Süddeutsche Zeitung

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge:Worüber beim Asylpaket II gestritten wird

Lesezeit: 2 min

Von Constanze von Bullion, Berlin

Wer minderjährig ist und sich ohne Begleitung der Eltern auf die Flucht aus dem Nahen Osten nach Deutschland begibt - oder unterwegs die Familie verliert - der ist spätestens bei seiner Ankunft nicht mehr so, wie gleichaltrige Deutsche in der Regel sind. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind meist Menschen mit sehr erwachsenen Sorgen. Die erste lautet: Wie komme ich auf eigene Faust an mein Ziel? Die zweite: Geld.

So erklärt sich unter anderem, warum deutsche Behörden nicht wissen, wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sich in Deutschland aufhalten. Laut Bundesfamilienministerium befinden sich "rund 59 000" allein geflüchtete Jugendliche in der Obhut von Jugendämtern.

Viele melden sich aber gar nicht erst bei Behörden, weil sie Angst haben, dann nicht ans gewünschte Ziel zu kommen - oder dass sie in der Obhut deutscher Betreuer nicht in der Lage wären, das Geld zu verdienen, das sie ihren Schleppern schulden.

Und auch bei denjenigen, die registriert sind, bleiben die Zahlen unvollständig. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zählte letztes Jahr 14 439 allein reisende Minderjährige, die einen Asylantrag stellten. Auch hier aber gilt: Viele Jugendliche rutschen durchs Raster, denn sie stellen zunächst gar keinen Asylantrag.

Der Vergleich mit dem Vorjahr immerhin zeigt, dass die Zahl unbegleiteter junger Flüchtlinge erheblich steigt. 2014 stellten 4398 einen Asylantrag. Die Zahl hat sich 2015 demnach also mehr als verdreifacht.

Begleitet von gesetzlichem Vertreter

Angesichts solcher Zuwachsraten drangen Bundesinnenministerium und Teile der Union darauf, den Status jugendlicher Flüchtlinge einzuschränken. Das Bundesfamilienministerium hielt dagegen. Es setzte durch, dass junge Flüchtlinge bis zum Ende ihrer Ausbildung in Deutschland bleiben dürfen.

Auch werden 16- und 17-jährige Flüchtlinge ohne Eltern in Asylverfahren nun von einem gesetzlichen Vertreter begleitet. Zuvor mussten sie ab 16 Jahren eigenverantwortlich ihr Asylverfahren durchstehen. Seit November werden sie zudem auf andere Bundesländer verteilt, wenn am Ankunftsort Unterkünfte des Jugendamts fehlen. Sie kommen nicht in Sammelunterkünfte.

Strittig blieb zwischen Union und SPD die Frage des Familiennachzugs. In den Verhandlungen ums Asylpaket II einigte man sich, dass Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz, also solche, die weder individuell verfolgt sind, noch unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen, zwei Jahren keine Angehörigen nachholen dürfen.

Für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge aber gilt laut Aufenthaltsgesetz nicht Familien-, sondern Elternnachzug. Demnach dürfen die Flüchtlinge nach Abschluss des Asylverfahrens die Eltern nachholen.

Dabei sollte es im Entwurf des Asylpakets II vom November auch bleiben: Die Regelung zum Elternnachzug bleibe unangetastet. Im Entwurf vom Januar fehlte diese Passage. Es wurde nicht mehr zwischen Familien- und Elternnachzug unterschieden. In dem Gesetzestext, den das Kabinett annahm, ist nur noch ganz allgemein von "Personen" die Rede, für die der Familiennachzug ausgesetzt wird.

Nicht übersehen, sondern anders eingeschätzt

Nun ist der Ärger groß, vor allem im Familienministerium, das zuständig ist für jugendliche Flüchtlinge und sich nicht der Schlamperei zeihen lassen möchte. Die Änderung beim Elternnachzug sei nicht übersehen, sondern anders eingeschätzt worden, war dort zu hören.

Wenn Elternnachzug nicht mehr vorkomme im Asylpaket II, sei davon auszugehen, dass die bisherige Regelung gelte. Man könne die Formulierung aber auch anders verstehen, wurde eingeräumt - nämlich so, dass der Familiennachzug für alle Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz zwei Jahre ausgesetzt wird.

Noch am Wochenende suchten SPD-Chef Sigmar Gabriel und die zuständigen Ministerien nach einer Verständigung, vergeblich. Unterdessen warnten Flüchtlingsverbände davor, junge Flüchtlinge von ihren Familien abzuschneiden. "Das wäre eine Katastrophe und würde Jugendliche noch weiter in die Hände von Menschenhändlern treiben", sagte Tobias Klaus vom Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge.

Es stehe auch nicht zu erwarten, dass künftig massenhaft Angehörige nachgezogen würden. Von Januar bis Anfang Dezember 2015 seien nur 442 Eltern nach Deutschland geholt worden. Gerade wer befürchte, dass junge Flüchtlinge in die Illegalität abtauchten, müsse für bessere Betreuung sorgen und Familienzusammenführung fördern, sagte Uta Rieger vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR.

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SZ vom 08.02.2016
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