Was deutsche Bürokratie bedeutet? Wer nach Deutschland flieht, bekommt die Antwort schnell. Schon mit der ersten Befragung durch die Bundespolizei an der Grenze erhalten viele Geflüchtete ein zweiseitiges Formular. Die „Übersetzungshilfe für die Befragung von Ausländern“ beginnt harmlos, fragt nach Namen, Anschrift, Kindern, Beruf und Familie. Dann wird es knifflig. Den Reisegrund will das Papier wissen und gibt vier Antwortmöglichkeiten vor: Besuch von Bekannten oder Verwandten, Urlaubsreise, Geschäftsreise. Was nicht auf der Liste steht: ein Asylgesuch.
Doch gerade darum geht es vielen Geflüchteten, die an den deutschen Außengrenzen landen. Dennoch werden dort laut Bundespolizei-Statistik immer mehr Menschen direkt zurückgewiesen. Erst im September nannte Innenministerin Nancy Faeser neue Zahlen. Seit Oktober 2023 wurden 30 000 Menschen ohne Verfahren allein an den Landgrenzen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz zurückgeschickt. Man setze den „harten Kurs gegen die Migration fort“, lobte Faeser. Die Zahl der Zurückweisungen könnte mit der Ausweitung der Grenzkontrollen auf alle deutschen Außengrenzen steigen. In den ersten zwei Wochen wurden mehr als 1400 Menschen zurückgewiesen, gab die Bundespolizei bekannt.
Gibt es Zurückweisungen ohne rechtliche Prüfung?
Inzwischen fragen sich Asylverbände und auch Abgeordnete des Bundestags, ob es bei der wachsenden Zahl mit rechten Dingen zugeht. Denn Zurückweisungen sind in der EU verboten, wenn Geflüchtete ein Asylgesuch stellen. Im Raum steht die Frage: Haben es so viele Menschen bei der Einreise nicht vermocht, das Wort „Asyl“ auszusprechen? Oder hat der Fragebogen mit den Zurückweisungen zu tun? Und werden vielleicht deshalb so viele Menschen an der Grenze abgewiesen, weil ihnen ein Formular keine Option für ein Asylgesuch anbietet?
„Es ist zutiefst beunruhigend, dass Asylgesuche im Vordruck der Bundespolizei nicht einmal als mögliche Antwortoption vorgesehen sind“, kritisiert die Linken-Abgeordnete Clara Bünger. Dies führe dazu, dass Schutzbedürftige aus Unwissenheit oder Angst falsche Angaben machten und „letztlich ohne rechtliche Prüfung an der Grenze zurückgewiesen werden“, vermutet sie.
Bünger prangert auch Auffälligkeiten in der Statistik an. Bemerkenswert sei, dass die Quote der registrierten Asylgesuche dann stark sinke, wenn Binnengrenzkontrollen durchgeführt würden. Sie lag von Januar bis Juni 2023 noch bei 41 Prozent der unerlaubt Eingereisten. Nach Einführung zusätzlicher Grenzkontrollen im ersten Halbjahr 2024 sank sie auf 23 Prozent. Man müsse sich vor diesem Hintergrund fragen, ob die Bundespolizei gegen geltendes Recht verstoße oder das Innenministerium wissend zusehe, warnt Bünger.
Kritik von Menschenrechtlern
Das Innenministerium weist das in einer Antwort auf eine kleine Anfrage Büngers zurück. Die Verwendung des „in mehr als 50 Sprachen vorliegenden Vordrucks“ für die Erstbefragung sei nicht vorgeschrieben. Er diene in geeigneten Fällen „als Arbeitshilfe und damit der Verfahrensökonomie“. Werde ein Asylgesuch vorgebracht, behandele man die Person als asylsuchend, unabhängig von den Angaben auf dem Vordruck. Dies stehe mit allen einschlägigen gesetzlichen Vorgaben im Einklang.
Der CDU-Innenpolitiker und Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries bezeichnete die Kritik aus der Linksfraktion als „Ammenmärchen und gezielte Desinformation“. Der Fragebogen komme in Fällen zum Einsatz, „in denen die Identität, Herkunft und Reiseweg von Personen geklärt werden muss, die bereits illegal nach Deutschland eingereist sind und keinen Asylantrag stellen“, oder wenn ein anderer EU-Mitgliedstaat für sie zuständig sei. „Ein Dolmetscher für die jeweilige Herkunftssprache ist immer anwesend und die Möglichkeit der Asylantragstellung besteht unabhängig davon“, sagte de Vries. „Klar muss aber auch sein, dass es nicht die Aufgabe der Bundespolizisten ist, illegal eingereiste Personen auch noch explizit darauf hinzuweisen, dass ein Asylantrag in Deutschland gestellt werden kann.“
Menschenrechtsorganisationen sehen das anders. „Mit so einer Fragetechnik werden schutzsuchende Menschen bewusst in die Irre geführt, weil ihnen suggeriert wird, dass es gar nicht möglich ist, ein Asylgesuch zu äußern“, sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl. Damit Geflüchtete ihre Rechte wahrnehmen könnten, solle die Bundespolizei sie „proaktiv“ über die Möglichkeit aufklären, auch einen Asylantrag zu stellen.