so nicht vorgesehen sei, sagt das Bamf dazu.
Senai erzählte dem Dolmetscher, dass sie nahe der eritreischen Hauptstadt Asmara geboren wurde. So steht es auch in den Unterlagen der Bundespolizei. In den Dokumenten des Bundesamtes in Berlin liegt ihr neuer, angeblicher Geburtsort aber Hunderte Kilometer weiter südlich, in Äthiopien. Ihre Staatsangehörigkeit wurde von "eritreisch" in "sonstige" geändert, sie ist für das Bamf damit ungeklärt. In diesen Dokumenten steht explizit, dass Senai die Angaben über ihre Herkunft selbst gemacht habe. Plötzlich ist die junge Frau für das Bamf keine Eritreerin mehr, darf keine Sprachkurse besuchen, ihr Verfahren zieht sich in die Länge. Als Äthiopierin würden ihre Chancen, bleiben zu können, von gut 90 auf 25 Prozent sinken.
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Übersetzen regimetreue Eritreer für Landsleute, die vor dem Regime geflohen sind?
Ein unglückliches Missverständnis? Ein Übersetzungsfehler? Nicht, wenn es nach Ildana Senai und drei weiteren Flüchtlingen geht. Sie werfen Batha alle das Gleiche vor. Er habe ihre Angaben absichtlich falsch übersetzt. Sie hätten ihn im Bamf alleine getroffen. Auch in ihren Papieren ist Eritrea nicht als Herkunftsland genannt, obwohl sie ihm gesagt hätten, sie seien Eritreer. Die Süddeutsche Zeitung hat Einblick in diese Dokumente. Einer der Flüchtlinge ist beim Bundesamt als ledig geführt, obwohl er im Besitz einer Heiratsurkunde der eritreisch-orthodoxen Kirche ist. Obwohl er aussagt, eine Kopie davon dem Dolmetscher gezeigt zu haben. Seine Frau, die es nach Leipzig verschlagen hat, darf deshalb nicht zu ihm nach Berlin ziehen. Für die Behörden ist sie nicht seine Frau.
Zwei Personen, die sagen, den Dolmetscher seit 20 Jahren zu kennen, liefern einen möglichen Grund für dessen Verhalten: Amanuel Batha sei ein Anhänger des eritreischen Diktators Isayas Afewerki. Jenes Diktators, vor dem Ildana Senai geflohen ist und dessentwegen jeden Monat Tausende Eritreer ihr Land verlassen. Der Dolmetscher Batha bestreitet eine politische Nähe zum eritreischen Regime, ebenso weist er die Vorwürfe der Flüchtlinge zurück, absichtlich falsch übersetzt zu haben. Ausführlicher wird er nicht.
Wäre so etwas überhaupt denkbar, ein regimetreuer eritreischer Dolmetscher in Diensten der Flüchtlingsbehörde? Mit den Vorwürfen gegen Batha konfrontiert, hält sich das Bamf zuerst bedeckt, man wolle dem nachgehen. Kurz darauf hört das Bundesamt auf, Batha zu engagieren. Warum, dazu will die Behörde auf wiederholte Anfrage keine Stellung nehmen.
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Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Rolle, die Dolmetscher im Asylverfahren spielen. Der SZ sind zwei weitere Fälle bekannt, in denen vor Gericht ein eritreischer und beim Bamf ein afghanischer Dolmetscher absichtlich zu Ungunsten von Flüchtlingen übersetzt haben sollen. Ein wissenschaftlicher Artikel der Fachzeitschrift Moderne Sprachen berichtet ebenfalls von regimetreuen Eritreern beim Bamf, auch hier gibt es den Vorwurf der Parteilichkeit bei manchen von ihnen. In Deutschland seien regimetreue Eritreer tatsächlich eine "substanzielle Gruppe" in der Diaspora, sagt dazu Nicole Hirt vom renommierten Hamburger Forschungsinstitut Giga. Tatsächlich hätten sehr viele Flüchtlinge vor parteiischen Dolmetschern Angst, sagt die Asylrechtsanwältin Anna Toth.
Dolmetscher sind zur Neutralität verpflichtet, müssen grundsätzlich wortgetreu wiedergeben, was gesagt oder geschrieben wurde. Ohne Zusammenfassung, ohne Interpretationen. So verlangt es das Bamf. So lautet das Selbstverständnis der Branche. Die aber hat ein Problem: Jeder kann sich den Titel Dolmetscher geben, die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Damit besteht nicht nur die Gefahr, dass manipulative Dolmetscher beauftragt werden. Das Grundproblem scheint viel tiefer zu gehen: Viele sind womöglich nicht qualifiziert genug.
Etwa 3100 Dolmetscher beschäftigt das Bamf momentan auf freiberuflicher Basis. Von Bewerbern verlangt die Behörde weder die Zugehörigkeit zu einem Berufsverband noch Nachweise über ihre Fähigkeiten. Einzig erforderlich ist eine selbsteingeschätzte "Sprachsicherheit in Wort und Schrift", wobei die Webseite des Bamf bis vor wenigen Monaten "Schrift" nur als "wünschenswert" aufführte.
