Wikileaks-Gründer:Hilferuf für Assange

Assange

Julian Assange mache einen desorientierten Eindruck, und drohe den Prozess nicht zu überleben, betonen Unterstützer wie Sigmar Gabriel.

(Foto: Dominic Lipinski/dpa)
  • Eine Reihe Prominenter, darunter Sigmar Gabriel, Ex-Innenminister Gerhart Baum und Günter Wallraff, fordern die sofortige Freilassung von Julian Assange.
  • Schon länger werden die Bedingungen, unter denen der 48-Jährige im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in Haft sitzt, kritisiert.
  • Auch das Verhalten Schwedens, das sein Verfahren gegen Assange inzwischen eingestellt hat, wird von den UN in Frage gestellt.

Von Clara Lipkowski, Berlin, und Kai Strittmatter, Kopenhagen

Am 24. Februar sollen in London die Anhörungen für das Auslieferungsverfahren von Wikileaks-Gründer Julian Assange an die USA beginnen, nun machen seine Unterstützer mobil. Julian Assange mache einen zum Teil desorientierten Eindruck, leide offensichtlich an den Folgen psychischer Folter und drohe den Prozess um seine Person nicht zu überleben - mit deutlichen Worten haben sich namhafte Unterstützer des Whistleblowers am Donnerstag in Berlin an die Öffentlichkeit gewandt. Der Investigativjournalist Günter Wallraff, Ex-Außenminister Sigmar Gabriel, Ex-Innenminister Gerhart Baum und die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen riefen in der Bundespressekonferenz dazu auf, Assange sofort aus der Haft zu entlassen.

Dem vorangegangen war ein öffentlicher Appell von 130 Politikern, Künstlern und Journalisten, unter ihnen auch die Schriftstellerinnen Eva Menasse und das PEN-Zentrum, der am Donnerstag ganzseitig in der FAZ erschienen war. Und schwere Vorwürfe gegen die schwedische Justiz und Polizei und deren Verhalten im Falle Assange hat erneut der Sonderberichterstatter für Folter bei den Vereinten Nationen erhoben, der Schweizer Jurist Nils Melzer. Melzer beklagt seit langem, dass die Rechtsstaatlichkeit im Falle Assange zum Opfer politischer Interessen geworden sei.

Ähnlich klang das am Donnerstag in der Bundespressekonferenz. Unter anderem der Journalist Günter Wallraff kritisierte, dass der 48-Jährige Julian Assange isoliert und überwacht werde, er müsse bis zu 23 Stunden am Tag alleine in seiner Zelle verbringen und könne sich nicht auf den Prozess vorbereiten. Linken-Politikerin Dağdelen monierte, dass er gar keinen Kontakt zu seinen Anwälten in den USA habe und nur wenig Kontakt zu Anwälten in Großbritannien. Sigmar Gabriel warnte davor, dass hier "offensichtlich politische Gründe eine Rolle spielen dafür, dass man Rechtsstaatlichkeit eher hintanstellt."

Assange war im April 2019 aus der ecuadorianischen Botschaft in London in das britische Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh gekommen. In der Haft wartet er nun auf seinen Auslieferungsprozess. Dieser, so hieß es am Donnerstag in der Bundespressekonferenz, werde wohl auf ein Jahr angesetzt, könne sich aber auf drei oder vier Jahre hinziehen. Sigmar Gabriel sagte, nach einem langen Telefonat mit dem UN-Folterbeauftragten Nils Melzer, habe er sich entschlossen, den Appell zu unterzeichnen. Das heiße aber nicht, dass man sich damit in das Verfahren selbst einmische. Großbritannien und die USA seien Rechtsstaaten, doch müsse sichergestellt sein, dass sich Assange "physisch und psychisch und mit Hilfe seiner Anwälte auf eine angemessene Verteidigung vorbereiten" könne. Dazu müsse er aus der Haft entlassen werden. Gabriel war Außenminister, als Assange in der ecuadorianischen Botschaft Asyl und damit Schutz vor Strafverfolgung erhalten hatte.

