Artenschutz:Verkrochen

Artenschutz: Auch „Eremit“ genannt: Der Juchtenkäfer lebt versteckt in Baumhöhlen.

Auch „Eremit“ genannt: Der Juchtenkäfer lebt versteckt in Baumhöhlen.

(Foto: imago stock&people)

Was machen eigentlich die Juchtenkäfer, die das Riesenprojekt "Stuttgart 21" zumindest zeitweise gestoppt haben?

Von Claudia Henzler

Der Juchtenkäfer führt ein zurückgezogenes Leben. Wohl deshalb wird er Eremit genannt. Die ersten drei bis vier Jahre verbringt er als Larve, versteckt in den Höhlen alter Bäume. Und wenn er sich endlich in einen Käfer verwandelt, sind seine Tage schon wieder gezählt. Das Insekt wird höchstens drei Monate alt. Aufmerksamkeit sucht der Juchtenkäfer zeitlebens also nicht. Trotzdem wurde der kleine Kerl vor zehn Jahren bundesweit berühmt, weil er es sich in ein paar ehrwürdigen Platanen in der Nähe des Stuttgarter Bahnhofs gemütlich gemacht hatte, die dem Projekt "Stuttgart 21" weichen sollten. Der Deutschen Bahn hat er damit maximale Probleme bereitet.

Inzwischen ist es still geworden um den seltenen Käfer. Selbst die Naturschützer, die damals für das im ausgewachsenen Zustand mitunter fast vier Zentimeter große Insekt und seine Bäume kämpften, wissen nicht genau, wie es ihm geht. Nach längerer Suche verrät ein Biologe, der allergrößten Wert auf seine Anonymität legt, weil er nicht so berühmt werden will wie der Osmoderma eremita, schließlich mehr: Als die Bahn in der Nacht auf den 1. Oktober 2010 in einer Hauruckaktion die ersten 25 Bäume neben dem Bahnhof fällen ließ, da fiel den Kettensägen im Schlossgarten auch eine alte Platane zum Opfer, in der man Juchtenkäferlarven entdeckte. Schnell wurden die Tierchen eingesammelt und dem Biologen gebracht. Im Auftrag der Bahn zog er sie über mehrere Jahre hinweg auf und ließ sie als Käfer im Stuttgarter Schlossgarten auf Nimmerwiedersehen frei.

Dort standen die Arbeiten nach der Fällung erst mal still. Es war die Zeit, als die Auseinandersetzungen um "Stuttgart 21" ihren Höhepunkt erreichten. Naturschützer verklagten die Bahn. Das Eisenbahnbundesamt verhängte die Auflage, beim Artenschutz nachzubessern.

Mauereidechsen lieben Gleisanlagen. Das war schlecht für die Bahn

Wenn es um Verzögerungen und Mehrkosten bei "Stuttgart 21" geht, weist die Bahn gerne darauf hin, dass dies auch am Artenschutz liegt. Selten ist sie so freigiebig mit Zahlen wie in diesem Zusammenhang: Mehr als 1500 Umweltgutachten habe man für "Stuttgart 21" erstellt. Auch Mauereidechsen machen der Bahn immer wieder Ärger. Weil die Tiere ebenfalls streng geschützt sind und sich auf Gleisflächen besonders wohlfühlen, muss die Bahn sie einsammeln und aufwendig umsiedeln. Das kostet Geld und Zeit, manchmal hat der Artenschutz aber auch deshalb zu Verzögerungen geführt, weil es die Bahn im Genehmigungsverfahren drauf ankommen ließ.

Am langen Baustopp im Schlossgarten war der Juchtenkäfer jedenfalls nur indirekt schuld. Die Bahn hat damals mehr als 15 Monate gebraucht, um ein besseres Konzept vorzulegen. An einer anderen Stelle in Stuttgart war der Juchtenkäfer dagegen tatsächlich Grund für eine teure Umplanung. Im Rosensteinpark musste die Bahn wegen zweier Brutbäume auf eine offene Tunnelbauweise verzichten.

Ein Ergebnis der Kämpfe im Schlossgarten war, dass mehr als ein Dutzend große Bäume zwischen der vierspurigen Straße am Bahnhof und dem Baufeld stehen bleiben durften. Eine Fachfirma begutachtet regelmäßig deren Zustand und berichtet an die zuständige Naturschutzbehörde. Ob der Juchtenkäfer dort noch lebt, überprüft diese ökologische Baubegleitung aber nicht.

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