Asylkompromiss:Das planen CDU und CSU an Deutschlands Grenzen

Deutschland Grenzkontrolle Kiefersfelden

Eine Kontrolle am Grenzübergang Kiefersfelden.

(Foto: Michaela Rehle/Reuters)

Wo sollen die geplanten Transitzentren entstehen? Und um wie viele Menschen geht es überhaupt? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Asylkompromiss der Union.

Von Jan Bielicki, Andreas Glas und Matthias Köpf

Ein "neues Grenzregime" mit "Transitzentren" an der deutsch-österreichischen Grenze: Der Kompromiss zwischen dem Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer und der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angela Merkel ist kurz (siehe Kasten), aber nicht wirklich prägnant. Dazu wirft er noch zu viele Fragen auf. Die wichtigsten davon:

Wie sollen dieses neue Grenzregime und seine Transitzentren genau aussehen?

Das wüssten viele gerne genauer. "Wir haben eine ganze Reihe von ungeklärten Fragen", sagte SPD-Chefin Andrea Nahles am Dienstag. Doch nicht nur dem Koalitionspartner enthielt das Bundesinnenministerium detailliertere Informationen zu den Absichten des Ressortchefs vor. Allerdings lässt sich erschließen, was an der Grenze geschehen soll. Denn die Pläne sind nicht ganz neu, Ministeriumsjuristen haben bereits vor knapp drei Jahren unter Seehofers Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) ganz Ähnliches in einen Gesetzentwurf gegossen. Darin hießen die "Transitzentren" noch "Transitzonen", aber sie zielten in die gleiche Richtung wie heute Seehofer.

Wohin?

Ziel ist es, mehr Flüchtlinge als bisher bereits an der Grenze abzuweisen - und zwar nach kürzerem Verfahrensprozess. Bislang wurde nur abgewiesen, wer ohne Visum und Papiere kam und nicht um Asyl bat. Wer das tat, durfte einreisen, damit das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) überprüfen konnte, ob er Schutz in Deutschland brauchte. Diesen Prozess soll das neue Grenzregime bei vielen Flüchtlingen deutlich abkürzen.

Wie soll das geschehen?

Indem bei bestimmten Gruppen von Asylsuchenden schon bei der Einreise im Schnellverfahren entschieden wird, ob ein Schutzgesuch zulässig ist. So lange wird solchen Flüchtlingen die Einreise verweigert - und so lange sollen sie in Transitzentren im grenznahen Raum bleiben.

Aber sind sie dann nicht schon eingereist? Diese Zentren werden doch auf deutschem Boden liegen.

Physisch mögen diese Menschen dann bereits in Deutschland sein. Aber hier soll das juristische Konstrukt der "Fiktion der Nichteinreise" greifen. Es besagt: Wer nicht durch die Grenzkontrolle gelassen wird, ist nicht in Deutschland eingereist, auch wenn er auf deutschem Boden steht.

Der Text des Papiers von CDU und CSU

"Wir vereinbaren zur besseren Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Sekundärmigration:

1. Wir vereinbaren an der deutsch-österreichischen Grenze ein neues Grenzregime, das sicherstellt, dass wir Asylbewerber, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind, an der Einreise hindern.

2. Wir richten dafür Transitzentren ein, aus denen die Asylbewerber direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden (Zurückweisung auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise). Dafür wollen wir nicht unabgestimmt handeln, sondern mit den betroffenen Ländern Verwaltungsabkommen abschließen oder das Benehmen herstellen.

3. In den Fällen, in denen sich Länder Verwaltungsabkommen über die direkte Zurückweisung verweigern, findet die Zurückweisung an der deutsch-österreichischen Grenze auf Grundlage einer Vereinbarung mit der Republik Österreich statt."

Gibt es Vorbilder für dieses Konstrukt?

Ja, die deutschen Flughäfen. Wer sich im internationalen Transitbereich aufhält, ist rechtlich nicht in Deutschland eingereist. Für Flüchtlinge, die per Flugzeug kommen und am Flughafen Asyl begehren, gilt das sogenannte Flughafenverfahren, eine stark verkürzte Asylprüfung. Schon nach 19 Tagen kann dort ein abgelehnter Asylbewerber wieder in ein Flugzeug Richtung Herkunftsort gesetzt werden. So lange darf er seine Unterkunft im Transitbereich nicht verlassen. Nur wenn die Prüfung länger dauern könnte, darf er einreisen. Der Unions-Kompromiss sieht nun im Prinzip vor, das Flughafenverfahren auf die Landgrenze zu Österreich auszuweiten.

Für wen soll es gelten?

Es geht um Flüchtlinge, für deren Asylverfahren nach der Dublin-III-Verordnung ein anderes europäisches Land zuständig ist. Hat Deutschland ein Rückführungsabkommen mit diesem Land, dann soll ein solcher Flüchtling im Transitzentrum bleiben, bis er zurückgeschickt wird. Mag ein Land, wie etwa Italien, kein solches Abkommen schließen, soll der Flüchtling gleich nach Österreich zurückgewiesen werden - wenn denn der Plan aufgeht, Wien zu einer solchen Vereinbarung zu bewegen.

Um wie viele Menschen geht es denn?

In den ersten fünf Monaten dieses Jahres wurde bei 17 307 Flüchtlinge in Deutschland festgestellt, dass deren Fingerabdrücke bereits in anderen europäischen Staaten registriert waren. Dort müssten sie ihr Asylverfahren durchlaufen - allerdings nicht immer: Hat der Antragsteller enge Verwandte in Deutschland, hat er auch Anrecht auf ein Verfahren hier.

