Süddeutsche Zeitung

Asylbundesamt:Hinter der Fassade

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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge will einen kritischen Personalrat abstrafen - und entblößt sich dabei selbst. Ein absurdes Schauspiel mit offenem Ende.

Von Bernd Kastner, Freiburg

Das Amt weiß nicht, was es will. Qualität oder Schnelligkeit? Soll man Integration ernst nehmen oder reicht es, darüber zu reden? Will man einem unbequemen Personalrat die Hand reichen oder ihn abstrafen? Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gibt Rätsel auf.

Das liegt zum einen an der Debatte über die Außenstelle Bremen, deren ehemalige Leiterin im Verdacht steht, Asylverfahren manipuliert zu haben. Politik und Bürger sind beunruhigt. Jenseits der öffentlichen Aufregung aber ist das Bamf in einer internen Dauerkrise gefangen. Beschreiben lässt sie sich exemplarisch anhand eines absurden Schauspiels, das auf der Bühne eines Arbeitsgerichts gegeben wird. Hauptakteure sind die Amtschefin und ein Mitarbeiter, genauer: der Vizechef des Gesamtpersonalrats. Dabei gewährt das Amt ungeahnte Einblicke in sein Inneres, die schwer in Einklang zu bringen sind mit dem, was Bundesregierung, das Amt und seine Chefin versprechen und fordern. Das Amt entblößt sich selbst während dieser Aufführung, und sie ist noch lange nicht zu Ende.

Es war im Januar, als das Bamf ein neues "Leitbild" präsentierte: "Den Menschen im Blick". Die Losung bezieht sich auf die Hunderttausenden Flüchtlinge, über deren Zukunft das Amt entscheidet, aber auch auf die eigenen Mitarbeiter, etwa 7000 an der Zahl. "Wir führen kompetent und verantwortungsvoll", steht da. "Fehler und Kritik werden als Chance zur Weiterentwicklung angenommen. Vorgesetzte und Mitarbeitende stehen in einem lebendigen, vertrauensvollen Dialog. Feedback wird aktiv eingefordert." So weit das Amt über das Amt.

"Leitbilder sollen keine Fassade sein", sagt Rudolf Scheinost, Chef des Gesamtpersonalrats, und man ahnt, wie er fortfährt: "Die gelebte Wirklichkeit im Amt ist eine andere." Als neuen Tiefpunkt wertet er, wie die Amtsleitung versuche, den Personalrat "einzuschüchtern". Aktuelles Beispiel seien die Sanktionen gegen Paul Müller. Der arbeitet seit einem Vierteljahrhundert im Asylbundesamt, fast ebenso lange ist er in der Mitarbeitervertretung aktiv. Er ist ein kritischer Geist, der hinterfragt, was von oben kommt, und auch widerspricht. Zum Beispiel Ende vergangenen Jahres.

Da forderte die Bamf-Zentrale in Nürnberg Entscheider auf, ihre Asylakten an Kollegen abzugeben. Dafür gibt es den virtuellen "Marktplatz", auf dem der eine Entscheider eine Akte ablegt, die dann ein anderer Kollege irgendwo im Land bekommt. So will das Amt die Arbeit gleichmäßiger verteilen, so will es die Verfahren beschleunigen. In der Theorie klingt das sinnvoll. Allein, und das kritisiert Müller, Anhörer und Entscheider sind dann zwangsläufig nicht mehr identisch. Bamf-Insider machen genau dies für die auch von Richtern kritisierte mangelnde Qualität vieler Asylbescheide verantwortlich, wenn einer entscheidet, der den Flüchtling nie zu Gesicht bekommt. Noch mehr aber stört sich Müller daran, dass selbst nicht entscheidungsreife Akten auf diese Weise weitergegeben werden sollten. Das bedeute, dass ein zweiter Mitarbeiter einen halb fertigen Fall beenden müsse; zugleich muss sich der abgebende Mitarbeiter neue, ebenfalls halb fertige Akten besorgen, um nicht arbeitslos zu sein. Zudem befürchtet Müller, dass Fälle abgeschlossen würden, in denen man eigentlich noch recherchieren müsste.

Als sich Entscheiderkollegen, wütend ob der Anweisung, bei Müller melden, schreibt dieser in seiner Funktion als Personalrat eine E-Mail: "Sinnwidrig" sei die Vorgabe von oben, nicht verantwortungsvoll. Den Grund für die Anweisung sieht er im öffentlichen Versprechen von Bamf-Chefin Jutta Cordt, die Zahl der offenen Verfahren rasch und stark zu reduzieren. Die Mail geht an einen überschaubaren internen Verteiler, auch an die Chefin.

Cordt sind die Widerworte zu viel. Sie beauftragt eine internationale Anwaltskanzlei, diese mahnt Personalrat Müller ab: Dessen Mail stelle eine "Diffamierung und Herabwürdigung der Hausleitung" dar und sei "geeignet, Spannungen und Emotionen zwischen den Beschäftigten und der Amtsleitung hervorzurufen und dadurch den Betriebsfrieden nachhaltig zu stören". Der Bamf-Anwalt droht mit weiteren Konsequenzen, bis hin zur Kündigung.

