Asylbewerber:Stoppschilder in der Flüchtlingspolitik

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Kontrollen der Bundespolizei an der deutsch-polnischen Grenze bei Frankfurt (Oder). (Foto: Odd Andersen/AFP)

Zurückweisungen, Abschiebungen, Kürzungen – es gibt viele Forderungen zur Abschreckung von Migranten, die aber Grundgesetz und Europarecht nicht zulassen.

Von Wolfgang Janisch, Roland Preuß, Karlsruhe/Berlin

Afghanen und Syrer an der deutschen Grenze abweisen, abgelehnten Asylbewerbern die staatliche Hilfe streichen, Ausreisepflichtige länger einsperren – CDU-Chef Friedrich Merz und andere haben nach den Messermorden in Solingen viele Forderungen in die Migrationsdebatte geworfen. Einiges davon jedoch stößt an die Grenzen des Grundgesetzes oder widerspricht internationalem Recht. Selbst ein Punkt im „Sicherheitspaket“ der Ampelkoalition gilt als rechtlich umstritten.

Sozialleistungen kürzen

Ausreisepflichtigen Asylbewerbern soll die staatliche Unterstützung gestrichen werden – der Schritt gilt vielen als ein Hebel, um abgelehnte Asylbewerber zu einer Rückkehr in ihre Heimat oder in den für das Asylverfahren zuständigen Staat zu bewegen. Zuständig ist nach dem sogenannten Dublin-System grundsätzlich das EU-Land, das Asylsuchende zuerst betreten haben. „Bei denjenigen, die als Dublin-Flüchtlinge ausreisen müssen, darf es nur noch null Euro vom deutschen Steuerzahler geben“, sagte diese Woche FDP-Chef Christian Lindner. Das fordert auch die Union.

Diese Forderungen haben nun Eingang gefunden in das jüngste „Sicherheitspaket“ der Bundesregierung. Darin heißt es, für Schutzsuchende, die ihr Asylverfahren in anderen Mitgliedsstaaten betreiben müssten und dort Anspruch auf Unterstützung hätten, „soll der weitere Bezug von Leistungen in Deutschland ausgeschlossen werden“. Ein Großteil der Migranten bleibt bisher in Deutschland, obwohl sie rechtlich in das zuständige EU-Land zurückkehren müssten. Dennoch bekommen sie in der Regel weiter Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Streicht man diese zusammen, so die Hoffnung, werden die Menschen zurückreisen.

Rechtlich ist das heikel. Das Bundesverfassungsgericht hat der Politik diesen Weg weitgehend verbaut. In einer Entscheidung aus dem Juli 2012 urteilte das Gericht, auch migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, könnten von vornherein „kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen“. In der Regel kann deshalb selbst abgelehnten Asylbewerbern, die ausreisen könnten, nicht die Unterstützung gestrichen werden. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann zeigte sich deshalb skeptisch gegenüber diesem Punkt im Ampelpaket.

Selbst der Migrationsrechtler Daniel Thym, den die Unionsfraktion im Bundestag wiederholt als Gutachter beauftragt hat, spricht von einem „engen Korsett der Bundesverfassungsgerichts-Rechtsprechung“, die bei den Sozialleistungen nur wenig Spielraum lasse. Die Ampelpläne hält er allerdings für rechtlich möglich. Die erst im Mai beschlossene EU-Asylreform erlaube diesen Schritt – und er könne bereits früher in Kraft treten als andere Teile der Reform, die erst 2026 greifen. „Voraussetzung ist, dass der Rechtsschutz abgelaufen ist“, also eine mögliche Klage abgewiesen. Allerdings räumt auch Thym ein, dass ein „Prozessrisiko“ bleibe. „Es ist nicht garantiert, dass Karlsruhe dies akzeptiert.“ Thym hat vorgeschlagen, das Grundgesetz zu ergänzen, um der Politik hier mehr Spielraum zu verschaffen.

Abweisung an der Grenze

Die Rückführung von Flüchtlingen ist äußerst kompliziert, die Erfolgsquote bleibt gering. Deshalb verlangt die CDU „konsequente Zurückweisungen bei illegalen Einreisen“ – denn wer gar nicht erst ins Land gelangt, muss nicht hinausgebracht werden. Die Ampelkoalition will zwar Ausweisungen erleichtern und mehr Rückführungen ermöglichen. Doch einen Stopp an der Grenze sieht sie nicht vor.

