Asylpolitik:Neue Heimat per Dekret

Cottbus Struggles With Tensions Over Refugees

In Cottbus demonstrierten viele Bürger gegen die Zuzügler - aber auch viele Menschen gegen den Hass.

(Foto: Carsten Koall/Getty Images)

Behörden schreiben Flüchtlingen vor, wo sie zu wohnen haben - und immer öfter auch, wo nicht. Ob diese Auflagen wirklich bei der Integration helfen, ist umstritten.

Von Jan Bielicki

Salzgitter machte schon im Oktober dicht. Es war die erste Stadt, in die keine anerkannten Flüchtlinge mehr ziehen durften. So hat es Niedersachsens Landesregierung auf Drängen von Oberbürgermeister Frank Klingebiel (CDU) angeordnet. 300 Flüchtlinge waren zuvor jeden Monat in die Industriestadt gekommen. Die meisten von ihnen waren Syrer. In Kitas und Schulen wurde es eng, die Wartelisten für Integrationskurse wurden immer länger. Die Stadt brauche eine Atempause, sagte die für Integration zuständige Erste Stadträtin Christa Frenzel (SPD) dem NDR.

Auch für Delmenhorst und Wilhelmshaven, im brandenburgischen Cottbus und im pfälzischen Pirmasens gilt inzwischen ein Zuzugsstopp für anerkannte Schutzsuchende. Flüchtlingshilfsorganisationen zeigen sich alarmiert. Zuzugssperren seien "ein weiteres Signal, dass auf die reine Abwehr von Flüchtlingen setzt", kritisiert Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. Doch sogar der Städte- und Gemeindebund rät zu Zuzugsstopps, "wenn die Belastungen objektiv zu groß sind", wie dessen Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg in dieser Woche sagte.

Tatsächlich verteilen sich die Flüchtlinge - und die Belastungen - sehr ungleich über das Land. Zwar werden Asylbewerber nach ihrer Ankunft nach einem bestimmten Schlüssel auf die einzelnen Bundesländer verteilt. Doch einmal anerkannt, zogen die Menschen oft weiter - meist vom Land in die Städte und aus dem Osten Deutschlands in den Westen und Norden, wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft 2016 feststellte.

Um diese Sekundärmigration besser steuern zu können, schrieb die Bundesregierung im selben Jahr ins Aufenthaltsgesetz, dass die Behörden auch anerkannten Flüchtlingen vorschreiben können, wo sie zu wohnen haben. Seither gilt, dass Schutzsuchende, sofern sie von Sozialleistungen abhängig sing, in der Regel für drei Jahre nach ihrer Anerkennung in dem Bundesland ihren Wohnsitz nehmen müssen, in dem ihr Verfahren lief. Ausgenommen sind Flüchtlinge, die mindestens 15 Wochenstunden arbeiten oder die zu engen Familienangehörigen ziehen.

Die Bundesländer dürfen ihrerseits anerkannten Flüchtlingen einen bestimmten Wohnort zuweisen. Von den 13 Flächenländern verteilen sechs - Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Sachsen-Anhalt - die Menschen mit derartigen "positiven" Wohnsitzauflagen über Städte und Landkreise, Sachsen will nun folgen. Andere Länder greifen im Notfall dagegen auf "negative" Wohnsitzauflagen zurück und sagen Flüchtlingen, wo sie nicht wohnen dürfen. Kommunalvertreter halten das jedoch nur für eine Notlösung. Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, fordert von den Bundesländern, positive Wohnsitzauflagen: "Das ist der richtige Weg, um weitere Zuzugsstopps aufgrund besonderer Belastungen wie in Salzgitter, Cottbus oder Delmenhorst zu vermeiden", sagt Dedy.

Ist es wirklich sinnvoll, Flüchtlinge in ländliche Regionen zu zwingen?

Inwieweit solche Auflagen die Integration erleichtern, ist umstritten. Ist es wirklich sinnvoll, Flüchtlinge aus Städten, wo billiger Wohnraum knapp ist, in ländliche Regionen zu zwingen, wo es schwierig sein kann, Arbeit zu finden? Migrationsforscher fordern, die Flüchtlinge dorthin zu verteilen, wo Integration am besten gelingen kann, und dabei Kriterien wie etwa Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot oder Ausländeranteil berücksichtigen. Das ist bislang aber nur in zwei Ländern - NRW und Sachsen-Anhalt - so vorgesehen.

Dabei gibt es Erfahrungen mit diesem Instrument. Zwischen 1989 und 2009 wurde auch Spätaussiedlern aus den ehemaligen Ostblock-Staaten ein Wohnort zugewiesen. Eine Auswertung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ergab 2007, dass immerhin zwei von drei Aussiedlern auf Dauer in dem ihnen zugewiesenen Wohnort blieben. Und drei Viertel fühlten sich dort wohl.

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