Die Sprachkenntnisse werden "im Rahmen der Honorarvereinbarungen" und "der ersten Einsätze vor Ort geprüft", heißt es in einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine kleine Anfrage der Grünen. Das bedeutet, gute Chancen auf einen Auftrag hat, wer sein Gehalt auf Deutsch aushandeln kann und den (deutschsprachigen) Mitarbeiter des Bamf in den ersten Tagen von seinem Können überzeugt. Angemessene Qualitätskontrollen gibt es nicht. "Beim Bamf kann eigentlich jeder als Dolmetscher arbeiten", schreibt die Grünen-Bundestagsfraktion dazu.
Sind flexible Einsatzmöglichkeiten und geringe Gehaltsvorstellungen für das Bamf wichtiger als sprachliches Können? Während ein Dolmetscher vor Gericht mit 70 Euro pro Stunde nach Tarif bezahlt wird, liegt der durchschnittliche Satz des Bamf zwischen 25 und 32 Euro. Die geringen Anforderungen des Amtes machen das System anfällig für Fehler, besonders bei der Asylanhörung, jenem Gespräch, das maßgeblich über Anerkennung des Asylantrages entscheidet.
Es komme häufig vor, dass bei der Nachkontrolle von Anhörungsprotokollen Fehler entdeckt würden, sagt Stefan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Anwältin Anna Toth spricht davon, dass in rund der Hälfte der Fälle Aussagen von Asylbewerbern im Protokoll nicht richtig wiedergegeben sind oder ganz fehlen. Immerhin, das Bundesamt plant derzeit eine Schulung für Dolmetscher zum Thema "Neutralität und Professionalität im Asylverfahren". Dass es Laien-Dolmetscher auch sprachlich weiterbilden will, davon spricht das Bamf nicht.
Wie hoch ist die Qualität der Bamf-Dolmetscher wirklich? Rayana Fakhri ist einst selbst aus Afghanistan nach Deutschland geflohen und arbeitet in Norddeutschland als Dolmetscherin für das Bundesamt. Sie berichtet von Kollegen, die in ihrer Muttersprache nicht richtig lesen und schreiben könnten. Außerdem kenne sie drei Bamf-Dolmetscher, die das afghanische Dari nicht gut genug sprächen. "Es wird zu wenig kontrolliert." Solche Kontrollen fordert deshalb auch Pro Asyl. Das Bamf solle regelmäßig Sprachkundige in die Anhörungen setzen, um die Qualität des Gedolmetschten zu überprüfen.
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Wenn Asylbewerber Dolmetscher um Hilfe bitten, haben manche Mitleid
Durch die hohen Flüchtlingszahlen sucht die Behörde händeringend nach Dolmetschern für Sprachen wie das afghanische Dari oder die eritreische Sprache Tigrinya. Für beide gibt es keine Ausbildungsgänge in Deutschland. Woher also professionelle Dolmetscher nehmen? Der "Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer" führt nur zwei Tigrinya-Dolmetscher. Wie gut all die anderen ausgebildet sind, die für das Bamf arbeiten, ist schwer zu sagen. Auch, wie sehr sie die Regeln der Neutralität befolgen.
Manipulationen gibt es offenbar nicht nur zum Nachteil der Flüchtlinge, sondern auch zu ihrem Vorteil. Rayana Fakhri erzählt, wie schwer es Dolmetschern mitunter falle, neutral zu bleiben, wenn es für Landsleute um alles oder nichts geht. "Viele Flüchtlinge sehen ihren Dolmetscher als Retter an", sagt sie. Sie habe diese Erfahrung bei der Asylanhörung selbst gemacht. Da heiße es von den Asylbewerbern: "Ich verlasse mich auf dich", oder, "Du hilfst mir doch, wenn ich etwas falsch mache?" Anfangs waren ihr Mitleid groß und ihre Nächte schlaflos, Neutralität sei ihr schwergefallen. "Trotzdem darf ich niemandem helfen. Ich übersetze Wort für Wort, dann sind einige am Ende natürlich enttäuscht." Aber nicht alle könnten zwischen Mitgefühl und neutralem Arbeitsauftrag trennen. "Ich kenne drei Kollegen, die Flüchtlingen dann helfen", sagt Fakhri.
Hikmat Al-Sabty, Mitglied beim Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer und Abgeordneter der Linken im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, sagt: "Man muss da knallhart trennen." Er ist in den Achtzigerjahren aus dem Irak nach Deutschland geflohen. Auch er wurde über die Jahre mehrmals während Anhörungen um Hilfe gebeten. Al-Sabty sagt, er habe jedes Mal abgelehnt. "Es gibt Kollegen, die sagen am Anfang so eines Gesprächs: 'Wir kriegen das hin. Du sagst, was du nicht weißt, und ich helfe dir.'"