Korruptionsprozess:Das perfekte Verbrechen?

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Die beiden Angeklagten Eduard Lintner (li.) und Axel Fischer begrüßen sich im Münchner Oberlandesgericht. (Foto: Matthias Balk/dpa)

In München beginnt ein Prozess gegen zwei frühere Unionsabgeordnete. Sie sollen im Europarat im Sinne der aserbaidschanischen Regierung gehandelt und dafür Geld kassiert haben. Und der Skandal ist vermutlich noch größer.

Von Thomas Kirchner

Es herrscht kein Andrang im Sitzungssaal B 273, nur ein Dutzend Journalisten und eine Handvoll Zuschauer beobachten das Geschehen. Gemessen an der Bedeutung des Falles, der hier vor dem Münchner Oberlandesgericht verhandelt wird, ist das erstaunlich. Denn wenn stimmt, was die Anklage vorträgt, sind gleich mehrere Politiker dabei erwischt worden, wie sie sich von der Regierung eines europäischen Staats haben kaufen, also gegen Geld instrumentalisieren lassen. Es geht um Grundsätzliches zu Rechtsstaat und Demokratie, um das Vertrauen in eine der wichtigsten europäischen Institutionen, um die Redlichkeit von Mandatsträgern. Und allem Anschein nach ist der Skandal noch viel größer als der Ausschnitt, der sich in Saal B 273 offenbart.

Angeklagt sind drei Männer und eine Frau. Zum einen Eduard Lintner, ein CSU-Politiker aus Unterfranken: 1976 bis 2009 Abgeordneter im Deutschen Bundestag, vor der Jahrtausendwende mal Parlamentarischer Staatssekretär und Drogenbeauftragter, von 2003 bis 2009 Mitglied des Europarates. Er soll, so die Generalstaatsanwaltschaft München, über Briefkastenfirmen einen „mehrfachen Millionenbetrag“ aus Aserbaidschan erhalten und an Politiker weitergereicht haben, die dann im Sinne des Regimes in Baku agierten. Lintner, 80, wird unter anderem Bestechung vorgeworfen.

Eine Resolution gegen Aserbaidschan fand 2013 überraschend keine Mehrheit

Axel Fischer, Ex-CDU-Abgeordneter des Wahlkreises Karlsruhe-Land und von 2010 bis 2018 Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (Pace), seit 2016 als Fraktionschef der Europäischen Christdemokraten, soll einer der Geldempfänger sein. Der heute 58-Jährige soll zwischen 2011 und 2014 immer wieder Barbeträge erhalten haben, insgesamt 58 000 Euro, um im Europarat „entsprechend den Weisungen aus Aserbaidschan“ zu handeln. Noch mehr Geld, 150 000 Euro, soll die CDU-Abgeordnete Karin Strenz erhalten haben. Die Politikerin verstarb überraschend 2021 auf dem Rückflug von einer Reise nach Kuba. Zwei weitere Angeklagte, Lintners Sohn Markus sowie eine griechische Staatsbürgerin, werden der Beihilfe beschuldigt.

Handeln im Sinne Aserbaidschans, eines öl- und gasreichen Staats, autoritär regiert von Staatspräsident Ilhan Alijew? Was das bedeutet, wurde etwa im Januar 2013 deutlich. Damals stimmte Pace über eine Resolution ab, die Offensichtliches festhielt: dass kritische Oppositionelle, Blogger und Journalisten in Aserbaidschan im Gefängnis sitzen. Doch überraschend fand der Text keine Mehrheit. Strenz enthielt sich damals, Fischer nahm nicht teil. Eine andere Möglichkeit: sich für die Beobachtung der alles andere als freien Wahlen in Aserbaidschan anzumelden – und alle Augen zuzudrücken. Auch das wurde Strenz vorgeworfen.

