Süddeutsche Zeitung

Armenier-Gedenken im Bundestag:Türkischer Ministerpräsident beschwert sich bei Merkel

  • Der türkische Ministerpräsident Davutoğlu hat mit Bundeskanzlerin Merkel telefoniert. Es ging um die Absicht des Bundestags, die Massaker an Armeniern 1915 als Genozid zu bezeichnen.
  • Davutoğlu hält die Verwendung des Begriffs aus rechtlichen Gründen für unzulässig. Eine Regierungssprecherin bezeichnete das Gespräch aber als "gut".
  • Auch türkische Vereine in Deutschland kritisieren die Verwendung des Genozid-Begriffs.

Von Robert Roßmann und Luisa Seeling

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu hat in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisiert, dass der Bundestag die Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren als Völkermord bezeichnen will. Das Gespräch fand am Dienstagnachmittag statt.

Merkel berichtete in der Sitzung der Unionsfraktion von dem Telefonat. Die Kanzlerin sagte Teilnehmern zufolge, es sei ein langes Gespräch gewesen. Sie habe Davutoğlu dabei die deutsche Position dargelegt. Der türkische Ministerpräsident habe jedoch den Standpunkt vertreten, dass die Verwendung des Begriffs "Völkermord" für die Massaker schon aus rechtlichen Gründen unzulässig sei, da dieser Terminus erst nach dem Zweiten Weltkrieg ins Völkerrecht aufgenommen worden sei.

Dem Papst gegenüber reagierte die türkische Regierung deutlich empörter

Im April 1915 hatte die Regierung des Osmanischen Reichs mit der Vertreibung und Vernichtung von mehr als einer Million Armeniern begonnen. Am Freitag will der Bundestag der Opfer gedenken. Dabei wollen die Koalitionsfraktionen auch einen Antrag einbringen. In ihm heißt es, das Schicksal der Armenier stehe "beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist".

Als Papst Franziskus die Verfolgung der Armenier vor knapp zwei Wochen als "ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts" bezeichnet hatte, reagierte die Türkei deutlich empörter als jetzt. Das Außenministerium in Ankara bestellte den Vatikanbotschafter ein. Präsident Recep Tayyip Erdoğan forderte den Papst sogar auf, solchen "Unsinn" nicht zu wiederholen.

Auswärtiges Amt lobt Erklärung Davutoğlus zur Armenien-Frage

Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz sagte am Mittwoch, Davutoğlu zeige sich durchaus offen, "eine gemeinsame Verantwortung von Türken und Armeniern ernst zu nehmen, alte Wunden zu schließen und sich dem Versöhnungsprozess weiter zu stellen". Das Telefonat zwischen ihm und Merkel sei ein "gutes Gespräch" gewesen. Der Sprecher des Auswärtigen Amtes verwies auf eine Erklärung des türkischen Premiers zur Armenien-Frage. Diese lohne die Lektüre, denn in ihr seien "eine ganze Menge Sätze, die viele von uns unterschreiben können".

In der Erklärung spricht Davutoğlu den Nachkommen der "unschuldigen Armenier, die ihr Leben ließen", sein Mitgefühl aus. Es sei eine "historische und menschliche Pflicht der Türkei, für die Erinnerung der osmanischen Armenier und das armenische kulturelle Erbe einzutreten", schreibt der Ministerpräsident. Die Ereignisse auf "ein einziges Wort zu reduzieren" - Davutoğlu meint den Begriff Völkermord - und "die Verantwortung nur dem türkischen Volk zuzuschreiben", stelle allerdings moralisch und juristisch ein Problem dar.

Vertreter türkischer Organisationen in Deutschland warnten ebenfalls davor, den Begriff zu verwenden. Sollte Bundespräsident Joachim Gauck bei seiner Rede an diesem Donnerstag von Völkermord sprechen, würde er damit seine Kompetenzen überschreiten, sagte der Vorsitzende des Vereins Dialog und Frieden, Ali Söylemezoğlu. Auch der Bundestag würde Schaden nehmen, sollte er eine entsprechende Resolution beschließen. Niyazi Öncel, Vorstandsmitglied des Vereins Gedankengut Atatürks, sagte, "einseitige Darstellungen der Geschichte" schadeten der Freundschaft zwischen Deutschland, der Türkei und Armenien.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2447473
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.04.2015/cmy
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.