Süddeutsche Zeitung

Impfen mit Astra Zeneca:"Ohne Frage ein Rückschlag"

Merkel und Spahn verkünden, dass Menschen unter 60 nur noch eingeschränkt mit Astra Zeneca geimpft werden sollen. Sie wissen, die Verunsicherung lässt sich "nicht wegreden". Immerhin legt die Kanzlerin ein persönliches Bekenntnis ab.

Von Nico Fried, Berlin

Die Kanzlerin hat keine Lust mehr. Es ist kurz vor 22 Uhr am Dienstagabend, ein Statement und drei Fragen liegen bereits hinter Angela Merkel, als sie ihrem Regierungssprecher aus einem unübersehbar missmutigen Gesicht einen ebenso eindeutigen Blick zuwirft, der sagen soll: Schluss für heute. Doch eine letzte Frage lässt Steffen Seibert dann doch noch zu, und so wird es gleich zu einem bemerkenswerten Bekenntnis der Kanzlerin kommen, das vielleicht nicht gänzlich unbedeutend ist für den weiteren Verlauf der Impfkampagne in Deutschland.

Doch zunächst die Fakten. Zu Beginn der Pressekonferenz liest Merkel - "wegen der Bedeutung", wie sie selbst sagt - ziemlich viele Sätze vom Blatt ab. Es handelt sich um den Wortlaut der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) zum Wirkstoff von Astra Zeneca, und es wäre nicht hilfreich, wenn die Kanzlerin jetzt auch noch eine Regelung verbal verstolpern würde, die an sich schon kompliziert genug ist. Also liest sie vor.

Im Kern geht die von Merkel zu verkündende Empfehlung so: Astra Zeneca nur noch für Impfberechtigte über 60. Wer jünger ist, kann sich den Impfstoff zwar auch verabreichen lassen, aber nur nach ausführlicher Beratung, einer individuellen Risikoanalyse und vom Hausarzt - wenn der denn den Impfstoff bekommt. Wer schon eine erste Dosis Astra Zeneca erhalten hat, in Deutschland immerhin mehr als zwei Millionen Menschen, kann mit der Zweitimpfung warten, bis die Stiko über die weitere Nutzung des Impfstoffs entschieden hat. Ende April soll es spätestens so weit sein.

Die Empfehlungen, die nun zu dieser Entscheidung geführt haben, so erklärt Merkel, beruhten auf Erkenntnissen von Experten zu den Fällen von Sinusvenenthrombosen nach einer Impfung mit Astra Zeneca. Mindestens 31 solche Fälle hat es in Deutschland gegeben, neun davon endeten tödlich, die meisten bei Frauen. Es seien Erkenntnisse, sagt die Kanzlerin, "die auch wir nicht ignorieren können". Man müsse den Impfstoffen vertrauen können. Und zu diesem Vertrauen gehöre auch die Sicherheit, dass jedem Verdacht nachgegangen werde. "Dafür stehen Bund und Länder ein", so Merkel.

Impfen sei "fast immer die richtige Entscheidung"

Die Gefahr sei "statistisch gering, aber ernst zu nehmen", sagt Gesundheitsminister Jens Spahn über die Thrombosen. In der Abwägung bleibe "Impfen fast immer die richtige Entscheidung". Dummerweise ist es ein "fast", bei dem es um Leben und Tod gehen kann. Deshalb bleibt Spahn auch nichts anderes übrig, als die Dinge beim Namen zu nennen: Es sei "ohne Frage ein Rückschlag, das bei einem unserer verfügbaren Impfstoffe für eine bestimmte Altersgruppe offenbar ein erhöhtes Risiko besteht".

Damit aber ergibt sich nun ein Paradoxon erster Güte: Ausgerechnet der Impfstoff, der in Deutschland als einziger zunächst nur für Menschen unter 65 zugelassen worden war, ist zwei Monate nach seiner ersten Verimpfung zu dem einzigen Vakzin geworden, das nur noch Personen bedenkenlos verabreicht werden kann, die älter als 60 sind. Auch wenn es für beide Entscheidungen gute Gründe gegeben haben mag, könnte diese verkehrte Welt bei manchen Menschen für Verwirrung sorgen.

"Natürlich werden Menschen sich fragen: Was passiert da und was bedeutet das jetzt für mich", sagt Merkel. Aber man habe nur zwei Möglichkeiten: Die Probleme unter den Teppich zu kehren - oder die Fälle, die auftreten, ernst zu nehmen. Offenheit und Transparenz, so die Kanzlerin, seien "die beste Möglichkeit, mit einer solchen Situation umzugehen". Aber natürlich könne sie "Verunsicherung jetzt nicht einfach wegreden".

Die Entscheidung werde nun Folgen für die Organisation des Impfens haben, sagt Merkel. Und eingedenk der bisherigen Erfahrungen klingt das ein bisschen wie eine Drohung. "Wir werden Veränderungen an den Lieferplänen vornehmen müssen, an der Verteilung an die Impfzentren und nach Ostern auch an die Hausärzte." Das werde man "gemeinsam anpacken und bewältigen", sagt die Kanzlerin.

"Wenn ich dran bin, lasse ich mich impfen"

Ein Gutes habe der veränderte Impfplan, sagt Spahn. Menschen über 60 könnten nun schneller geimpft werden als bisher erwartet. Dafür dürfen die Länder auch die geltenden Priorisierungen aufheben. Von denen, die durch den Stopp gelackmeiert sind, spricht der Minister nicht: zum Beispiel Menschen unter 60 mit Vorerkrankungen, die demnächst einen Termin im Impfzentrum gehabt hätten und nun nur hoffen können, dass der Hausarzt sie ebenso schnell versorgen kann. Oder die Lehrinnen und Lehrer, die glaubten, nach den Osterferien mit der Immunisierung einer ersten Impfung vor ihre Schüler treten zu können. Nix war's.

Dann ist der Moment, als die Kanzlerin nach Hause will - und dank ihres Regierungssprechers doch noch eine Frage beantworten muss. Da ab sofort auch Menschen ab 60 geimpft werden dürften, sei ja auch sie nun dazu aufgefordert, stellt ein Journalist fest. Merkel ist 66. "Werden Sie sich denn mit Astra Zeneca impfen lassen?" So miesepetrig die Kanzlerin vorhin geschaut hat, so belustigt grinst sie jetzt über diese Frage. "Wenn ich dran bin, lasse ich mich impfen", antwortet Merkel, "auch mit Astra Zeneca."

Dann zieht sie die Maske an und macht sich fertig zum Abgang, als noch eine allerletzte Frage kommt, ohne Mikro, einfach nur auf Zuruf - aber politisch bedeutsam, das wissen Spahn und Merkel sofort: Ob das Versprechen weiter gelte, jedem Bürger bis Ende des Sommers ein Impfangebot zu machen, lautet die Frage. Der Gesundheitsminister hat seine Maske schneller wieder vom Gesicht gefummelt und antwortet zuerst: Spahn rechnet kurz vor, dass man im zweiten Quartal insgesamt 70 Millionen Impfdosen erwarte. Die "wichtige Botschaft lautet deshalb: ja". Die Kanzlerin nickt und begnügt sich damit, als Echo des Ministers zu fungieren: "Ja", sagt Angela Merkel am Ende eines weiteren langen schwierigen Tages in der Corona-Pandemie.

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