Süddeutsche Zeitung

Asien:Im Netz der Virenfahnder

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Das Leben von Infizierten wird auf den Kopf gestellt: Wie Südkorea und Taiwan die Ansteckungszahlen gesenkt haben.

Von Christoph Giesen

Vor einem Monat schaute die Welt schon einmal gebannt auf Südkorea. Während in China die gemeldeten Corona-Fallzahlen Tag für Tag abnahmen, stiegen sie im Nachbarland plötzlich steil an. Allein am 29. Februar waren es 909 Erkrankungen. Inzwischen hat Südkorea die Ausbreitung des Virus jedoch gut unter Kontrolle bekommen. So gut, dass man nun im Bundesinnenministerium überlegt, wie man Südkorea nacheifern kann.

Der Schlüssel zum Erfolg: Testen, testen, testen. Südkorea hat Hunderte Zentren und Drive-in-Stationen eröffnet und mehr als 376 000 Tests durchführen lassen, um die bislang 9332 Infizierten ausfindig zu machen. Das ist der erste Schritt. Der zweite: Wer positiv getestet wurde, dessen Leben wird auf den Kopf gestellt, damit sämtliche Kontaktpersonen rasch informiert und isoliert werden. Dazu verschicken die Handyanbieter Warnnachrichten per SMS mit detaillierten Bewegungsprofilen von Infizierten, Seuchenbekämpfer rekonstruieren anhand von Kreditkartenabrechnungen und Mobilfunkdaten, wer wann wen getroffen hat. Für Datenschützer ein Graus - und doch wohl der einzig gangbare Weg, um nicht über Monate zu Hause bleiben zu müssen. Eine echte Debatte darüber gibt es deshalb nicht in Südkorea.

Das gilt auch für Taiwan. Jenes Land, das sich weltweit mit Abstand am besten dem Coronavirus entgegenstellt. Und das, obwohl Taiwan direkt vor der chinesischen Küste liegt und mehr als 500 000 Besucher aus China zum Frühlingsfest kamen, obwohl Taiwan kein Mitglied der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist, weil die Volksrepublik Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet und durchgesetzt hat, dass Taipeh keinerlei Informationen und Daten erhält, die die WHO ihren Mitgliedern zu Verfügung stellt. All dem zum Trotz lautet die bisherige Bilanz: 267 bestätigte Fälle und nur zwei Tote.

Während die Welt der Ausbreitung des Virus hinterherzurennen scheint, ist man in Taiwan immer einen Schritt voraus. Bereits Ende Dezember, als die ersten Nachrichten über eine mysteriöse Lungenkrankheit in Wuhan die Runde machten, schaltete Taiwan in den Krisenmodus, gesteuert von den Centers for Disease Control, die 2004 gegründet wurden, nachdem die Lungenseuche Sars auf der Insel gewütet hatte. Die Lehre damals: Lieber schnell entscheiden als perfekt, notfalls bessert man nach. Mehr als hundert Verordnungen haben die Behörden in den vergangenen Wochen erlassen: Quarantäneregeln, Einreisesperren und anfänglich auch Schulschließungen. Seit Ende Februar findet der Unterricht wieder statt. Verglichen mit Deutschland sind die Einschränkungen moderat. In einigen Städten haben Museen, Sportzentren und Büchereien dichtgemacht, seit ein paar Tagen sind Veranstaltungen in geschlossenen Räumen mit mehr als hundert Teilnehmern untersagt.

Genau kontrolliert wird hingegen, wer ins Land darf. Ausländer nicht mehr, Taiwaner, die einreisen, müssen sich zwei Wochen in Quarantäne begeben. Überwacht wird das über Handydaten. Ist einmal der Akku leer, steht rasch die Polizei vor der Tür, um zu überprüfen, dass man nicht gegen die Auflagen verstößt. Wer in Zwangsisolation lebt, bekommt vom Staat einen Verdienstausfall bezahlt, nicht einmal einkaufen muss man, auch das erledigen die Behörden. Ein Ansatz, der Nachahmer findet: "Wir werden dem taiwanischen Modell ziemlich genau folgen", verkündete jüngst Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern.

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SZ vom 28.03.2020
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