So bezwingend die Logik der Union anmuten mag: Rechtlich ist ihr Plan nicht haltbar. Zwar sind nach dem Schengener Grenzkodex Zurückweisungen an der Grenze möglich, an Bayerns Grenze zu Österreich praktiziert die Polizei dies tausendfach. Die dafür nötigen Rückübernahmeabkommen hat Deutschland mit seinen Nachbarn geschlossen. Entscheidend ist aber eine zweite Voraussetzung: „Abgewiesen werden darf nur, wer kein Asylgesuch stellt“, sagt Constantin Hruschka vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik.

Das Wort „Asyl“ an der Grenze ändert mithin alles. Denn damit wird das Dublin-Verfahren ausgelöst, an dessen Anfang ermittelt werden muss, welches Land für das Asylgesuch zuständig ist. Zwar gibt es vereinzelt Stimmen, die ein Nein an der Grenze für zulässig halten, wenn der Flüchtling aus einem „sicheren Drittstaat“ einreisen will; so steht es in der Tat in Paragraf 18 des deutschen Asylgesetzes. Doch die „heute wohl herrschende Meinung“ gebe den Dublin-Regeln den Vorrang, so steht es in einer aktuellen Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags. Heißt: Europarecht schlägt nationales Recht.

Der Anspruch auf ein Asylverfahren lässt sich auch nicht mit trickreichen Paragrafen aushebeln, die einen Flüchtling an der Grenze kurzerhand für nicht eingereist erklären. Eine solche „Fiktion der Nichteinreise“ ist unbeachtlich, hat das Verwaltungsgericht München 2021 entschieden. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2022 darf jeder im Hoheitsgebiet eines EU-Staates „einschließlich seiner Grenzen oder Transitzonen“ Schutz beantragen, „auch wenn er sich illegal dort aufhält“. So sieht es auch die Bundesregierung: Wer sich auf deutschem Hoheitsgebiet befinde, könne ein Asylgesuch stellen, hat sie im September 2023 auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion mitgeteilt. Letztlich ist dies das Rückgrat des Flüchtlingsschutzes. Ohne eine unbedingte Pflicht zur Prüfung von Anträgen liefe das Asylrecht ins Leere.

Daran dürfte auch die Notfallvorschrift des Artikels 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU nichts ändern, der nationale Ausnahmen zum Schutz der inneren Sicherheit erlaubt. Laut EuGH lässt der Artikel nur unter strengen Voraussetzungen Ausnahmen von den EU-Regeln zu.

Der grüne Europaabgeordnete Erik Marquardt, der die EU-Asylreform mitverhandelt hat, warnt vor den politischen Folgen eines solchen Vorgehens. „Es könnte eine Kettenreaktion geben, in der immer mehr EU-Staaten ihre Grenzen dichtmachen – und Schutzsuchende hin- und herschicken“, sagt Marquardt.

Unbegrenzter Ausreisearrest

Die CDU schlägt zudem einen „zeitlich unbegrenzten Ausreisearrest“ vor. Weil man nach dem Grundgesetz Menschen aber nicht einfach einsperren darf, schlägt sie eine Einrichtung „mit drei Wänden“ vor: Dadurch stehe den Menschen die Rückkehr in ihr Heimatland offen, der Arrest sei also gerade keine unzulässige Freiheitsentziehung.

Ähnliches hatte Ungarn in der Transitzone Röszke praktiziert – hatte sich damit allerdings beim EuGH eine Verurteilung eingefangen. Ungarn hatte den Flüchtlingen das Verlassen der Zone in Richtung Serbien freigestellt, doch laut EuGH drohten ihnen dort Sanktionen, zudem würden sie jede Chance auf eine Anerkennung als Flüchtlinge in Ungarn verlieren. Die Verwahrung in der Transitzone sei eben doch als Freiheitsentziehung einzustufen. Die Idee mit den drei Wänden kann nach Hruschkas Einschätzung daher nur funktionieren, wenn andere Länder zur Übernahme bereit sind. Für die Binnengrenzen sei das Modell ohnehin untauglich – „im Schengenraum muss man europäisch denken“.

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