Nur einen Tag später der nächste Brief: Müller wird umgesetzt, von der Außenstelle Freiburg in die Außenstelle Karlsruhe, wobei sein Schreibtisch weiterhin in Freiburg stehen soll. Dienstbeginn: der nächste Tag. Und warum? "Aus dienstlichen Gründen", mehr an Begründung gibt es nicht. Verbunden ist mit der Versetzung eine neue Aufgabe: Müller soll fortan als Regionalkoordinator für Integration wirken, sich um Sprach- und Integrationskurse kümmern. Allein, die Zentrale versetzt Müller in die falsche Karlsruher Außenstelle, dort gibt es seine neue Stelle gar nicht. Erst Wochen später schickt ihm das Bamf die korrekte Versetzung.

Paul Müller zieht vors Arbeitsgericht Freiburg, man trifft sich zur Güteverhandlung. Vor dem Richter wiederholt Müller seine Kritik an der Bamf-Spitze: Die Akten-Anweisung sei "sinnwidrig, dabei bleibe ich". Vertreten wird das Bamf jetzt von einer anderen Großkanzlei, und die von dort entsandte Anwältin rudert plötzlich zurück. Sie rügt zwar die aus ihrer Sicht unsachliche Kritik in Müllers Mail, aber eine "Diffamierung" der Bamf-Chefin will selbst die Bamf-Anwältin nicht erkennen. Das Prozessziel klingt nun bescheiden: Es gehe darum, sagt die Anwältin, dass man "der Behörde das Gesicht lassen sollte". Das Amt hat ihr einen Vergleichsvorschlag mit ins Gericht gegeben, auf die zwei Hauptpunkte einigen sich die Parteien: Die Abmahnung verschwindet aus Müllers Personalakte, die Versetzung ist gegenstandslos. Das ist sie faktisch ohnehin, schließlich ist Müller seit Januar zu 100 Prozent für seine Personalratsarbeit freigestellt. So weit der Vergleich, der aber nicht sofort rechtskräftig wird. Das Bamf will gut zwei Wochen Zeit, um nachzudenken: Will man den eigenen Vorschlag wirklich annehmen?

Müllers Zwangsversetzung ist bemerkenswert: Der Volljurist hat zweieinhalb Jahrzehnte als Entscheider gearbeitet und müsste sich in ein völlig neues Thema einarbeiten, die Integrationskoordination. Außerdem ist Müller 65 Jahre alt, im Herbst geht er in Rente, er hat noch viele Urlaubstage abzubauen. Ende 2017, als er sanktioniert wurde, war er schon zu 50 Prozent für den Personalrat freigestellt. Wie passt das zum Bekenntnis von Bundesregierung und Bamf, dass Integration eine Jahrhundertaufgabe sei, wenn man einen wichtigen Integrationsjob jemandem aufzwingt, der ihn de facto nicht erfüllen kann? Wie passt das Agieren gegen Müller zum Leitbild des Bamf, in dem es heißt: "Engagiert und fair sorgen wir für die beste Form der Aufgabenerledigung."

Personalratschef Scheinost wertet die Sanktionen gegen seinen Kollegen als Teil einer Einschüchterungsstrategie. Sobald ein Personalrat eine Abmahnung in der Akte hat, sagt Scheinost, hänge ein "Damoklesschwert" über ihm. Weil ihm bei der nächsten Kleinigkeit die Kündigung drohe, habe er automatisch eine "Schere im Kopf" und agiere vorsichtiger. "Das hat Methode", sagt Scheinost und erinnert an eine Anweisung, die er "Maulkorberlass" nennt: Die Bamf-Spitze habe vor Monaten dem Personalrat verbieten wollen, mit der Presse zu sprechen. Scheinost berichtet, dass er sich vor Gericht das Recht zu reden erkämpft habe. Unter anderem wegen der Maßnahmen gegen Müller richtete der Gesamtpersonalrat eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Amtschefin Cordt an das Bundesinnenministerium. Dieses aber erklärt das Agieren des Bamf für in Ordnung. Das Bamf weist den Vorwurf zurück, den Personalrat einschüchtern zu wollen; ein Interviewverbot gebe es nicht. Zur Causa Müller aber äußert sich das Amt nicht, die Begründung: laufendes Verfahren.

Es läuft tatsächlich weiter. Das Amt hat nachgedacht und widerruft den Vergleich, den es selbst vorgeschlagen hat; zugleich legt die Kanzlei, die das Bamf vor Gericht vertreten hat, ihr Mandat nieder. Das Amt will also, dass Paul Müller als Integrationskoordinator arbeitet, und das, obwohl dieser inzwischen komplett freigestellt ist. Wie soll so jemand die Integration koordinieren? Das Amt schweigt.

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Quelle:
SZ vom 14.05.2018
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