Asylsuchende in Deutschland:Was hinter der Zahl von 1,5 Millionen steckt

Asylsuchende in Deutschland: Viele Kommunen sehen sich überfordert: Flüchtlinge in einer Massenunterkunft im hessischen Hanau.

Viele Kommunen sehen sich überfordert: Flüchtlinge in einer Massenunterkunft im hessischen Hanau.

(Foto: Boris Roessler/AP)
  • Die Bild-Zeitung berichtet, dass "Geheimpapieren deutscher Behörden" zufolge in diesem Jahr 1,5 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland kommen würden.
  • Das Innenministerium verweist aber darauf, dass genaue Prognosen angesichts der vielen Variablen gar nicht seriös zu treffen seien.
  • Zu den Variablen gehören beispielsweise das nun verschärfte Asylrecht oder das Sinken von Flüchtlingszahlen bedingt durch schlechter werdendes Wetter.

Von Robert Roßmann, Berlin

Es ist eine Zahl, die nicht nur auf den ersten Blick gewaltig ist. 1 500 000 Flüchtlinge würden in diesem Jahr nach Deutschland kommen, berichtete die Bild-Zeitung am Montag. Dies gehe aus "Geheimpapieren deutscher Behörden" hervor. Um wenigstens eine grobe Vorstellung von der Dimension dieser Zahl zu bekommen, hilft ein Blick auf München. Die bayerische Landeshauptstadt hat ziemlich genau 1,5 Millionen Einwohner. Wer ermessen will, wie viele zusätzliche Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Wohnungen in Deutschland gebaut werden müssen, muss also nur auf München schauen, um eine Vorstellung von der Größe der Aufgabe zu bekommen.

Das Bundesinnenministerium erklärte am Montag zwar, es könne die von der Zeitung genannten Zahlen "nicht bestätigen". Weder im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch im Ministerium sei ein solches Geheimpapier bekannt. Im Innenministerium hieß es, vielleicht handele es sich um ein Papier, das auf Arbeitsebene entstanden sei, die Hausleitung aber nie erreicht habe. Weitgehend unstrittig ist aber, dass die bisherige Prognose des Innenministers zu niedrig angesetzt ist. Thomas de Maizière hatte am 19. August mitgeteilt, er rechne im Jahresverlauf mit 800 000 Flüchtlingen, bis dahin war er sogar von lediglich 450 000 ausgegangen. De Maizière rechtfertigte den Sprung damals mit "dem nicht vorhersehbaren dramatischen Anstieg der Einreisezahlen" seit Juni 2015.

Asylsuchende in Deutschland: Grafik: SZ

Grafik: SZ

Dass auch de Maizières neue Zahl 800 000 nicht zu halten sein wird, zeichnete sich aber schon nach wenigen Tagen ab. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer sprach bereits am 23. August davon, dass Deutschland auf eine Million Flüchtlinge "zugeht". Mitte September sah Vizekanzler Sigmar Gabriel diese Million dann erreicht. Seehofer und Gabriel sind immerhin die Vorsitzenden von CSU und SPD - und damit die wichtigsten Koalitionspartner der Kanzlerin. Am vergangenen Wochenende sprach Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) dann sogar von 1,2 bis 1,5 Millionen Flüchtlingen, die in diesem Jahr zu erwarten seien. Angesichts dieses Vorlaufs scheint die Zahl der Bild-Zeitung zumindest am oberen Rand des Möglichen zu liegen.

Täglich müssten 10 000 Menschen einreisen

Das Innenministerium verweist aber darauf, dass genaue Prognosen angesichts der vielen Variablen gar nicht seriös zu treffen seien. Niemand wisse, wie sich die Flüchtlingszahl in den kommenden Wochen entwickeln werde. Auf 1,5 Millionen Flüchtlinge kommt man jedenfalls nur, wenn man bis zum Jahresende täglich 10 000 neue Asylbewerber veranschlagt. De Maizière hatte zuletzt zwar selbst davon gesprochen, dass es Tage mit einem derart hohen Zuzug gebe. In seinem Ministerium gehen sie aber nicht davon aus, dass das durchgängig bis zum Jahresende für jeden einzelnen Tag gelten werde.

Wie wirken sich die Wintermonate aus?

Ein Sprecher des Innenministeriums gestand am Montag zwar ein, "dass der Monat September die höchsten Flüchtlingszahlen seit sehr vielen Jahren hatte". Die Entwicklung hat sich damit gegenüber den Vormonaten noch einmal beschleunigt. "Hochrechnungen auf der Basis der aktuellen Zahlen mit dem Ziel, die Jahresgesamtprognose zu berechnen", würden jedoch nicht weiterführen, sagte der Sprecher. Man wisse beispielsweise nicht, wie sich die Wintermonate auswirken würden. Normalerweise würden die Flüchtlingszahlen bei schlechtem Wetter sinken.

Außerdem habe die Bundesregierung gerade eine umfassende Verschärfung des Asylrechts beschlossen, deren erster Teil bereits im November in Kraft treten solle. Auch davon verspreche man sich einen Rückgang der Zahlen. Darüber hinaus führe die Regierung "national, auf europäischer Ebene und international" Gespräche, um die Situation in den Herkunfts- und Transitstaaten zu verbessern und dadurch "den Flüchtlingsdruck zu mildern".

Längst nicht mehr alle Flüchtlinge lassen sich sofort registrieren

Experten verweisen jedoch darauf, dass sich die Flüchtlingsrouten geändert hätten. Zahl und Länge der Überfahrten über das Meer hätten sich zugunsten des Landwegs verringert. Deshalb dürfte auch der wetterbedingte Rückgang im kommenden Winter kleiner ausfallen als üblich. Außerdem würde die Verschärfung des Asylrechts allenfalls mittelfristig zu einem Rückgang der Flüchtlingszahlen führen.

Das Innenministerium will zwar keine neue Jahresprognose vorlegen. Es kündigte aber an, noch in dieser Woche die aktuellen "Easy"-Zahlen für September veröffentlichen zu wollen. Easy steht für das Computersystem zur "Erstverteilung von Asylbegehrenden", mit dem die Flüchtlinge bei ihrer Ankunft in einer Erstaufnahmeeinrichtung erfasst werden. Erst nach dieser Registrierung können sie einen Asylantrag stellen.

In der Fragestunde des Bundestages hat Innen-Staatssekretär Günter Krings bereits eine vorläufige Zahl mitgeteilt. Demnach wurden allein von 1. bis 27. September im Easy-System 138 151 neue Flüchtlinge erfasst, insgesamt sind es 2015 damit bereits knapp 600 000. Dazu kommt allerdings noch eine erhebliche Dunkelziffer, da sich längst nicht mehr alle Flüchtlinge sofort registrieren lassen. Auch deshalb sind Prognosen derzeit so schwierig.

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