Asylpolitik:Eine Stimme gegen die Abschottung

Kirchenasyl für Flüchtlinge

Bundesweit sind etwa 360 Kirchenasyle mit rund 560 Personen bekannt. Dass es diesen Abschiebeschutz für Flüchtlinge in einem Rechtsstaat brauche, sei ein "Skandal" findet Matteo-Geschäftsführer Stephan Reichel.

(Foto: Axel Heimken/dpa)

In Nürnberg gründet sich der Verein Matteo, der christliche Werte vertritt und ein Gegenspieler der staatlichen Asylpoltik sein will. Das könnte vor allem für die CSU unangenehm werden.

Von Bernd Kastner, Nürnberg

Sie würden selbst ihr Ziel nicht so beschreiben, und doch könnten sie es werden: eine neue außerparlamentarische Opposition. Sie wurzelt in Bayern, hat die ganze Republik im Blick und basiert auf christlichen Kernwerten. Auch wenn diese APO ganz harmlos als Verein daherkommt, der sich am Donnerstag in Nürnberg gegründet hat, liegt politische Brisanz in "Matteo", so der Name, in Anspielung auf einen zentralen Satz aus dem Matthäus-Evangelium: "Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen." Matteo will der staatlichen Asylpolitik ein lautstarker Gegenspieler sein. Einer, der gerade der Union, und speziell in Bayern der CSU, recht unangenehm werden könnte.

Bisweilen gebrauchen sie Worte, die manchen verstören werden. "Lager" zum Beispiel

Stephan Reichel, 64, ist der Motor hinter dem ökumenischen Verein, er wird als Geschäftsführer agieren. Der ehemalige Manager eines Versicherungskonzerns war bis vor Kurzem Kirchenasyl-Koordinator der Evangelischen Landeskirche in Bayern, in München arbeitete er im selben Haus wie Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der Chef der Evangelischen Kirche in Deutschland. Nun will Reichel frei von kirchenpolitischen Zwängen agieren und hat sich mit zahlreichen Pfarrern, Diakonen, Nonnen, Mönchen und Ehrenamtlichen zusammengetan, um eine "Marktlücke" zu schließen: die vielen Asylgruppen, die in Kirchengemeinden entstanden sind, zu vernetzen, zu koordinieren und ihrem Anliegen eine politische Stimme zu geben. Es sind viele Tausend Aktive, die Matteo direkt oder indirekt anspricht.

Zwischen kirchendiplomatischen Formulierungen gebrauchen Reichel und sein Team bisweilen Worte, die aufhorchen lassen, ja, manchen verstören werden. Sie nennen die vier großen, zentralen Flüchtlings-Unterkünfte in Bayern "Lager". Reichel spricht von "Stacheldraht", und dass Menschen dort "konzentriert" würden. Man wolle diese "Lager" nicht mit KZs vergleichen, sagt Reichel, aber es gebe doch manches, was "an diese schlimme Zeit" erinnere. Zum Beispiel die "Isolierung" der Asylsuchenden von der einheimischen Bevölkerung oder ihr eingeschränkter Zugang zur Rechtsberatung, was ihre Chancen auf Schutz in Deutschland fast auf null reduziere. "Rechtsbruch" nennt das David Geitner, Diakon aus Franken, und das wolle er nicht hinnehmen.

Die Gründung von Matteo ist Folge einer verbreiteten Gefühlslage in der christlich-konservativen Bürgerschaft: Zum großen Engagement für Flüchtlinge kommt die Wut über eine Asylpolitik, die auf Abschottung setzt und auf Vergrämung derer, die es trotzdem bis nach Deutschland geschafft haben. Der Verein spricht das Kernklientel der Union an, wobei Reichel betont, dass man "kein Anti-CSU-Kampfverband" sei. Man sei offen für alle Personen und Gruppen, die nach christlichen Werten handeln, egal, ob sie (formal) evangelisch, katholisch oder muslimisch sind oder einer anderen Religion angehören. Der Orden der Dillinger Franziskanerinnen in Bamberg hat sich ebenso angeschlossen wie ein Kloster in Franken sowie zwei große Rechtsanwaltskanzleien.

Man werde die anstehenden Koalitionsverhandlungen in Berlin beobachten, kündigt Reichel an, und notfalls auch laut protestieren, wenn man rassistische Parolen höre. Auch die Familienzusammenführung von Flüchtlingen, die bei den vielen subsidiär Geschützten per Gesetz verhindert wird, ist einer der Streitpunkte in Berlin und zugleich ein urchristliches Thema. "Wir wollen die Zerschlagung von Flüchtlingsfamilien und Paaren verhindern", hat sich Matteo zum Ziel gesetzt.

Am Tag der Gründung kommt das Gespräch immer wieder auf das Kirchenasyl. "Wir würden es lieber nicht machen", sagt Reichel. Es sei ja auch ein "Skandal", dass es so etwas überhaupt brauche im Rechtsstaat. Aber weil aus den Asylentscheidungen oft "Willkür" zu lesen sei und Flüchtlinge nach Bulgarien und Italien abgeschoben werden, wo ihnen unmenschliche Behandlung oder ein Leben auf der Straße drohe, und auch nach Afghanistan, dürfe man als Christ nicht einfach schweigen. Nirgendwo in Deutschland ist das Kirchenasyl so umkämpft wie in Bayern. 150 Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften habe es im zurückliegenden Jahr gegeben, schätzt Reichel. Er wertet das als Versuch der Einschüchterung. Und das, obwohl Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) im Sommer erklärt hatte, dass er diese Art der Kriminalisierung für unnötig halte. "Kann er sich nicht mehr durchsetzen?", fragt Reichel, immerhin sind Staatsanwälte weisungsgebunden. Derzeit sind bundesweit etwa 360 Kirchenasyle mit 560 Personen bekannt. Man wolle, sagt die Franziskaner-Schwester Martina Schmidt, in absoluten Notsituationen Zeit gewinnen. Zeit, in der Gerichte und Behörden sich eines Besseren besinnen und ihre Ablehnung revidieren. In den meisten Fällen von Kirchenasyl geschieht dies auch.

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