Das Bundesverfassungsgericht zu Karlsruhe ist ein ruhmreiches Gericht. Es hat die Freiheitsrechte gestärkt, die sozialen Grundrechte entfaltet und die deutsche Politik geprägt. Vor fünfzehn Jahren aber haben die höchsten deutschen Richter einen historischen Fehler gemacht, der an der Ernsthaftigkeit ihres Grundrechtsschutzes zweifeln lässt: Sie haben, gedrängt von der Politik und eine starken öffentlichen Meinung, dem neuen Asylrecht, das nicht Recht ist, den verfassungsrechtlichen Segen gegeben. Dies geschah am 14. Mai 1996, seitdem ist das Asylgrundrecht nur noch nominell ein Grundrecht; in Wahrheit ist es eine Attrappe, ein Grundrecht dritter Klasse, ein Grundrechtlein.
Knapp 15 Jahre später hätten die Richter nun die Chance gehabt, sich zu korrigieren. Sie hätten bekennen können, dass sie damals falsch geurteilt haben, weil sich das höchste Gericht damals hatte anstecken lassen von öffentlicher Hysterie. Die höchsten Richter hätten den Versuch machen können, den am Boden liegenden Grundrechtsschutz für Flüchtlinge wieder aufzurichten. Sie haben den Mut nicht gehabt. Sie haben die Chance vertan.
Sie haben stattdessen das Verfahren für erledigt erklärt. Damit haben sie den Flüchtlingsschutz erledigt - sie haben ihn der deutschen und der europäischen Politik überlassen, obwohl die in den vergangenen 15 Jahren gezeigt haben, wie wenig ihnen am Flüchtlingsschutz gelegen ist. Die Karlsruher Richter tun das nicht, was sie sonst so gern machen: Sie geben der Politik keine Weisungen, keine Empfehlungen, keine Forderungen und keinen Maßstab an die Hand. Sie spielen den Pontius Pilatus.
Die Richter haben sich ein Türchen gesucht, um sich herauszuschleichen aus dem Verfahren und es ohne Urteil zu Ende zu bringen. Sie haben sich dieses Türchen beim Bundesinnenminister bestellt, der hat es gebaut und rot angemalt wie einen Notausgang - durch den sind nun die Richter aus dem Verfahren hinausspaziert.
Das ging so: Der Bundesinnnenminister hat, auf Wunsch des Verfassungsgericht, kurz vor dem anstehenden Karlsruher Urteil per Erlaß die Abschiebung von Flüchtlingen nach Griechenland für ein Jahr ausgesetzt - damit war die unmittelbare Gefahr für den Flüchtling, der Verfassungsbeschwerde eingelegt hatte, vorbei.
Die Richter hätten gleichwohl feststellen können und müssen, dass das ganze System, auf dem auch der ministerielle Erlass beruht, mit einem effektiven Schutz der Grund- und Menschenrechte nicht in Einklang zu bringen ist. Aber exakt das wollten sie ja partourt vemeiden. Sie wollten sich den Mund nicht verbrennen. Das Bundesverfassungsgericht überlässt das dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.
Wenn die Karlsruher Richter einmal die Chance hätten, zusammen mit den Kollegen in Straßburg die Menschenrechte zu stärken, dann tun sie es nicht. Es ist bitter: Die Karlsruher sind vor allem dann rührig, wenn sie gegen die Kollegen in Straßburg agieren können; wenn sie aber mit ihnen agieren könnten, dann tun sie es nicht. Karlsruhe degradiert sich selbst. Richterlicher Mut wandert ab nach Straßburg.