Asylkompromiss:Wer die Humanität nicht preisgeben will, muss jetzt Bündnispartner suchen

Flüchtlinge Lager Afrika

Keine Hürde zu hoch? Afrikanische Migranten überwinden den Zaun der spanischen Exklave Melilla.

(Foto: Juan Rios/dpa)

Der Preis für die Unions-Einigung ist zu hoch. Seehofer hat Merkel eine Kehrtwende in der europäischen Asylpolitik abgepresst. Die folgt der Logik der neuen Rechten.

Kommentar von Constanze von Bullion

Es ist eine Zäsur in der Geschichte Europas, eine von der gefährlichen Sorte. Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird in diesem Frühsommer 2018 sichtbar, wie stark die europäische Rechte geworden ist.

Sie wird angeführt von Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Sie wird ideologisch aufgepumpt von Österreichs Populistenkanzler Sebastian Kurz und Rechtsaußenregenten in Italien. Und ihr wird die Tür zur guten Stube der Europäischen Union geöffnet vom deutschen Innenminister Horst Seehofer. Der CSU-Vorsitzende hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) per Ultimatum und per Rücktritt vom Rücktritt eine Kehrtwende in der europäischen Asylpolitik abgepresst.

Wer verstehen will, was passiert ist, sollte sich noch einmal die vergangenen Wochen vor Augen führen und die Geschichte einer geplanten Eskalation. Sie beginnt Ende Mai im Bundesinnenministerium, wo Seehofer Journalisten mitteilt, sein "Masterplan Migration" sei jetzt fertig.

Ein Wunschzettel innenpolitischer Hardliner ist entstanden. Er reicht von Abschiebezentren über Sanktionen für Migranten bis zu Sammellagern in der EU und drumherum. Von Integration ist so gut wie nicht die Rede. Und, ach ja, es gehe dabei auch um Grenzabweisungen, teilt Seehofer mit.

Der Minister will Flüchtlinge an deutschen Grenzen abweisen, die schon anderswo in der Europäischen Union registriert sind. Schon damals ist klar: Das gibt massiven Ärger mit der Kanzlerin und mit der Schwesterpartei CDU. Und wenn schon, ist die Haltung bei Seehofers Leuten: Merkel werde am Ende schon nachgeben. Seehofer kennt Angela Merkel. Er weiß, dass sie eine Regierung nur im äußersten Notfall platzen lassen wird und sich lieber mit einem politischen Vorhaben arrangiert, das sie selbst nie wollte.

Worte wie "Willkommenskultur" mag kaum noch jemand hören

Was folgt, spult sich ab wie ein Drehbuch. Merkel lehnt es erwartungsgemäß ab, ohne Abstimmung mit europäischen Partnern Flüchtlinge an deutschen Grenzen abzuweisen. Seehofer gibt sich überrascht, setzt ein Ultimatum. Zwei Gipfel in Brüssel werden einberufen, bei denen Merkel vieles erreicht. Rückhalt für ihre humanitäre Grundhaltung in der Flüchtlingsfrage gehört nicht dazu.

Denn Worte wie "Willkommenskultur" oder "Wir schaffen das" mag unter Europas Staatschefs kaum noch jemand hören. Zur Wahrheit der neuen europäischen Flüchtlingspolitik gehört, dass es nicht mehr nur die post-sozialistischen Staaten sind, die autoritären Strukturen nachtrauern und sich gegen Fremde abschotten. Auch Frankreich, gezeichnet von Terroranschlägen, zieht in der Migrationspolitik nicht an Merkels Strang, das rechts regierte Italien sowieso nicht.

Der lästige Flüchtling soll weg

Europa im Frühsommer 2018, das ist ein Ort, an dem Sicherheit und enormer Wohlstand nicht mehr freiwillig mit den Ärmsten der Erde geteilt werden. Verachtung für angeblich schwächliche Demokratien breitet sich aus wie ein Schwelbrand. Und Seehofer? Facht den Brand an. Während des Brüsseler Krisengipfels freut er sich, er habe Europa "wachgeküsst". Wenn er nicht alle 63 Punkte seines "Masterplans" kriege, trete er zurück.

Die Bestürzung der Herren Dobrindt und Söder über diese Ankündigung kann im Rückblick als Teil der Inszenierung gewertet werden. Denn nur so, vor glaubwürdiger Drohkulisse des Regierungssturzes, konnte der Kanzlerin ungestraft die Tür eingetreten werden, bevor der nächste Pakt besiegelt wurde, ein "Kompromiss".

Transitzentren für Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze, sogenannte Ankerzentren in der gesamten EU, möglichst ausbruchsichere Internierungslager von Ägypten bis Niger - das ist nur ein Teil der Rechnung, die Seehofer Merkel für seinen Verbleib in der Regierung zugestellt hat.

Der lästige Flüchtling soll weg, am besten gleich in die Wüste, wenn es nach dem "Masterplan" geht. Restunbehagen in Europa? Einwände aus den Maghreb-Staaten? Ach was. Die neuen Bevölkerungspolitiker wollen Migranten aus der Mitte der EU an ihre Ränder und weiter schieben. Libysche Lagerkommandanten können dann ja den Rest der Drecksarbeit besorgen.

Weltproblem Flucht wird zunehmend ausgelagert

Übertrieben? Wird ohnehin nicht funktionieren, schon weil die Österreicher und Italiener keine Flüchtlinge wollen, die die Deutschen gern los wären? Mag sein. Das ändert aber nichts daran, dass die europäische Werteunion drauf und dran ist, das Weltproblem Flucht und seine Folgen in Staaten auszulagern, in denen es weder belastbare Rechtssysteme noch wehrhafte Zivilgesellschaften gibt.

Humanität und Verantwortung für die Gebeutelten des Planeten aber gehören nicht nur zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. Sie sind das Innerste, das die Europäische Union zusammenhält. Wer es nicht preisgeben will, muss jetzt aufwachen und sich nach Bündnispartnern umsehen - über Partei- und Landesgrenzen hinweg. Es wird Zeit. Sonst macht die neue Rechte mit ihren Handlangern Europa kaputt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: