Merz zum Asylrecht:Die Lehren aus der Nazi-Zeit wären gestrichen

Friedrich Merz, 2000

Friedrich Merz, 2000, damaliger Fraktionsvorsitzender

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Die symbolische Wirkung einer Abschaffung des deutschen Grundrechts auf Asyl wäre ungeheuer. Friedrich Merz macht da weiter, wo er im Jahr 2000 angefangen hat.

Kommentar von Heribert Prantl

Friedrich Merz macht da weiter, wo er im Jahr 2000 als Fraktionsvorsitzender begonnen hat; er macht auch so weiter, wie er damals aufgehört hat. Angefangen hatte er mit der Forderung, das Asylgrundrecht abzuschaffen; er wollte es ablösen durch eine "institutionelle Garantie". Und aufgehört hat er damals mit dem Reden von den Tabus, die es nicht geben dürfe und von der "deutschen Leitkultur", die Migranten in Deutschland zu beachten hätten.

Jetzt erklärte er zum Asylgrundrecht, er sei seit Langem der Meinung, dass offen darüber geredet werden müsse, ob dieses "in dieser Form fortbestehen" könne. Das wollte er dann nachträglich nicht ganz so gemeint haben. Wenn man seine jetzigen Äußerungen analysiert, sollte man ein Interview lesen, das er damals als Fraktionschef gegeben hat. Er forderte seinerzeit dazu auf, sich in der Debatte ums Asylrecht von den Erfahrungen des Nationalsozialismus zu lösen: "Unsere Generation will sich nicht mehr derart in Haftung für unsere Vergangenheit nehmen lassen." So sagte er im März 2000 der Hamburger Zeitschrift Die Woche.

"Schlag ins Gesicht der Opfer und Überlebenden des Nazi-Regimes"

Deutschland brauche die Zuwanderung von Menschen, "die wir haben wollen". Das setze voraus, "dass wir sagen, wen wir nicht haben wollen". Die Bundesrepublik habe dazu wegen der Erfahrungen des Nationalsozialismus nicht den Mut gefunden. Den von ihm selbst so bezeichneten "Mut", den Merz als 44-Jähriger für sich in Anspruch nahm, kocht er nun als 63-jähriger Rückkehrer in die Politik wieder auf. Paul Spiegel vom Zentralrat der Juden hatte das damals als "Schlag ins Gesicht der Opfer und Überlebenden des Nazi-Regimes" bezeichnet.

Merz stellte auf der CDU-Regionalkonferenz das Asylgrundrecht infrage; das müsse sein, meinte er, wenn eine EU-Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik ernsthaft gewollt werde. Merz tut so, als stünde das 1993 nach heftigsten Diskussionen schon geänderte deutsche Asylgrundrecht dem europäischen Asylrecht in Wege.

Er weiß offenbar nicht, wie der damalige CDU-Innenminister Kanther die Schutzlücken des geänderten Asylrechts vor dem Verfassungsgericht verteidigte: Das sei ein Opfer, das "Deutschland für Europa" bringen müsse. Merz weiß nicht oder will nicht wissen, dass das gemeinsame EU-Asylrecht schon weit gediehen ist. Es gibt in der EU-Grundrechte-Charta den Artikel 18, der das Asylrecht nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention gewährleistet. Und es gibt seit 2012 die EU-Qualifikationsrichtlinie, die die Regeln für die Flüchtlingsanerkennung einheitlich festlegt. Die EU gewährt hier ein Individualrecht auf Asyl, ähnlich wie es das Grundgesetz tut.

Staatsrechtler: Abschaffung des deutschen Asylgrundrechts wäre "weitgehend wirkungslos"

Es fehlt nicht, wie Merz meint, am einheitlichen EU-Recht, es fehlt am Willen der Staaten, es einzuhalten. Juristen sagen, das deutsche Asylrecht sei mittlerweile so europarechtlich "überformt", dass die Abschaffung des deutschen Asylgrundrechts "weitgehend wirkungslos" bliebe. So nachzulesen im Grundgesetz-Kommentar Dürig-Herzog, dargelegt vom Staatsrechtler Klaus Ferdinand Gärditz von der Uni Bonn.

Das mag schon so sein. Aber die symbolische Wirkung einer "Aktion Merz" gegen das deutsche Asylgrundrecht wäre gleichwohl ungeheuer. Die Mahnung der Mütter und Väter des Grundgesetzes wäre verraten. Die Lehren aus der Nazi-Zeit wären gestrichen. Aber das wollte Friedrich Merz ja schon so im Jahr 2000.

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