Süddeutsche Zeitung

Asylpolitik:Einfahrt verboten

Ein Infobus darf nicht bei Flüchtlingsunterkünften aufs Gelände. Der Fall kommt vors Gericht - und ein Richter staunt.

Von Bernd Kastner

Es klingt zuerst wie ein simpler Parkplatzstreit: Wo darf das Campingmobil stehen? Doch die Frage ist nur überaus schwer zu beantworten, denn sie ist eine juristische und politische: Es geht um ein mobiles Büro, in dem Asylbewerber rechtlich beraten werden. Der "Infobus für Flüchtlinge" wird betrieben vom Münchner Flüchtlingsrat und Amnesty International. 15 Jahre lang fuhren die Berater damit Erstaufnahmeeinrichtungen in und um München an, ehe ihnen im Januar 2018 der Zugang verboten wurde. Weder der umgebaute Bus noch die Mitarbeiter dürfen seither aufs Gelände der Einrichtungen; sie müssen draußen auf der Straße stehen bleiben, um Flüchtlinge zu empfangen.

Das wollen die Infobus-Betreiber nicht akzeptieren; ihr Angebot sei für die Ratsuchenden schlechter zu finden und werde wesentlich weniger genutzt, sagen sie. Deshalb haben sie den Freistaat Bayern verklagt. Doch am Ende verlassen alle Beteiligten das Verwaltungsgericht München als Verlierer.

Der Parkplatzstreit ist brisant, weil er vor allem die "Anker-Zentren" betrifft, also jene Ankunfts- und Ausreisestätten, die Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) als Modell für ganz Deutschland bevorzugt. Dort aber, so kritisieren Asyllobbyisten, würden Bewohner so abgeschottet, dass ihre Chancen auf ein Bleiberecht sinken. Vor diesem Hintergrund verbietet die Bezirksregierung von Oberbayern, der regionale Arm der CSU-geführten Landesregierung, dass Rechtsberater zwei Stunden pro Woche aufs Gelände diverser Erstaufnahmen dürfen. Die Argumente: Sicherheit, Brandschutz, Ruhebedürfnis der Bewohner. Dies alles sei durch den bunt beklebten Campingbus gefährdet.

Rein oder raus? Infobus-Anwalt Hubert Heinhold sieht im Europarecht einen Anspruch auf Zugang zu den Unterkünften. Nein, sagt Richter Michael Kumetz als Vorsitzender der 30. Kammer, das gebe die EU-Richtlinie nicht her. Es bleibe aber die Frage, ob der Rauswurf in Ordnung war. Dafür müsste er "sachgerecht" begründet sein, für die fünf Richter der Kammer aber grenze das Agieren der Behörde an "Willkür". Und das, obwohl Rechtsberatung von Asylbewerbern einen hohen Stellenwert habe.

Die Argumente gegen den bunten Campingbus: Sicherheit, Brandschutz, Ruhebedürfnis

Es bleibt offen, warum der Bus ausgerechnet in den zwei Stunden auf einem "Anker"-Gelände in Flammen aufgehen solle. Warum sich Flüchtlinge von dem abgestellten Fahrzeug mehr gestört fühlen sollten als vom Lärm einer stark befahrenen Straße vor der Unterkunft. Oder warum von den Rechtsberatern eine größere Sicherheitsgefahr ausgeht als von anderen Ehrenamtlichen. Die Behördenvertreter begründen den Rauswurf vor Gericht auch damit, dass man den Zugang generell möglichst reduziert und für alle Unterkünfte einheitlich geregelt habe. Erst nach vielen Fragen der Richter wird offenbar, dass der Zugang gar nicht so restriktiv geregelt ist, zahlreiche andere Ehrenamtliche rein und beraten dürfen. Nur die Infobus-Berater eben nicht. Es sei denn, sie sind von einem Flüchtling direkt mandatiert, ähnlich einem Anwalt.

Eine Nebendiskussion während der fast achtstündigen Verhandlung lässt ahnen, was noch hinter dem Rauswurf stehen könnte. Die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats erwähnt, dass man früher gut mit der Regierung kooperiert habe und dabei auch Missstände angesprochen habe. Missstände? Was hat das mit Rechtsberatung zu tun, fragt der Vorsitzende. Nicht direkt etwas, lautet die Antwort, aber wenn ein Flüchtling berichte, dass sich sein Wohncontainer im Sommer auf 40 Grad erhitze, informiere man selbstverständlich die Behörde. Ebenso, wenn man sehe, dass eine Schwangere mit ihrem Kleinkind tagelang auf einer Bank wartet, um bei der Behörde vorzusprechen.

Man könnte nun fragen, ob alles andere nicht an unterlassene Hilfeleistung grenzt. Man könnte auch meinen, dass sich die Beamten für die Hinweise bedanken, um den Betroffenen helfen zu können. Doch die Behördenleute betonen, dass die Bewohner sich doch an den bezahlten Sozialdienst wenden könnten; die Rechtsberater, so der Tenor, sollten sich heraushalten. Will die Regierung verhindern, dass kritische Geister mehr vom Innenleben der "Anker-Zentren" mitkriegen, als ihr lieb ist? Wenige Tage zuvor haben die Richter einen Tag lang diverse Unterkünfte besichtigt - Journalisten hat die Regierung verwehrt, das Gericht zu begleiten.

Stunde um Stunde versuchen Behördenangehörige, den Rauswurf der Berater "sachgerecht" zu begründen, doch ihr Schlingern lässt die Fragezeichen in den Gesichtern der Richter nur größer werden. Irgendwann appelliert Richter Kumetz an die Streitenden: Setzt euch noch mal zusammen und findet einen Kompromiss. Das alles geschieht fast zeitgleich zur Entscheidung in der großen Berliner Politik: Das Migrationspaket der Koalition aus CDU, CSU und SPD sieht vor, die Rechtsberatung von Asylbewerbern zu verbessern, unter anderem durch Wohlfahrtsverbände. Ihnen sei Zugang zu gewähren. Doch in Bayern sagt die Behörde: nein. Der Vorsitzende bläht die Backen, will es nicht glauben, fragt noch mal nach und noch mal, bittet geradezu um eine außergerichtliche Lösung. Die Beamten bleiben beim Nein. Also spricht das Gericht widerwillig ein Urteil: Die Behörde muss nachsitzen und das Aussperren ordentlich begründen. Anschließend, das ist zu erwarten, dürfte der Streit wieder bei den Richtern landen.

Im Lauf der Verhandlung, nach sechs oder sieben Stunden, hat Michael Kumetz, der Richter, eine rhetorische Frage gestellt in Richtung der Behördenvertreter: "Ist es wirklich so schlimm", wenn die Rechtsberater Zugang zur Unterkunft erhalten? "Ist das so fatal?"

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SZ vom 11.06.2019
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