Aserbaidschan und Armenien:Ein Konflikt, der auftaut und sich gleich erhitzt

Se07_1402_Grafik Armenien

Seit fast hundert Jahren belastet der Konflikt um Berg-Karabach die Beziehungen zwischen Armenien und Aserbaidschan.

Er galt als eingefroren, der Streit zwischen Aserbaidschan und Armenien um Berg-Karabach. Doch seit Monatsbeginn gibt es täglich Gefechte und Berichte über Tote. Russland spielt eine besondere Rolle.

Von Julian Hans, Moskau

Überlagert von den Sorgen um die Ukraine droht im Südwesten des postsowjetischen Raumes ein seit Jahrzehnten schwelender Konflikt erneut auszubrechen. Seit Monatsbeginn werden täglich neue Gefechte zwischen Soldaten Aserbaidschans und Armeniens an der Waffenstillstandslinie bei Berg-Karabach gemeldet. Dabei wurden nach sich widersprechenden Angaben beider Seiten mindestens 18 Soldaten getötet; die Zahl der Getöteten hat möglicherweise aber schon 100 erreicht. Der große Unterschied rührt daher, dass beide Parteien die Zahl der eigenen Opfer kleinrechnen und die des Gegners hoch ansetzen.

Die Regierungen in Eriwan (Jerewan) und Baku beschuldigen sich gegenseitig, den lange scheinbar eingefrorenen Konflikt wieder entfacht zu haben. Vor einer Woche warfen Baku und Eriwan der jeweils anderen Seite vor, sie habe Sabotagekommandos geschickt, um Posten an der Waffenstillstandslinie anzugreifen. Aserbaidschan ließ Kampfflugzeuge die Front abfliegen. Beobachter sprachen von den härtesten Zusammenstößen seit der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens 1994.

Gespräche unter Vermittlung von Russlands Präsident Putin

An diesem Wochenende trafen sich der aserbaidschanische Präsident Iljam Alijew und sein armenischer Kollege Sersch Sargsjan auf Einladung des russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Nähe der Schwarzmeerstadt Sotschi. Nachdem Putin am Samstag zunächst mit beiden getrennt gesprochen hatte, gab es am Sonntag ein Treffen zu dritt. Zwar betonten alle Beteiligten, dass der Konflikt nur friedlich gelöst werden könne, Alijew und Sargsjan wiederholten jedoch vor allem die alten Vorwürfe an den Gegner.

Alijew erinnerte daran, dass die Vereinten Nationen in vier Resolutionen gefordert haben, dass Armenien besetztes Staatsgebiet Aserbaidschans räumen muss. "Leider sind diese Resolutionen über 20 Jahre Makulatur geblieben", sagte Alijew laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax. Sargsjan machte dagegen Baku dafür verantwortlich: "Die aserbaidschanische Seite beruft sich immer auf die vier UN-Resolutionen. Aber welchen Punkt aus diesen Resolutionen hat Aserbaidschan denn selbst erfüllt?"

Laut Baku kam ein Soldat ums Leben

Putin nannte den Konflikt um Karabach ein "Erbe aus sowjetischer Zeit". Obwohl es internationale Mechanismen gebe, um regionale Konflikte beizulegen, sollten die besonderen Möglichkeiten genutzt werden, die aus den historischen Verbindungen zwischen Russland, Armenien und Aserbaidschan herrühren.

Noch während sich die Präsidenten in Sotschi trafen, gab es neue Zusammenstöße. Laut dem Verteidigungsministerium in Jeriwan wurden mehrere Orte auf armenisch kontrolliertem Gebiet von aserbaidschanischer Artillerie beschossen. Daraufhin habe man das Feuer erwidert. Baku berichtete von einem getöteten Soldaten. Auf beiden Seiten der Waffenstillstandslinie stehen sich Zehntausende Soldaten gegenüber.