Die Rolle Schwedens ist dank des UN-Folterbeauftragten Nils Melzer auch wieder Thema in der öffentlichen Debatte. Die schwedische Staatsanwaltschaft hatte mehr als neun Jahre gegen Assange ermittelt - wegen des Verdachts auf ein schweres Sexualdelikt. Im November vergangenen Jahres dann waren die Untersuchungen endgültig eingestellt worden, wegen Mangels an Beweisen. UN-Sonderberichterstatter Melzer hat Schweden immer wieder vorgeworfen, im Verlauf dieser neun Jahre aufs Schwerste die Menschenrechte Julian Assange missachtet zu haben.

In einem detaillierten Schreiben an die schwedischen Behörden vom September 2019 verlangte Melzer Auskunft zu möglichen Manipulationen, Unklarheiten und widerrechtlichem Verhalten von Staatsanwaltschaft und Polizei in Stockholm. Melzers Schreiben wurde erst nach der Einstellung der Untersuchung öffentlich. In einem Interview mit dem Schweizer Portal Die Republik erklärte Melzer nun Ende vergangener Woche, die Tatsache, dass er bis heute keine Antwort erhalten habe von Schweden auf seine Nachfragen, bewerte er als "Schuldeingeständnis". Melzers These: Schweden habe die Sexualstraftatuntersuchungen mit Absicht unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit über all die Jahre laufen lassen, obwohl zu keinem Zeitpunkt die Beweise für eine Anklage ausreichten, um mitzuhelfen, "aus einem Mann ein Monster zu machen, damit man ihn nachher auf dem Scheiterhaufen verbrennen kann, ohne dass jemand aufschreit."

Die Vorwürfe, die Assange stets bestritten hat, stammen aus dem Jahr 2010. Den Ermittlungen zugrunde lagen ursprünglich die Aussagen zweier schwedischer Frauen. Beide Frauen hatten mit Julian Assange zuvor einvernehmlichen Sex gehabt, beschuldigten ihn aber hernach, er habe sie später gegen ihren Willen zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr genötigt. Die letzte Anwältin der Klägerin in dem Stockholmer Verfahren gegen Assange war für die SZ bis zum Redaktionsschluss am Donnerstag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Es ist die These Melzers, dass die Schweden aus rein politischen Motiven Julian Assange in den Mittelpunkt eines Sexualstrafverfahrens gestellt hätten, und nicht im Interesse der beiden Klägerinnen. Belege gibt es für eine solche politische Motivation keine. Was der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen aber tatsächlich mit zahlreichen Belegen und Dokumenten zeichnen kann, ist das Bild eines Verfahrens voller Ungereimtheiten, das mehrfaches grobes Fehlverhalten der schwedischen Justiz und Polizei nahelegt.

So hatte sich mindestens eine der Klägerinnen anfangs dagegen gewehrt, überhaupt Klage einzureichen und in einer Textnachricht an Bekannte geschrieben, die Polizei "erfinde" Tatbestände. Die Staatsanwaltschaft entschied dann auch erst einmal, die Untersuchungen offiziell einzustellen. Als sie wenig später die Ermittlungen wieder aufnahm, hatte die vernehmende Polizistin offensichtlich auf Anordnung ihres Vorgesetzten die Vernehmungsakten eigenhändig umgeschrieben, der entsprechende Mailwechsel findet sich in den von Melzer vorgelegten Unterlagen.

Die Polizei manipulierte aber Melzer zufolge nicht nur die Verhörprotokolle, sie gab auch wiederholt vertrauliche Informationen gezielt an die Boulevardpresse weiter und ließ mehrfach Versuche Assanges verstreichen, sich selbst einer Vernehmung zu stellen. In Schweden selbst sind Melzers neuerliche Vorwürfe bislang weder für Politik noch für Medien von Interesse.

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