Im Publikum sitzt auch Frank Schwabe. Der SPD-Bundestags- und Europaratsabgeordnete aus dem Ruhrgebiet wunderte sich über die Abstimmung 2013 und arbeitet bis heute hartnäckig an der Aufarbeitung des Skandals. Nachgezeichnet wird seine Arbeit von einer ARD-Doku. Ebenfalls anwesend: Gerald Knaus. Der kleine Thinktank des Österreichers, die Europäische Stabilitätsinitiative, informierte erstmals 2012 über das mutmaßliche Bestechungssystem Aserbaidschans, erzählte von Geschenken wie teuren Seidenteppichen, Gold, Silber, Kaviar – und viel Geld, das geflossen sei. 2017 wies die Süddeutsche Zeitung gemeinsam mit anderen Medien konkrete Zahlungen nach und deckte die Rolle Eduard Lintners auf.

Der Europarat hat zwar viel Einfluss, wird aber von der Öffentlichkeit kaum beachtet

Knaus spricht vom „perfekten Verbrechen“, das Aserbaidschans Staatspräsident Alijew ersonnen habe. Bevor er seinem Vater 2003 an die Spitze des Staates folgte, sei er im Europarat tätig gewesen und habe dessen Mechanismen genau erfasst. In dieser Zeit entsann er offensichtlich einen Plan, wie er die Institution zum vermeintlich Besten, sprich: zum Weißwaschen, seines Landes nutzen könnte. Der Europarat ist dafür geeignet, weil er zwar viel Einfluss hat, von der Öffentlichkeit aber kaum beachtet wird.

Lintner äußert sich am ersten Sitzungstag nicht, hat die Vorwürfe aber gegenüber Deutschen Presse-Agentur als „großen Unsinn“ zurückgewiesen. Nach Ende seiner Zeit als Abgeordneter habe er sich als Lobbyist dafür eingesetzt, dass die Konfliktregion Berg-Karabach Aserbaidschan zugerechnet werde, ein aus seiner Sicht „völkerrechtlich korrekter Zustand“. Dafür habe die Regierung in Baku auch Geld an seine Gesellschaften gezahlt. Andere Abgeordnete habe er damit nicht bestochen. Lintner hat einen Hörsturz hinter sich, wirkt gebrechlich.

Auch Fischer betont seine Unschuld. In einem Eingangsstatement spricht sein Anwalt von „pauschalen, im Ergebnis nicht haltbaren Vorwürfen“, von „Stimmungsmache“ durch die Staatsanwaltschaft. Fischer habe weder eine „Unrechtsvereinbarung“ mit einem Vertreter Aserbaidschans getroffen noch auf Weisung im Europarat abgestimmt. Er habe allein im Rahmen seines freien Mandats als Abgeordneter gehandelt. Fischer werde vorverurteilt, nicht zuletzt durch die Medien. Er sei traumatisiert durch die Ermittlungen, seine berufliche Zukunft sei zerstört.

Das Regime hat mutmaßlich auch Europaratsmitglieder in Belgien, Spanien, Frankreich bestochen

Tatsächlich wird es wohl nicht leicht werden, die gemeinsame Verabredung zu einer Unrechtshandlung nachzuweisen. Die eine E-Mail oder SMS-Botschaft, in der das stehen würde, existiert vermutlich nicht, das Geld wurde bar übergeben. Doch vieles lässt sich offenbar rekonstruieren. Für Knaus steht außer Frage, dass allen Beteiligten bewusst war, was sie taten.

Die Ermittlungen hatten sich über Jahre erstreckt, sie waren „sehr komplex und zeitaufwendig“, so die Generalstaatsanwaltschaft. In München wird allein der deutsche Aspekt des Skandals verhandelt. Doch hat das Regime Alijew mutmaßlich viele weitere Europaratsmitglieder bestochen, etwa in Belgien, Spanien, Frankreich, Großbritannien. Schon seit 2004, womöglich heute noch. Frank Schwabe bedauert, dass die Münchner Anklage keinen Hinweis auf solche Zahlungen lieferte. Doch vielleicht hören die Staatsanwaltschaften in den betroffenen Ländern ja mit. Bis August sind 39 Sitzungstage angesetzt.

Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes war die Rede von vier Männern, die angeklagt worden seien. Das haben wir korrigiert. Außerdem basierten die Enthüllungen der SZ 2017 nicht auf den „Panama Papers“, sondern auf Datensätzen, die der dänischen Zeitung Berlingske und dem Recherchekollektiv OCCRP zugespielt wurden. Auch dies ist korrigiert.

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