EU-Vertrag mit Astra Zeneca:Geschwärztes Beweisstück

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Die Frau aus dem Bunker? Ursula von der Leyen während einer Videokonferenz. (Foto: dpa)

Die EU-Kommission veröffentlicht den Corona-Impfstoff-Vertrag mit Astra Zeneca, wobei vieles unleserlich gemacht wurde. Trotzdem dürfte der Schritt den Druck auf den Konzern erhöhen.

Von Björn Finke und Matthias Kolb, Brüssel

Vieles ist geschwärzt auf den 41 Seiten: etwa die Namen der Produktionsstätten. Oder die Tabelle mit den geschätzten Liefermengen und -zeiten für den Corona-Impfstoff. Auch ganze Absätze sind unleserlich gemacht worden. Und doch bietet der Vertrag, den die EU im August mit dem Pharmakonzern Astra Zeneca schloss, interessante Einsichten - und sie dürften Firmenchef Pascal Soriot im Streit um verspätete Lieferungen weiteren Ärger bereiten.

Die EU-Kommission veröffentlichte den Text am Freitag, nachdem der Konzern seine Erlaubnis erteilt hatte. Vorher ließen das Unternehmen und die Kommission aber einiges schwärzen. "95 Prozent der Schwärzungen wollte Astra Zeneca", sagt ein Kommissionsbeamter. "Und die wollten zunächst noch viel mehr streichen." Es ist auch erst der zweite Corona-Impfstoff-Vertrag der EU, der publik wird. Insgesamt hat die Brüsseler Behörde mit sechs Herstellern Rahmenabkommen vereinbart, doch vor Astra Zeneca gestattete lediglich die Tübinger Firma Curevac, dass der Vertrag eingesehen werden kann.

EU-Kommission vs. Astra Zeneca
:"Wir wollen wissen: Was ist los?"

Per Radio-Interview stellt EU-Kommissionschefin von der Leyen klar, dass Astra Zeneca die zugesagte Menge des Impfstoffs liefern müsse. Die Kritik an ihrer Behörde sei falsch. Das soll auch der Vertrag zeigen, der am Freitagmittag veröffentlicht wurde.

Von Björn Finke und Matthias Kolb

Bei Astra Zeneca hatte die Kommission Druck gemacht, nachdem der Vorstandsvorsitzende Soriot in einem Interview Vertragsinhalte geschildert und diese nach Ansicht der Behörde falsch dargestellt hatte. Der Disput entzündet sich daran, dass der britisch-schwedische Konzern vor einer Woche überraschend verkündet hatte, bis Ende März nur 31 statt 80 Millionen Corona-Impfstoffdosen an die EU liefern zu können; Grund seien Probleme in einem belgischen Werk des Auftragsfertigers Novasep. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA in Amsterdam empfahl am Freitag, das Mittel zuzulassen, die Kommission folgte dieser Empfehlung prompt - aber jetzt gibt es davon weniger als geplant.

Das ist ein herber Schlag, denn Kommission und EU-Regierungen stehen ohnehin wegen des schleppenden Impfstarts in der Kritik. EU-Vertreter fragen daher, wieso das Unternehmen aus Cambridge nicht einfach Impfstoff aus britischen Werken in die EU liefert. Soriot sagte allerdings in dem Interview, Abmachungen mit der Regierung in London verlangten, dass die dortigen Fabriken vorrangig für den Heimatmarkt produzierten.

Die EU würde gern wissen, was der Konzern im Herbst getan hat

Kommissionsvertreter betonten hingegen, der Vertrag nenne zwei britische Werke als mögliche Lieferanten, neben Standorten in der EU. Eine Hierarchisierung gebe es nicht. Und tatsächlich listet der Vertrag unter "Schedule A" Produktionsstätten auf. Die Namen sind geschwärzt, aber bei zweien steht "(UK)" dahinter. Zudem garantiert der Konzern in Artikel 13.1 e, keine Verpflichtungen gegenüber anderen Käufern eingegangen zu sein, welche die Erfüllung dieses Abkommens gefährden. Wenn Soriots Aussagen über Vereinbarungen mit London stimmen, hat das börsennotierte Unternehmen freilich genau das getan.

EU-Vertreter würden zudem gerne verstehen, was Astra Zeneca im Herbst gemacht hat. Der Vertrag sieht eine Anzahlung von 336 Millionen Euro vor, zwei Drittel davon waren kurz nach dem Abschluss im August fällig, wie aus Artikel 7 hervorgeht. Im Gegenzug sollte das Unternehmen bereits vor der Zulassung Impfdosen auf Vorrat produzieren. Artikel 5 des Vertrags schreibt dafür eine - geschwärzte - Produktionsmenge für die restlichen Monate des Jahres 2020 fest. Doch in Wirklichkeit scheint es keine großen Vorräte zu geben.

Soriot sagte zur Verteidigung, Astra Zeneca garantiere in dem Vertrag gar nicht, bestimmte Mengen produzieren zu können, sondern nur, "best effort" zu zeigen. Der Rechtsbegriff "Best Reasonable Effort", also größtmögliche vernünftige Anstrengung, wird bei den Definitionen in Artikel 1 des Abkommens ausführlich erläutert. Ein Kommissionsbeamter sagte, der Konzern lege das offenbar so aus, dass er nur nach subjektivem Empfinden sein Bestes geben müsse. Die Kommission hingegen vertrete die Auffassung, dass objektive Kriterien Maßstab seien - und dies sei die allgemeine Interpretationsweise unter Juristen. Dass im Vertrag vom "Best Reasonable Effort" die Rede sei, stelle folglich keine Entschuldigung dafür dar, einfach nicht zu liefern.

Von der Leyen sieht "keine nachvollziehbaren Gründe" für Ausfälle

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bereits am Freitagmorgen in einem Radiointerview angekündigt, den Text zu veröffentlichen - in der Erwartung, dass dies ihrer Behörde in dem Streit hilft: "Wir wissen genau, was in dem Vertrag steht, und deswegen ist es uns wichtig, dass der jetzt öffentlich gemacht wird." Sie wiederholte auch die Forderung der Kommission, dass die Firma ihre "Lieferverpflichtungen uns gegenüber zu erfüllen" habe, es gebe "keine nachvollziehbaren Gründe" für die Ausfälle.

Soriot versprach in dem Interview, direkt nach der Zulassung des Mittels mindestens drei Millionen Dosen sofort zur Verfügung zu stellen und noch zwei weitere Lieferungen im Februar zu leisten, sodass 17 Millionen Dosen zusammenkommen. Eine Aufstockung des gekappten Ziels von nur noch 31 Millionen Dosen bis Ende März sagte er jedoch nicht zu.

Eine Folge des Streits ist, dass Hersteller seit Freitag Exporte von Corona-Impfstoffen aus der EU vorher bei den Behörden der Mitgliedstaaten anmelden müssen. Gefährden die Ausfuhren Lieferzusagen in EU-Staaten, kann die Genehmigung verweigert werden. Das solle aber die Ausnahme bleiben, heißt es in der Kommission. Die neue Regelung gilt vorerst bis Ende März. Hintergrund ist der Verdacht, dass Astra Zeneca Ende vorigen Jahres Mittel aus der EU nach Großbritannien geliefert haben könnte - was das Unternehmen abstreitet.

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