Asylbewerber:"Der Begriff 'Asylant' ist ganz klar verbrannt"

Vertriebene, Wirtschaftsflüchtlinge oder einfach unsere Gäste? In der Debatte um Flüchtlinge gibt es keine neutralen Begriffe, sagt Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch.

Von Karin Janker

SZ: "Das wird man wohl noch sagen dürfen!" Mit diesem Satz rechtfertigen sich oft Menschen, die Flüchtlinge pauschal ablehnen. Dürfen Fremdenfeinde sich auf Meinungsfreiheit berufen?

Anatol Stefanowitsch: Wir leben in einem Land, in dem man vieles sagen darf. Zum Glück. Was aber hinter der Floskel tatsächlich steckt, ist ein "Das wird man wohl noch unwidersprochen sagen dürfen". Wer Flüchtlinge diffamiert, muss mit den entsprechenden Antworten rechnen - und zwar auch mit solchen, die dies als fremdenfeindlich bezeichnen. Genau davor versuchen sich allerdings Menschen zu schützen, die diese Floskel benutzen.

Aus rechten Internetforen ist kürzlich der Begriff des "Asylkritikers" in die Medien geschwappt. Manche Zeitungen berichteten über die "besorgten asylkritischen Bürger" in Freital und anderswo - Sie halten den Begriff für falsch.

Das Wort "Kritik" impliziert, dass hier nachvollziehbare Argumente oder Sorgen ausgedrückt werden. Aber die selbst ernannten "Asylkritiker" üben ja keine Kritik an der Asylpolitik. Sie lehnen eine bestimmte Gruppe Menschen ab. Das ist keine legitime Form der Kritik.

Dann ist "Asylkritiker" eine Verharmlosung?

Ja, ebenso wie "Islamkritiker". Es ist der Versuch, die eigene Position zu legitimieren und zu verschleiern, wo eine wahrhaftigere Bezeichnung dem Image schaden würde. "Islamkritiker" setzen sich ja auch nicht mit der Religion auseinander. Ähnliches sehen wir im politischen Diskurs, beim "Hilfsprogramm" für Griechenland etwa. Da reden Politiker von Hilfe, obwohl es um Austeritätspolitik geht. Solche Begriffe sind nicht offensichtlich falsch, aber gerade falsch genug, um zu verdecken.

Viele Menschen sagen, sie seien verunsichert, wie man über Flüchtlinge reden dürfe. Darf man noch Asylant sagen?

Der Begriff "Asylant" ist ganz klar verbrannt. Er war von Anfang an negativ aufgeladen - und auch, wenn man das Wort nicht abwertend verwendet: Sprache drückt nicht nur das aus, was ich selbst damit meine, sondern immer auch das, was das Gegenüber versteht.

Politiker unterschiedlicher Parteien haben sich inzwischen auf sogenannte "Wirtschaftsflüchtlinge" eingeschossen und kritisieren die Migration aus Balkanstaaten. Ebenfalls ein problematischer Begriff?

Man könnte meinen, "Wirtschaftsflüchtlinge" kämen, um vom Exportweltmeister Deutschland zu profitieren. Aber diese Menschen fliehen nicht, weil sie kein Auto haben, sondern weil sie Hunger leiden. "Armutsflüchtlinge" würde ihre Situation besser beschreiben.

In der aktuellen Debatte über Flüchtlinge bekommt man bisweilen den Eindruck, Deutschland drohe an der Herausforderung zu scheitern, diesen Menschen Zuflucht zu bieten. Da wird ein Katastrophenszenario heraufbeschworen.

Dieses "Das Boot ist voll"-Gerede suggeriert ein begrenztes Fassungsvermögen, das praktisch erst erreicht wäre, wenn jedem Menschen in Deutschland nur noch ein Quadratmeter zur Verfügung stünde. Es gibt hier aber genug Platz und auch genug gesellschaftlichen Raum für Flüchtlinge. Die Menschen, die behaupten, das Boot sei voll, sind ja nicht selten dieselben, die fordern, die Deutschen müssten mehr Kinder kriegen.

Wir trauen uns nicht, die Dinge beim Namen zu nennen

Asylbewerber: Anatol Stefanowitsch.

Anatol Stefanowitsch.

(Foto: dpa / SZ.de)

Es sind aber doch nur Worte, könnte man einwenden. Wie sehr prägt die Sprache unser Denken und unser Handeln?

Wenn wir ernsthaft und sorgfältig über eine Sache nachdenken, verliert die Sprache an Einfluss. Experimente zeigen aber umgekehrt: Besonders dann, wenn wir uns nur oberflächlich mit einem Thema beschäftigen, werden sprachliche Bilder einflussreich. Sie können Diskussionen lenken und bestimmte Argumente plausibler erscheinen lassen.

Zum Beispiel?

Wenn von einer "Flüchtlingswelle" die Rede ist, erscheint es gleichzeitig naheliegend, dass diese Welle Deutschland bedroht. Es lässt sich mit diesem Sprachbild schwerer ausdrücken, Deutschland habe kein Problem damit, die Flüchtlingswelle aufzunehmen. Gerade wenn wir einen Text nur oberflächlich lesen, entfalten die Sprachbilder ihre volle Wirkung.

Wie lässt sich über Flüchtlinge reden, ohne negative Stimmung zu schüren?

Man könnte beispielsweise von Gästen und Gastgebern sprechen - was aber wiederum das Problem mit sich bringt, dass Gastfreundschaft nur etwas Vorübergehendes ist. Das Bild der Flüchtlingswelle dagegen lässt sich positiv umdeuten: Eine Welle lässt sich von einer Gesellschaft aufsaugen wie von einem Schwamm. Eine völlig neutrale Sprache ist nie möglich, jedes Wort vermittelt eine bestimmte Sichtweise. Aber je weniger Nebenbedeutungen die Worte haben, desto weniger sind sie emotional aufgeladen und desto treffender sind sie oft. Ich bin überzeugt: Wenn wir anders über Flüchtlinge sprechen würden, wäre auch ganz anderes Handeln möglich.

Kritiker könnten Ihnen Zensur vorwerfen oder übertriebene Political Correctness.

"Political Correctness" ist zu einem Kampfbegriff geworden, um Menschen lächerlich zu machen, die andere nicht unnötig verletzen wollen. Wir alle wissen meist sehr genau, welche Begriffe problematisch sind. Manchmal gehen wir dennoch unvorsichtig mit Sprache um.

Beobachten Sie im Gegenzug auch übertriebene Vorsicht?

Bisweilen trauen wir uns nicht, die Dinge beim Namen zu nennen. Wenn an zahlreichen Orten in Deutschland Menschen Flüchtlingsheime anzünden, können wir nicht mehr von "besorgten Bürgern" sprechen. Brandanschläge auf Flüchtlinge sind rechter Terror, wie Sascha Lobo richtig gesagt hat. Auch in diesem Fall ist eine möglichst konkrete Sprache wichtig.

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