Aktuelles Lexikon: Juristische Fiktion

Franz Kafka hätte seinen Spaß: Die "Fiktion einer Nichteinreise", so heißt es in schrulligem Juristendeutsch in der Asyleinigung von CDU und CSU, soll künftig die Grundlage dafür sein, dass bestimmte Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, vorerst so behandelt werden, als seien sie noch gar nicht da. Die Wirklichkeit wird geleugnet, per Rechtsakt: Das ist das Wesen einer juristischen Fiktion. Es gibt sie im Asylrecht öfter. Im sogenannten Flughafenverfahren zum Beispiel: Dort werden Transitbereiche eines Flughafens für die Zwecke des Asylrechts als quasi extraterritorial definiert. Obwohl der Flughafen unzweifelhaft auf deutschem Boden liegt, was man schon an der Präsenz der deutschen Polizei dort erkennt; obwohl es also nicht stimmt. So entzieht sich der Staat den Pflichten, die ihn eigentlich träfen, sobald ein Flüchtling Deutschland betritt. Das Prinzip: Scheitert die Flüchtlingsabwehr de facto, wird sie eben de jure fingiert. Die Methode einer solchen fiktiven Behauptung - erprobt an Flughäfen, womöglich bald ausgeweitet auf grenznahe Lager - wird von der Politik deshalb gewählt, weil es Deutschland nicht zusteht, offiziell Ausnahmen von seinen völker- oder europarechtlichen Pflichten zur Prüfung von Asylanträgen zu beschließen. Das ist unilateral nicht möglich. Ronen Steinke

Wäre der Plan der Union überhaupt rechtlich erlaubt?

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker meint: Ja. Tatsächlich erlaubt die EU-Asylverfahrensrichtlinie Verfahren an der Grenze und in Transitzonen, um über die Zulässigkeit eines Schutzgesuchs zu entscheiden. Die Asylaufnahmerichtlinie lässt es zudem ausdrücklich zu, einen Asylbewerber in Haft zu nehmen, "um im Rahmen eines Verfahrens über das Recht des Antragstellers auf Einreise in das Hoheitsgebiet zu entscheiden". Die EU hat aber auch Regeln für solche Transitzonen gesetzt: Organisationen, die Rechtsberatung anbieten, müssen "effektiven Zugang" haben. Und länger als vier Wochen darf niemand darin festgehalten werden.

Sollen die geplanten Transitzentren denn abgeschlossen sein?

Das ist in der Logik des Verfahrens kaum anders vorstellbar. Die Flüchtlinge sollen ja an der Einreise gehindert werden.

Was unterscheidet die Transitzentren von den sogenannten Ankerzentren, die Seehofer ja auch einrichten will?

In den Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückführungszentren sollen Asylbewerber ohne große Aussichten auf Schutz untergebracht werden. Verfahren und Abschiebungen sollen so schneller und einfacher ablaufen. Entscheidender Unterschied zu den Transitzentren: Die Flüchtlinge müssen zwar dort wohnen, dürfen das Gelände aber verlassen.

Wo könnten die Transitzentren stehen?

Fest steht, dass die Zentren nur in Bayern und ausschließlich an der Grenze zu Österreich entstehen sollen. Theoretisch in Frage kämen also alle Übergänge entlang der rund 800 Kilometer langen Landesgrenze. Etwa 90 Grenzübergänge gibt es nach Angaben von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf dieser Strecke, durchgehende Kontrollen finden derzeit aber nur an drei Orten statt: in Niederbayern auf der A3 bei Passau sowie in Oberbayern auf der A8 am Walserberg nahe Salzburg und auf der Inntalautobahn A 93 bei Kiefersfelden. Aus praktischen Gründen sind Transitzentren in der Nähe dieser Kontrollstellen vorstellbar. In Freilassing bei Salzburg etwa steht seit vielen Monaten eine ehemalige Möbelhalle praktisch leer, die 2015 einer der wichtigsten Schauplätze der Flüchtlingskrise war. Sie wird noch vom Bamf verwaltet und mit großem Aufwand von einem Sicherheitsdienst bewacht. Neben dem Umbau solcher Gebäude kämen für die Transitzentren auch Containerbauten auf der grünen Wiese in Frage. Diese zu errichten, dürfte wenige Wochen oder Monate dauern. Wie sie ausgestaltet und von wem sie betrieben und bewacht werden sollen, weiß aber noch niemand. Auch dazu gibt es keine offiziellen Angaben.

Ist eine lückenlose Kontrolle der deutsch-österreichischen Grenze überhaupt möglich?

Nein. Allein wegen ihrer Länge ist es praktisch unmöglich, die Grenze zwischen Bayern und Österreich überall und permanent zu überwachen. Nicht ohne Grund gibt es derzeit nur drei feste Autobahn-Kontrollstellen. Für diese drei Posten kam Ende 2016 zu den 700 Beamten, welche die Bundespolizei zu der Zeit in Bayern täglich im Grenzeinsatz hatte, eine Hundertschaft der Landespolizei hinzu. Seit Sonntag firmieren 500 schon bisher in der Grenzregion eingesetzte Fahnder als neue Bayerische Grenzpolizei; binnen fünf Jahren sollen weitere 500 Beamte hinzukommen. Ihre Kompetenzen auch im Verhältnis zur Bundespolizei müssen noch per Verwaltungsabkommen geregelt werden. Um alle Wege zu schließen, bräuchte es aber deutlich mehr Polizisten.

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