Migration:Und nun zu Artikel 16a

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Migranten in der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen.
Migranten in der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen. (Foto: Boris Roessler/DPA)

In der Debatte über Konsequenzen aus dem Solinger Attentat verlangt CSU-Chef Markus Söder auch Änderungen am Grundrecht auf Asyl. Vor allem die Grünen reagieren empört.

Von Michael Bauchmüller, Roland Preuß, Berlin

In der Urfassung des Grundgesetzes war es nur ein kleiner, aber klarer Satz, Artikel 16, Absatz 2, Satz 2. „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, stand da zu lesen. Zu Beginn der Neunzigerjahre war dieser schon einmal Gegenstand heftigen Streits, die Zahlen derjenigen, die sich auf das Recht beriefen, stiegen stark an; ebenso die Fremdenfeindlichkeit im Land.

Ein neuer Artikel entstand, 16a. Der enthielt zwar immer noch den schlanken Satz, daneben aber auch vier Absätze voller Einschränkungen und Nebenregeln. Geht es nach Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, soll es dabei nicht bleiben. Inmitten der hitzigen Debatte um Konsequenzen aus dem Messerattentat in Solingen verlangt er nun, das Grundrecht weiter einzuschränken.

Das Asylrecht müsse „grundlegend reformiert“ werden, forderte der CSU-Chef in der Welt am Sonntag. So müsse das individuelle Recht auf Asyl umgewandelt werden. „Dann entscheidet Deutschland, wer in unser Land kommt – und nicht jeder Einzelne hat ein Recht dazu“, sagte Söder. „Wir können dann festlegen, in welcher Dimension wir helfen und integrieren können, aber auch, wen wir für den Arbeitsmarkt brauchen.“

„Platt populistische Forderungen.“

Doch die Spielräume der Politik in der Asylpolitik sind durch internationales Recht, das Grundgesetz und eine Reihe von Urteilen eingeschränkt. So hatten Gerichte in der Vergangenheit beispielsweise wiederholt Grenzen gezogen, als Regierungsmehrheiten ausreisepflichtigen Migranten Sozialleistungen streichen wollten. Die Regeln des Grundgesetzes sind allerdings stark überlagert durch EU-Recht, auf Basis des Grundrechts auf Asyl sind kaum noch Schutzsuchende erfolgreich. Im Rahmen des Artikels 16a erhielten in den ersten sieben Monaten dieses Jahres nur 1119 Menschen eine Asylberechtigung – bei rund 183 000 Entscheidungen.

Söders Vorstoß ist die neueste Volte in einer zunehmend hitzigen Migrationsdebatte. Aus den Reihen der Grünen kam am Sonntag dazu eine klare Absage. „Seine Vorschläge sind geschichtsvergessen, verfassungs- und europarechtswidrig. Er weiß das“, sagte der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz der Süddeutschen Zeitung. Insgesamt gehe Söder „politisch einen sehr traurigen Weg“, der offenbar vor allem dazu dienen solle, bundespolitisch aufzufallen. Neben „aufdringlich trivialen Social-Media-Aktivitäten“ nehme man ihn vor allem mit „platt populistischen Forderungen“ wahr.

Eine Annäherung im Migrationsstreit dürfte damit insgesamt nicht leichter werden. Vorige Woche hatte Bundeskanzler Olaf Scholz gemeinsame Gespräche mit Opposition und Ländern angekündigt, ein erstes Treffen soll am Dienstag stattfinden. Schon vorigen Donnerstag hatte die Bundesregierung ein Paket mit Verschärfungen im Migrationsrecht vorgelegt. So sollen die Sozialleistungen für bestimmte ausreisepflichtige Asylsuchende gekürzt werden. Auch Abschiebungen sollen leichter vollzogen werden können. Der mutmaßliche Attentäter von Solingen hätte nach Bulgarien zurückgeführt werden sollen, was aber nicht geschah. Eine Änderung des Grundgesetzes allerdings zählt bisher nicht zu den Schlüssen, die die Koalition ziehen möchte.

Erst am Freitag waren 28 Afghanen, die in Deutschland Straftaten begangen hatten, mit dem Flugzeug in ihre Heimat abgeschoben worden. Von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erwarte er, „dass nächste Woche der nächste Abschiebeflug stattfindet“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt der Bild am Sonntag. „Das darf keine Eintagsfliege gewesen sein.“

CDU-Chef Friedrich Merz verlangte in einem Rundschreiben, auch die Zuwanderung über den Landweg stärker zu begrenzen. Wenn an zwei Tagen so viele neue Geflüchtete kämen, wie in einem Monat abgeschoben und zurück überstellt würden, dann werde „das Problem in Deutschland nicht kleiner, sondern immer größer“, schrieb er. Das Land habe eine „Überforderungsgrenze“ erreicht. Immerhin sei aber „etwas in Bewegung geraten“.

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