Europäische AsylpolitikAngriff auf das Fundament

Lesezeit: 3 Min.

Die italienische Premierministerin Giorgia Meloni (r.) und die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen wollen künftig auf EU-Ebene enger zusammenarbeiten.
Die italienische Premierministerin Giorgia Meloni (r.) und die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen wollen künftig auf EU-Ebene enger zusammenarbeiten. (Foto: Roberto Monaldo/AP)

Die dänische Sozialdemokratin Frederiksen verbündet sich mit Italiens Postfaschistin Meloni. Gemeinsam wollen sie erreichen, dass EU-Staaten kriminelle Ausländer leichter abschieben können.

Von Alex Rühle, Stockholm

Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und ihre italienische Amtskollegin Giorgia Meloni haben einen offenen Brief initiiert, in dem sie im Kern fordern, die Abschiebung krimineller Ausländer zu erleichtern. Die Regierungschefs von Polen, Belgien, Österreich, Estland, Lettland und der Tschechischen Republik sowie der Präsident Litauens haben den Brief ebenfalls unterzeichnet.

Die neun Länder sprechen sich für eine grundlegende Diskussion über die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention aus. Sie warnen davor, dass die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zunehmend nationale Handlungsspielräume einschränke – insbesondere beim Umgang mit kriminellen Migranten.

Der Schutz der Bevölkerung müsse in manchen Fällen wichtiger sein als individuelle Rechte

Obwohl sie sich klar zu europäischen Werten, der Menschenwürde und internationalen Institutionen wie der EU, den UN und der Nato bekennen, sehen die Unterzeichner großen Reformbedarf. Die Welt habe sich seit Entstehung der Konvention grundlegend verändert, schreiben sie. Die illegale Einwanderung nach Europa sei „signifikant angestiegen“ und es gebe Migranten, die „sich in Parallelgesellschaften isolieren und sich von unseren Grundwerten der Gleichheit, Demokratie distanzieren“.

Verschiedene Länder hätten jeweils Versuche unternommen, ihre Gesetzgebung zur irregulären Migration den Verhältnissen anzupassen, würden aber vom EGMR ausgebremst. Besondere Kritik üben Frederiksen, Meloni und ihre Unterstützer an Urteilen, die Abschiebungen von straffälligen Ausländern verhindert hätten. Der Schutz der Bevölkerung und das Sicherheitsbedürfnis der Mehrheit müssten in solchen Fällen Vorrang vor individuellen Rechten haben.

Der Brief hat keinen direkten Adressaten, richtet sich aber deutlich gegen den EGMR und deren Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Alain Berset, der Generalsekretär des Europarats, dessen juristischer Arm der EGMR ist, sprach in einer ersten Reaktion von einer „Politisierung des Gerichtshofs“. Der EGMR sei dazu da, die Rechte und Werte zu schützen, zu deren Verteidigung sich die 46 Unterzeichnerstaaten verpflichtet haben, so Berset. Institutionen, die die Grundrechte schützen, dürften sich „nicht den politischen Zyklen beugen. Wenn sie es doch tun, riskieren wir, genau die Stabilität zu untergraben, die sie gewährleisten sollen.“ Der Gerichtshof dürfe nicht als Waffe eingesetzt werden, schreibt Berset: „weder gegen Regierungen noch von ihnen selbst“. Der Gerichtshof habe die vergangenen 75 Jahre Europa „als fester Kompass gedient, der die Rechtsstaatlichkeit aufrechterhält und die Rechte des Einzelnen innerhalb des Systems der gegenseitigen Kontrolle, das unsere Staaten gemeinsam aufgebaut haben, schützt.“

Dänemark übernimmt bald den EU-Ratsvorsitz und Frederiksen sucht das Bündnis mit Meloni

Deutliche Kritik an dem Brief, der auch vom belgischen Ministerpräsidenten Bart De Wever unterzeichnet worden ist, kam von den belgischen Sozialdemokraten. Deren Fraktionschef Pierre-Yves Dermagne schrieb, die Initiative stelle „einen beispiellosen Angriff auf eines der höchsten europäischen Gerichte dar, und noch dazu auf dasjenige, das über den Schutz unserer Grundfreiheiten wacht.“ In Dermagnes Augen stellt dieser Brief Belgien außerhalb seiner historischen Rolle bei der Verteidigung der Menschenrechte: „Die EMRK ist ein Leuchtturm, eine wesentliche Orientierungshilfe in einer Zeit, in der die extreme Rechte die Menschenrechte infrage stellt.“

Die Sozialdemokratin Mette Frederiksen sagte im dänischen Fernsehen, sie habe sich ihre italienische Kollegin, die Postfaschistin Giorgia Meloni, als „primäre Partnerin“ im Bereich Einwanderung ausgewählt, weil sie glaube, dass sie gemeinsam „einige Dinge in Europa bewegen können. Wenn wir beide unsere Eier in denselben Korb legen, sind wir ein Duo, das man nur schwer ignorieren kann“. Frederiksen war eigens nach Rom geflogen, um gemeinsam mit Meloni den Brief der Öffentlichkeit vorzustellen.

Meloni betonte, es sei nicht ihr Ziel, „die Konventionen oder die Werte, auf denen diese basieren, zu verwässern, aber sie müssen der Realität gerecht werden, in der wir heute leben“. Sie sagte, Europa brauche jetzt „innovative Lösungen“ und führte als Beispiel das Migrationsabkommen zwischen Italien und Albanien an. Italien hat im vergangenen November in den albanischen Städten Gjadër und Shëngjin zwei Lager eröffnet, in das Migranten gebracht werden sollten, die von der italienischen Küstenwache im Mittelmeer aufgegriffen werden. Dort sollten sie bleiben, bis ihre Asylanträge von den italienischen Behörden geprüft sind. Die Lager stehen aber leer, nachdem mehrere Gerichte diese Praxis – auch unter Berufung auf Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention – für illegal erklärt haben.

Auf dem nächsten EU-Gipfel Ende Juni wird die Migration auf der Tagesordnung stehen. Im Juli übernimmt dann Dänemark die rotierende EU-Ratspräsidentschaft. Schon jetzt ist klar, dass die Asylpolitik ganz oben auf der Liste der Themen steht, die während des sechsmonatigen Vorsitzes angegangen werden sollen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Treffen in Rom
:Merz sucht den Schulterschluss mit Meloni

Mit Kanzler Olaf Scholz kam Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nicht gut zurecht. Mit seinem Nachfolger Friedrich Merz umso besser.

Von Marc Beise

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: