Asyl-Debatte auf Grünen-Parteitag:Übermacht der Kretschmann-Jünger

Bundesparteitag der Grünen

Es gab Applaus: Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, sprach auf dem Bundesparteitag der Grünen über Asylpolitik.

(Foto: Christian Charisius/dpa)
  • Auf dem Parteitag in Hamburg haben die Grünen über ihre Asylpolitik diskutiert. Im Zentrum der Debatte stand Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg.
  • Kretschmann hatte im Bundesrat vor kurzem dem sogenannten Asylkompromiss zugestimmt. Dieser hat die Lage für viele Flüchtlinge verbessert, war aber auch mit Verschlechterungen verbunden.
  • Der Parteitag stellte sich größtenteils hinter Kretschmann.

Von Thorsten Denkler, Hamburg

Der Protest gegen Winfried Kretschmann schiebt sich zwischen den Ministerpräsidenten und die Fernsehkamera. Plakate verdecken den Blick auf den Mann, den manche in der Partei für einen Verräter an grünen Idealen halten. "Menschen aus allen Herkunftsländern sind willkommen", steht auf einem. Ein anders kritisiert den Asylkompromiss, dem Kretschmann vor einigen Wochen im Bundesrat zugestimmt hat.

Es ist der Protest der grünen Jugend, der Kretschmann auf dem Parteitag in Hamburg trifft. Kretschmann hört auf zu reden. Wartet ab. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner bittet die Protestierer, zur Seite zu gehen, schiebt sie selbst sanft aus dem Blickfeld der Kamera. Ist das der Auftakt zur Generalabrechnung mit Kretschmann?

Parteifreunde haben Kretschmann ganz schön zugesetzt in den Tagen nach der Entscheidung im Bundesrat. Parteilinke haben auf ihn eingedroschen, als hätte er gerade sämtliche Ideale der Grünen über Bord geworfen. Parteichefin Simone Peter vermochte kaum, ihre Wut im Zaum zu halten. "Der Bundesrat hat heute eine falsche Entscheidung getroffen", schrieb sie nach der Entscheidung auf ihrer Facebook-Seite.

Einige hätten Kretschmann offenbar gerne "geschlachtet", sagt ein Delegierter am Rednerpult.

Er kann sich früh sicher sein, dass er nicht in der Minderheit ist

Die Asyl-Debatte an diesem Samstag soll ein solches Blutbad verhindern. Simone Peter eröffnet sie, sehr bemüht, eine Art Versöhnungsangebot zu machen. Sie lobt Baden-Württemberg für die Bau-Programme, mit denen Flüchtlinge bessere Unterkünfte bekommen sollen. Sie betont, dass die Entscheidung im Bundesrat keine leichte gewesen sei. Sie habe ihre Position dazu klar gemacht. Aber: "Liebe Leute, das müssen wir als Partei, das können wir als Partei aushalten!"

Ist passiert, soll nicht wieder vorkommen - das ist ihre Botschaft. "Wir sind die Partei, die weiter für die Flüchtlinge und Zuwanderer kämpft", sagt Peter.

Kretschmann muss noch warten, bis er weiterreden kann. Aus dem Block der Delegierten aus seiner Heimat schallt rhythmischer Applaus. Viele in der Sporthalle Hamburg schließen sich an. Kretschmann schaut sich um. Er kann sich jetzt schon sicher sein, dass seine Position nicht zur Minderheit gehört.

Was die Grünen aus der Debatte lernen können

Kretschmann verteidigt das individuelle Asylrecht. Es werde nicht ausgehebelt durch den Kompromiss, der drei weitere sogenannte sichere Herkunftsländer definiert. Flüchtlinge aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina haben somit kaum noch eine Chance, aufgenommen zu werden. "Das Asylrecht ist ein unbeschränktes Grundrecht. Deswegen kann das Boot nie voll werden", sagt er. Es gelte jedoch auch: "Wenn wir Verantwortung tragen in den Ländern, werden wir daran gemessen, dass wir das hinbekommen. Und zwar nicht irgendwie. Sondern, dass wir das gut hinbekommen."

Das ist sein Punkt. Er will nicht an Idealen festhalten, die seit 20 Jahren vom Grundgesetz überholt sind, wenn er mit Kompromissen die Lage der Flüchtlinge im hier und jetzt verbessern kann. "Jeder kann sich vorstellen, dass ich skrupulös mit mir gerungen habe", sagt er. Jetzt aber werde die bundesweite Residenzpflicht abgeschafft. Kinder von Flüchtlingen können auf Klassenfahrt mitfahren. Jetzt hätten auch Geldleistung Vorrang vor Sachleistungen. Und die Arbeitsaufnahme werde massiv vereinfacht.

Er wirbt um Verständnis für seine Lage als Ministerpräsident. Er suche den Konsens, auch in der Flüchtlingsfrage. "Nur wer Kompromisse macht, kann auch von anderen welche erwarten". Eine umjubelte Stelle seiner Rede.

Am Ende stehen sie in der Halle auf zum Applaus. Längst nicht alle. Aber deutlich genug, um zu zeigen: Jeder Antrag, Kretschmann und seinen Kompromiss zum Teufel zu wünschen, ist chancenlos.

"Lasst uns zusammen gehen, Schritt für Schritt"

Theresa Kalmer, die Chefin der Grünen Jugend, versucht noch, die Stimmung zu drehen. Kretschmann habe einen "historischen Bruch in der grünen Asyl- und Flüchtlingspolitik vollzogen". Damit sei eine "rote Linie auf jeden Fall überschritten worden". Das sehen hier wohl die meisten anders.

Was lernen die Grünen nun aus dem Fall? Ska Keller will nicht im Streit verharren. Sie sitzt im Europaparlament, Flüchtlingspolitik gehört zu ihren wichtigsten Themen. "Ja, wir müssen Kompromisse machen", sagt sie. Dabei gelte allerdings: "Lasst uns zusammen gehen, Schritt für Schritt."

Neben den umstrittenen roten Linien in der Asylpolitik sind nämlich tatsächlich rote Linien im Umgang miteinander überschritten worden. Das ärgerte die Grünen an der Basis mehr als der Kompromiss an sich. Viele Redner verweisen darauf, dass bei aller Unterschiedlichkeit der Respekt vor der Position der anderen nicht auf der Strecke bleiben dürfe. Die Generalabrechnung fiel deshalb aus. Auch wenn es manchen schwer gefallen ist.

Das Kompromisspapier zur Asylfrage (PDF), an dem der Bundesvorstand und auch Winfried Kretschmann gemeinsam gearbeitet haben, hat der Parteitag dann auch mit großer Mehrheit angenommen.

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