Asylstreit in Berlin:Empfang mit Hitlergruß

Rechte demonstrieren gegen Flüchtlingsheim Hellersdorf

Eine NPD-Kundgebung in der Nähe des Asylbewerberheims wurde am Dienstagabend von 800 Demonstranten gestört.

(Foto: dpa)

Die Fenster sind geschlossen, niemand ist zu sehen. Die Bewohner eines Asylbewerberheims in Marzahn-Hellersdorf halten sich versteckt. Sie haben Angst vor Anwohnern und Rechtsextremen, die Stimmung gegen sie machen. Doch die Eskalation in Berlin hat dafür gesorgt, dass sich nun auch die Bundespolitik in das Thema Asyl einschaltet.

Von Antonie Rietzschel, Berlin

Nach fünf Minuten wird Manfred Rouhs wütend. Das Mikrofon des Vorsitzenden der rechtspopulistischen Partei "Pro Deutschland" funktioniert nicht. Mitten in dem Wort "Abschiebung" hat es den Geist aufgegeben. Im grauen Anzug steht Rouhs vor einem Supermarkt und gestikuliert in Richtung Techniker. Zahlreiche Fernseh-und Fotokameras sind auf ihn gerichtet. Von Rouhs' eigenen Leuten sind gerade mal sechs da. Einer hält ein Plakat mit der Aufschrift "Stadt der Angst? Nicht mit uns." Auf der anderen Seite der Kreuzung stehen ungefähr 100 Gegendemonstranten. Sie rufen "Nazis raus" und "Haut ab". 300 Polizisten sind im Einsatz.

Der Berliner Stadtbezirk Marzahn-Hellersdorf befindet sich seit drei Tagen im absoluten Ausnahmezustand. Der Grund: Anfang der Woche haben dort die ersten Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan ihre Unterkunft in einer ehemaligen Schule bezogen. Bereits im Vorfeld hatte sich der Streit um das Asylbewerberheim mitten im Wohngebiet verschärft. Die anonym agierende "Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf", die auch von der NPD unterstützt wird, hatte die Anwohner über Wochen hinweg aufgehetzt. Als am Montag die ersten Flüchtlinge eintrafen, wurde ihnen zugerufen, sie sollten abhauen. Ein Mann zeigte den Hitlergruß. Einige Flüchtlinge verließen die Unterkunft wieder - aus Angst.

Diffuse, aber reale Ängste

Eine Demonstration der NPD am Dienstagabend lief für die Rechten nicht gerade nach Plan. 800 Gegendemonstranten, vor allem von der linken Antifa, umzingelten die gerade mal 30 Anhänger der rechtsextremen Partei. Ein erster Erfolg. Und nun blamiert sich auch noch Pro Deutschland durch technisches Versagen und offensichtlich fehlende Unterstützung. Doch damit ist das Thema längst nicht abgehakt. Denn hinter den dumpfen Parolen stecken reale, wenn auch diffuse Ängste vieler Anwohner, die die rechten Parteien für sich nutzen wollen. Gerade jetzt zur Bundestagswahl.

Ein Mitglied der Initiative "Hellersdorf hilft Asylbewerbern" lebt in der Nähe des Heims. Er will lieber anonym bleiben. Die Nachbarn hätten Angst vor steigender Kriminalität oder davor, dass der Bezirk verdreckt, erzählt er. Es sind Befürchtungen, die nicht nur typisch für den Bezirk Marzahn-Hellersdorf sind. Sie sind typisch für viele Orte in Deutschland, an denen Asylbewerberheime entstehen.

Die Lage wird sich noch weiter verschärfen

Ob im vorpommerschen Wolgast, wo im vergangenen Jahr der Streit um ein Heim in einem sozialen Brennpunkt Schlagzeilen machte oder in Hessen, wo sich Anwohner einer Kleinstadt gegen Pläne wehrten, 60 Flüchtlinge in einer Turnhalle unterzubringen - die Menschen fühlen sich in ihren Ängsten nicht ernst genommen.

Die Lage wird sich noch weiter verschärfen. Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland ist derzeit so hoch wie seit 1999 nicht mehr. Allein im Juli beantragten 9516 Menschen erstmals Asyl beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Im Vergleich zum Vorjahresmonat hat sich die Zahl damit mehr als verdoppelt.

Seit Jahresbeginn suchten mehr als 50.000 Menschen in der Bundesrepublik Asyl. Die meisten kommen derzeit aus Russland, viele stammen aus der Teilrepublik Tschetschenien. An zweiter Stelle liegt Syrien. Knapp 1000 Menschen haben aus dem Bürgerkriegsland Zuflucht in Deutschland gesucht; jüngst gab die Regierung bekannt, 5000 weitere Syrer aufzunehmen. Viele Kommunen wissen schon jetzt nicht mehr, wo sie all die Menschen unterbringen sollen.

"Wie bei den Hottentotten"

Gleichzeitig gibt es Organisationen wie den Flüchtlingsrat oder Pro Asyl, die regelmäßig die Asylpolitik kritisieren, darunter auch die Unterbringung in Heimen. Und dann sind da noch die Flüchtlinge selbst. Seit Monaten harren 100 von ihnen in einem Flüchtlingscamp in Berlin aus - und im Juni traten 44 Flüchtlinge in München in einen Hungerstreik, der von der Polizei beendet wurde.

Doch schließlich brauchte es erst eine Eskalation wie in Marzahn-Hellersdorf, bis die Diskussionen über Asyl auch die Bundespolitik erreichten. So fordert der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach nun ein Krisentreffen von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden. Bosbach sagte der Saarbrücker Zeitung, das Thema dürfe nicht den Rechtspopulisten überlassen werden.

Prompt reagiert auch die Linkspartei. In einer Pressemitteilung heißt es, Deutschland brauche kein Krisentreffen, sondern eine andere Asyl-und Flüchtlingspolitik: "Es ist die CDU-geführte Bundesregierung, die noch immer am zutiefst diskriminierenden Asylbewerberleistungsgesetz festhält, die über das Asylverfahrensgesetz die Unterbringung von Flüchtlingen in Sammelunterkünften für die ersten drei Monate zwingend vorschreibt." Die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast fordert die Kommunen auf, Heimstandorte sorgfältig auszusuchen und ein entsprechendes Sicherheitskonzept vorzulegen.

Wer jetzt schuld an ihrer Situation ist, interessiert die Flüchtlinge in Marzahn-Hellersdorf wohl derzeit herzlich wenig. Sie haben ganz andere Probleme. Auf der Straße vor ihrer Unterkunft stehen an diesem Nachmittag mehrere Kamerateams. Jeder Anwohner, der sich zeigt, wird interviewt. Lauthals ruft einer in Richtung des ehemaligen Schulgebäudes, dass man hier ja nicht alles Elend der Welt aufnehmen könne. Ein Pärchen erklärt einer RTL-Redakteurin mit abwehrender Geste: "Wir haben schon."

Rechts neben der Schule hat die Antifa einen Pavillion aufgebaut. Die Bässe einer Anlage wummern durch das Wohngebiet und sorgen für zusätzlichen Ärger. "Wie bei den Hottentotten hier", schimpft eine Passantin.

Von den Flüchtlingen ist nichts zu sehen, die Fenster des Gebäudes sind geschlossen. Offensichtlich halten sich die Bewohner versteckt. "Was sollen die auch anderes machen", fragt eine Anwohnerin. "Die brauchen Polizeischutz, werden beschimpft und jetzt spielen die da laute Musik. Die müssen doch denken, die Deutschen haben nicht mehr alle Latten am Zaun."

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