Süddeutsche Zeitung

Armut:1,06 Euro für Bildung

"Hartz IV bedeutet nicht Armut", sagt Jens Spahn. Was Empfänger zum Leben haben, hängt auch von ihnen selbst ab.

Von Thomas Öchsner

Wie viel können Hartz-IV-Empfänger ausgeben? Wie viel verdienen sie sich hinzu? Der neue Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagt: "Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut." Damit habe jeder das, "was er zum Leben braucht". Spahn sagt aber auch, was seine Kritiker womöglich nicht bemerkt haben: "Mehr wäre immer besser." Nur, was haben Hartz-IV-Empfänger wirklich zum Leben? Viel ist es nicht, aber mit jedem Kind steigen die Ansprüche deutlich. Das zeigen die Zahlen, die sich in den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) finden lassen.

Derzeit bekommen etwa 6,22 Millionen Menschen die staatliche Grundsicherung Hartz IV (Arbeitslosengeld II). Unter ihnen sind etwa zwei Millionen Kinder und Jugendliche. Im Durchschnitt leben knapp zwei Personen in einem der 3,19 Millionen Haushalte, die auf diese Hilfe angewiesen sind. Der Staat zahlt ihnen die sogenannte Regelleistung, für einen Alleinstehenden derzeit 416 Euro im Monat, für Kinder je nach Alter 240 bis 316 Euro, und übernimmt die Kosten für eine der Größe des Haushalts angemessene Unterkunft. Diese Ausgaben fürs Wohnen können regional jedoch sehr unterschiedlich sein, weil die Mieten zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern deutlich niedriger sind als in Oberbayern. Die Steuerzahler kosten die gesamten Hartz-IV-Leistungen im Jahr um die 40 Milliarden Euro.

Was davon für einen Hartz-IV-Haushalt zum Leben zur Verfügung bleibt, kann die Nürnberger Bundesagentur genau vorrechnen (Grafik). So verfügt ein Single im Durchschnitt über ein Haushaltsbudget von 783 Euro im Monat. Dazu gehört die Regelleistung. Davon abgezogen werden durchschnittlich fünf Euro für Sanktionen, weil der Hartz-IV-Empfänger bestimmten Pflichten nicht nachgekommen ist. 330 Euro gehen davon für die Miete und die Heizung weg. Obendrauf kommt aber noch das, was der Hilfebedürftige selbst zusätzlich verdient - beziehungsweise, was er davon behalten darf. Oberhalb eines Freibetrags von 100 Euro im Monat werden laut BA 80 Prozent des Verdiensts mit Hartz IV verrechnet. Wegen dieser Verdienste ist das Haushaltsbudget mit 783 Euro geringfügig höher als der Anspruch auf die Leistungen von Jobcentern. Es handelt sich aber um Durchschnittswerte. Das heißt nicht, dass jeder Hartz-IV-Empfänger nebenbei jobbt oder Abzüge durch eine Sanktion hat. Tatsächlich gab es im Oktober 1,16 Millionen Hartz-IV-Bezieher, die erwerbstätig waren und so die staatliche Leistung aufstocken konnten.

Deutlich höher ist das Haushaltsbudget von Hartz-IV-Empfängern mit Kindern, nicht nur, weil es pro Kind extra Geld gibt. Alleinerziehende können zusätzlich eine monatliche Zulage von bis zu 250 Euro bekommen für den sogenannten "Mehrbedarf". Hinzu kommt das Kindergeld, das allerdings als Einkommen gilt und deshalb ebenfalls mit der Hartz-IV-Leistung teilweise verrechnet wird. Unterm Strich hat eine Alleinerziehende mit zwei Kindern im Durchschnitt 1672 Euro pro Monat zur Verfügung. Sie muss dafür aber schon 548 Euro für die Wohnung abknapsen. Noch höher ist das verfügbare Einkommen bei Paaren, die mit ihren Kindern in einem Hartz-IV-Haushalt leben. Hier beläuft sich das Haushaltsbudget mit zwei Kindern auf 2113 Euro.

Die Berechnung der Hartz-IV-Leistungen hängt maßgeblich von einer groß angelegten Erhebung ab: Alle fünf Jahre führen 60 000 Haushalte für das Statistische Bundesamt Haushaltsbücher wie zu Omas Zeiten. Drei Monate lang halten sie penibel fest, wofür sie Geld ausgeben. Etwa 200 Positionen sind in dieser Einkommens- und Verbraucherstichprobe vorgesehen, vom Waschmittel über die Telefongebühren bis zu Essen und Trinken. Daraus werden die Regelsätze errechnet. So stecken in den 416 Euro für einen Alleinstehenden zum Beispiel für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke 144,86 Euro, für Bekleidung und Schuhe 36,41 Euro, für die Gesundheitspflege 15,79 Euro - und für Bildung 1,06 Euro. Nicht vorgesehen sind Ausgaben für alkoholische Getränke und Tabakwaren. Ob die Hartz-IV-Leistungen ausreichend sind oder nicht, ist umstritten. Die Caritas fordert zum Beispiel eine Erhöhung des Regelsatzes um 60 Euro monatlich. Nur so sei das Existenzminimum wirklich gewährleistet, rechnet der Sozialverband vor.

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SZ vom 15.03.2018
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