Nach dem tödlichen Messerangriff von Mannheim bricht in der Regierungskoalition ein neuer der Konflikt über die Asylpolitik auf. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte am Dienstag an, „so schnell wie möglich“ wieder Straftäter und Gefährder nach Afghanistan oder Syrien abschieben zu wollen. Sie lasse dies „sehr intensiv“ prüfen. Die Sicherheitsinteressen Deutschlands seien höher zu bewerten als das Bleibe-Interesse der Betroffenen. Auch die FDP befürwortet einen härteren Kurs.
Nur wenige Tage vor der Europawahl steht die Regierungskoalition damit vor einer Kraftprobe. Denn die Grünen sehen den Vorstoß mit großer Skepsis. „Natürlich haben wir ein Interesse, dass Täter, die massive Straftaten begangen haben, beschleunigt zurückgeführt werden“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock am Dienstag. Die Frage werde schon länger geprüft, sie sei allerdings alles „andere als trivial“.
Unklar sei etwa, wie die Bundesregierung „mit einem islamistischen Terrorregime“ zusammenarbeiten könne, zu dem es keinerlei Beziehungen gebe, so Baerbock. „Und wie schließen wir aus, dass von dort aus dann nicht der nächste Terroranschlag geplant wird?“ Wer schwere Straftaten verübt habe, könne nicht ohne Weiteres rückgeführt werden. „Nicht zuletzt schulden wir es den Opfern, dass die Täter für ihre Strafe im Gefängnis büßen und Mörder nicht in Afghanistan auf freien Fuß gesetzt werden.“
Im Bundesinnenministerium begriff man die Haltung der Grünen bislang als kategorisches Nein zu Abschiebungen nach Afghanistan. Nun will sich aber offenbar Kanzler Olaf Scholz einschalten. Er kündigte in der SPD-Fraktion eine Regierungserklärung zur Sicherheitslage für Donnerstag an. Nach Berichten von Teilnehmern wolle er sich vorher mit anderen abstimmen. Es bleibe aber seine Regierungserklärung. „Ich bin der Kanzler, wenn ich das so sagen darf“, zitierten Teilnehmer Scholz. Es stünden möglicherweise durchaus überraschende und für die Ampelkoalition kontroverse Ankündigungen zu erwarten.
Ausgelöst hatte die Debatte eine brutale Gewalttat, bei der ein 25-jähriger, aus Afghanistan stammender Mann am Freitag mit einer Messerattacke einen Polizisten in Mannheim getötet und mehrere Menschen verletzt hatte. Die Ermittler gehen von einem islamistisch motivierten Einzeltäter aus. Im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft löste die Tat in Sicherheitsbehörden erhebliche Besorgnis aus. Verfassungsschutz und Geheimdienst hatten zuletzt immer wieder vor solchen Tätern gewarnt, weil sie von Behörden kaum zu bemerken seien.
Der Tatverdächtige von Mannheim hat zwei Kinder mit einer Frau mit deutscher Staatsbürgerschaft
Der Tatverdächtige von Mannheim galt lange als unauffällig. Er kam 2013 als unbegleiteter Minderjähriger nach Deutschland, beantragte in Hessen Asyl und lebte in einem Jugendwohnheim. Der Asylantrag wurde von den Behörden zwar abgelehnt, er durfte wegen seines Alters dennoch bleiben. Auch als er volljährig war, änderte sich das nicht. Wegen Anschlägen in Afghanistan wurden damals weniger Menschen abgeschoben. 2022 bekam er einen legalen Aufenthaltstitel – er hatte inzwischen eine Frau mit deutscher Staatsbürgerschaft und ein Kind, mittlerweile sind es zwei. Nach Angaben aus Ermittlerkreisen könnte sich der Attentäter bereits zu diesem Zeitpunkt radikalisiert haben, was den Behörden offenbar nicht auffiel.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz kündigte einen Antrag im Bundestag an, mit dem CDU und CSU Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien wieder ermöglichen wollen. „Wir haben ein massives Problem mit Islamismus in Deutschland“, sagte Merz. Dadurch würden Demokratie und Sicherheit in Deutschland enorm herausgefordert. Man versuche nun, auf die Ampelkoalition zuzugehen.
Auch in Bundesländern, die ein Ende des Abschiebestopps fordern, gab es bis zuletzt erhebliche Zweifel, ob das Bundesinnenministerium Abschiebungen überhaupt forcieren kann. Aus Baden-Württemberg etwa kamen nach schweren Straftaten dringende Appelle an den Bund, die Rückführung von Straftätern und extremistischen Gefährdern nach Afghanistan zu unterstützen. Unter Innenminister Horst Seehofer (CSU) waren sie wegen der Machtübernahme der Taliban 2021 ausgesetzt worden. In der Folge habe man einen verurteilten Afghanen, der als „Gefährder im Hochrisikobereich“ eingestuft gewesen sei und dem nach der Haftentlassung Anschlagsplanungen zugetraut wurden, nicht abschieben können, hieß es in Stuttgart.
Faesers Ministerium aber erklärte solche Abschiebungen für unmöglich. Man verfüge „aktuell nicht über die notwendigen Gesprächskanäle und Kontakte zur De-facto-Regierung in Afghanistan“, antwortete ihr Haus im Januar 2023. Zudem setzten Rückführungen nach Afghanistan „ein Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt voraus“. Dies sei, so die Botschaft, nicht gegeben. Aus Ländersicht war das eine Absage. Der Bundeskanzler allerdings könnte die Lage am Donnerstag ändern.