Süddeutsche Zeitung

Armutszuwanderung:Merkel verschiebt Streit um Sozialmissbrauch in Arbeitskreis

Seit Tagen streitet die große Koalition über Armutsmigranten aus Bulgarien und Rumanien, nun versucht die Kanzlerin zu beschwichtigen. Ein Ausschuss soll prüfen, wie der Missbrauch von Sozialleistungen verhindert werden kann.

Seit Tagen wird über den Vorstoß der CSU für schärfere Regeln gegen Armutszuwanderung aus Bulgarien und Rumänien diskutiert, nun hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Debatte eingeschaltet. Sie habe mit Vizekanzler Sigmar Gabriel telefoniert und vereinbart, bei der Kabinettssitzung an diesem Mittwoch einen Staatssekretärs-Ausschuss einzusetzen. Er solle sich mit möglichen Maßnahmen befassen, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter in Berlin.

Zugleich versuchte Merkel, den koalitionsinternen Streit über Armutszuwanderung und Freizügigkeit in Europa zu entschärfen. "Jeder, der lesen kann, wird feststellen, dass es inhaltlich keinen Unterschied gibt in den Koalitionsparteien. Keiner legt Hand an die Freizügigkeit, die zu den zentralen europäischen Errungenschaften zählt", sagte Streiter. Wer das kritisierte CSU-Papier mit dem umstrittenen Satz "Wer betrügt, der fliegt" ganz lese, werde feststellen, dass "auch dieses Papier den gleichen Geist atmet wie alle anderen Einlassungen".

An der geplanten Arbeitsgruppe sollen sich nach Streiters Angaben auf jeden Fall das Bundesinnenministerium, der Auswärtige Amt und das Arbeitsministerium beteiligen. Das Gremium werde sich mit der Frage beschäftigen, "ob und welche operativen Maßnahmen die zuständigen Ressorts gegen den möglichen Missbrauch von Sozialleistungen veranlassen können".

Zuvor war auch aus den Reihen von SPD und CDU Kritik am Vorstoß der CSU für schärfere Regeln gegen Armutszuwanderung gewachsen. Ein Sprecher von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) betonte, die Arbeitnehmerfreizügigkeit sei unverzichtbarer Teil der europäischen Integration. "50 Jahre europäische Integration (...), über eine Generation europäischer Binnenmarkt, sind eine riesengroße Erfolgsgeschichte. Und es schadet Deutschland und es schadet Europa, diese Erfolgsgeschichte in Frage zu stellen oder zu bestreiten." Der Außenminister habe aber nichts dagegen, existierende Mittel gegen Missbrauch zusammenzutragen.

Zuletzt hatte der CDU-Europapolitiker Elmar Brok vorgeschlagen, Fingerabdrücke von Zuwanderern als Maßnahme gegen Sozialhilfebetrug zu sammeln. Brok sagte der Bild-Zeitung: "Zuwanderer, die nur wegen Hartz IV, Kindergeld und Krankenversicherung nach Deutschland kommen, müssen schnell zurück in ihre Heimatländer geschickt werden. Um Mehrfacheinreisen zu verhindern, sollte man darüber nachdenken, Fingerabdrücke zu nehmen."

Die Kommunen, die die Folgen von Armutszuwanderung am deutlichsten spüren, fordern vom Bund und von der Europäischen Union (EU) Unterstützung für jene Bulgaren und Rumänen, die aus Armut nach Deutschland kommen. Einige Kommunen in Deutschland hätten tatsächlich das Problem mit Migranten aus diesen Ländern, die wegen mangelnder Perspektiven in die Bundesrepublik kämen, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, in Berlin.

Um hier Unterstützung leisten zu können, solle etwa der Sozialfonds der EU aufgestockt werden, aus dem Deutschland bislang nur 11,8 Millionen Euro erhalte. Landsberg betonte allerdings, dass das Problem der Armutszuwanderung nichts mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu tun habe, die seit Jahresbeginn für Bulgaren und Rumänen in Deutschland gilt.

Ausgelöst hatte die Debatte die CSU, die anlässlich der Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Rumänen und Bulgaren am 1. Januar Front gegen eine aus ihrer Sicht drohende Armutszuwanderung macht. Die Partei will Ausländern den Zugang zum deutschen Sozialsystem erschweren - etwa durch eine dreimonatige Sperrfrist für Hartz-IV-Hilfen an Zuwanderer.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1855310
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/dpa/liv/fran
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.