Russlands doppelte Interessen

Russland spielt eine besondere Rolle in der Region. Einerseits tritt Moskau als Schutzmacht des wirtschaftlich wie militärisch schwachen Armenien auf und unterhält mehrere Militärbasen auf armenischem Gebiet. Armenien ist durch die geschlossenen Grenzen zu Aserbaidschan und zur Türkei weitgehend isoliert, wichtigster Wirtschaftszweig ist der Bergbau, die Staatseinnahmen hängen stark vom Kupferpreis ab.

Etwa zwei Millionen Armenier arbeiten in Russland. Das Geld, das sie ihren Verwandten in die Heimat schicken, entsprach mit 1,6 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr etwa einem Sechstel des armenischen Bruttoinlandsprodukts.

Nachdem Moskau die Gaspreise für Armenien im vergangenen Jahr drastisch erhöht hatte, stürzte das Wirtschaftswachstum von 7,2 Prozent 2012 auf 3,2 Prozent im vergangenen Jahr ab. Nachdem Jeriwan im September seine Absicht erklärt hatte, als viertes Land neben Russland, Kasachstan und Weißrussland der von Putin initiierten Eurasischen Zollunion beizutreten, wurde der Gaspreis wieder gesenkt.

Gleichzeitig gehört Russland neben Israel aber zu den wichtigsten Waffenlieferanten Bakus, das seit Jahren kräftig aufrüstet. Mit dem Öl-Boom, den Aserbaidschan seit der Jahrtausendwende erlebte, hat die Regierung von Präsident Alijew auch die Verteidigungsausgaben mehr als verzehnfacht. Allein das Militärbudget Aserbaidschans ist höher als Armeniens Gesamthaushalt.

Twitter-Drohungen in einem fast hundertjährigen Konflikt

Alijew, der das Amt 2003 von seinem Vater übernommen hatte, sandte zuletzt klare Drohungen nach Jeriwan. "Wir werden unsere territoriale Integrität wiederherstellen, entweder durch friedliche oder durch militärische Mittel. Wir sind bereit für beide Optionen", schrieb er auf Twitter. "Genauso wie wir Armenien auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet geschlagen haben, sind wir imstande, es auf dem Schlachtfeld zu besiegen".

Der Konflikt um Berg-Karabach belastet die Beziehungen zwischen Armenien und Aserbaidschan seit fast hundert Jahren. Die Region hatte zuvor mal unter osmanischer, mal unter russischer Herrschaft gelegen. Nach dem Ersten Weltkrieg erklärten Armenien und Aserbaidschan ihre Unabhängigkeit und gleichzeitig ihren Anspruch auf die Region. Beide wurden aber wenig später von der Sowjetunion geschluckt.

Mit dem Ende der sowjetischen Ära brach der Konflikt wieder auf und wurde zu einem Krieg, in dem mindestens 25 000 Menschen ums Leben kamen und mehr als eine Million vertrieben wurden. In Karabach sind Armenier in der Mehrheit, die Vereinten Nationen betrachten das Gebiet aber weiterhin als Teil Aserbaidschans.

Menschenrechtsaktivisten werden verfolgt

Zeitgleich mit dem Wiederaufflammen des Konflikts hat in dem Land am Kaspischen Meer eine neue Verfolgungswelle gegen Menschenrechtsvertreter eingesetzt. Ende Juli wurden die bekannte Bürgerrechtlerin Leila Junus und ihr Mann Arif festgenommen. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage unter anderem wegen Landesverrats. Die 57-Jährige hat sich für einen Dialog zwischen Armeniern und Aserbaidschanern eingesetzt.

Vorige Woche wurden zudem die Aktivisten Rasul Dschafarow und Intigam Alijew verhaftet. Vertreter des Menschenrechtsausschusses des Europarates und der EU verurteilten das Vorgehen des Regimes. Aserbaidschan hat derzeit den Vorsitz im Europarat. Dessen Ziel ist eigentlich die Förderung von Stabilität und Demokratie.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: