Asylpolitik:Bundesregierung will mehr Afghanen abschieben

Asylpolitik: Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo in Afghanistan eine Bombe explodiert und auch Zivilisten Opfer werden.

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo in Afghanistan eine Bombe explodiert und auch Zivilisten Opfer werden.

(Foto: AP)
  • In Deutschland leben derzeit etwa 12 539 Afghanen, die zur Ausreise verpflichtet wären. Die meisten von ihnen haben eine sogenannte Duldung.
  • Doch es gibt Bemühungen in Berlin und in Brüssel, künftig viele von diesen Menschen zur Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen.
  • Allerdings ist der Alltag in Afghanistan geprägt von Gefahr, es gibt keinen Teil des Landes, der sich als vollständig sicher bezeichnen lässt.

Von Jan Bielicki und Tobias Matern

Angesichts der schlechter werdenden Sicherheitslage in Afghanistan hat die Debatte in Deutschland um mögliche Abschiebungen afghanischer Flüchtlinge in ihr Heimatland neue Nahrung bekommen. Dabei könnte es um mehrere tausend Menschen gehen, die in Deutschland leben, obwohl ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Ende September waren 12 539 Afghanen zur Ausreise verpflichtet. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor, über die zunächst die Neue Osnabrücker Zeitung berichtet hat.

Das heißt allerdings nicht, dass diesen Ausreisepflichtigen allen die sofortige Abschiebung droht: Etwa 11 500 haben eine sogenannte Duldung, dürfen also in Deutschland bleiben, etwa wegen fehlender Papiere, Krankheit oder anderer Ausreisehindernisse. Tatsächlich haben deutsche Ausländerämter in den ersten neun Monaten dieses Jahres lediglich 27 Afghanen in ihre Heimat abschieben lassen.

Die afghanischen Botschaften sollen schneller fehlende Dokumente ausstellen

Doch es gibt Bemühungen in Berlin und in Brüssel, das zu ändern. Erst Anfang Oktober einigten sich die Bundesregierung und die EU-Kommission mit der afghanischen Regierung auf eine stärkere Zusammenarbeit "im Bereich der Migration und Rückkehr", wie es schon im Titel einer deutsch-afghanischen Gemeinsamen Erklärung heißt. Unter anderem soll es darum gehen, dass afghanische Botschaften schneller fehlende Reisedokumente ausstellen und so freiwillige und unfreiwillige Rückreisen zu erleichtern. Das stößt auf Kritik von Menschenrechtsorganisationen: Angesichts der katastrophalen Situation in Afghanistan sei es "absurd, Menschen dorthin zurückschicken zu wollen", erklärte die Gruppe Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs.

Tatsächlich ist der Alltag der Afghanen geprägt von Gefahr, es gibt keinen Teil des Landes, der sich als vollständig sicher bezeichnen lässt. Erst vergangene Woche explodierte eine Lastwagenbombe vor dem deutschen Generalkonsulat in der nordafghanischen Stadt Masar-i-Sharif, es gab sechs Tote und mehr als hundert Verletzte. Am Wochenende attackierte ein Angreifer eine US-Basis und tötete vier Menschen. Am Mittwoch sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der Hauptstadt Kabul in die Luft und riss sechs Menschen mit in den Tod.

"Der Versuch, die Sicherheitslage in Afghanistan schönzureden, ist erbärmlich"

Ein hochrangiger afghanischer Regierungsvertreter sagte der Süddeutschen Zeitung am Donnerstag, der afghanische Staat werde derzeit an so vielen Fronten herausgefordert, dass er es begrüße, wenn Deutschland derzeit keinen seiner Landsleute nach Afghanistan zurückschicke. Der in Kabul ansässige politische Analyst Haroun Mir sagte, es gebe in Afghanistan keine Region, die nicht von der miesen Sicherheitslage betroffen sei.

Das sieht die Bundesregierung anders, einen generellen Abschiebestopp lehnt Berlin ab. Zwar bleibe die Sicherheitslage "insgesamt volatil", weise aber "regionale Unterschiede" auf, heißt es in ihrer Antwort an die Linken-Fraktion. Eine pauschale Bewertung sei nicht möglich. Risiken für Abzuschiebende würden daher "in jedem Einzelfall" geprüft. Welche Gebiete es als sicher genug ansieht, will das Innenministerium nicht darlegen. "Wenn eine Person x in einer bestimmten Region sicher ist, könnte die Person y, die einer anderen sozialen Gruppe angehört, dort noch lange nicht sicher sein", erklärte ein Sprecher.

44 444 Flüchtlinge kamen dieses Jahr aus Afghanistan an

Die Vereinten Nationen tun sich nicht so schwer damit, generelle Aussagen über die Sicherheitslage in Afghanistan zu treffen. In einer neuen UN-Statistik von Anfang dieser Woche, die sich mit afghanischen Binnenflüchtlingen befasst, heißt es explizit: "Vom 1. Januar 2016 bis 8. November 2016 haben 485 509 Menschen ihre Wohnorte wegen eines Konflikts verlassen." In 31 der 34 afghanischen Provinzen sei es demnach zu "Zwangsumsiedlungen" gekommen. Die UN hatten schon im Sommer darauf verwiesen, dass im ersten Halbjahr 2016 die Zahl der getöteten oder verletzten Zivilisten in Afghanistan seit Einführung der Statistik einen Höchststand erreicht hatte. Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke kritisierte, "der Versuch der Bundesregierung, sich die Sicherheitslage in Afghanistan schönzureden, ist erbärmlich".

Der andauernde Krieg und zunehmende wirtschaftliche Not haben Zehntausende Afghanen aus dem Land getrieben. In Deutschland wurden in den ersten neun Monaten dieses Jahres genau 44 444 Schutzsuchende aus Afghanistan registriert. Mehr Flüchtlinge kamen nur aus Syrien. Etwas mehr als die Hälfte der Afghanen, über deren Asylanträge das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entschied, bekamen Flüchtlingsschutz zugesprochen. Insgesamt leben inzwischen fast eine Viertelmillion Afghanen in Deutschland. Die Zahl der Neuankömmlinge ist aber seit dem Winter stark gesunken: Im September kamen nur noch knapp 1400 über deutsche Grenzen.

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